Bunkerführung: Beten gegen Bomben

Unter Wien
Ausgabe Nr. 36
  • Wien und Niederösterreich
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Lukas Arnold bei der Bunkerführung.
Lukas Arnold bei der Bunkerführung. ©Cornelia Grotte
Zeitzeugin Ilse Draxler erinnert sich an das Gebet gegen die Bomben.
Zeitzeugin Ilse Draxler erinnert sich an das Gebet gegen die Bomben. ©Lukas Arnold
Lukas Arnold mit Zeitzeugin Ilse Draxler.
Lukas Arnold mit Zeitzeugin Ilse Draxler. ©Unter Wien
"Eintritt nur bei Fliegeralarm"
"Eintritt nur bei Fliegeralarm" ©Lukas Arnold
Die Gasmasken im Eingangsbereich des Bunkers.
Die Gasmasken im Eingangsbereich des Bunkers. ©Lukas Arnold
Bei der Bunkerführung.
Bei der Bunkerführung. ©Lukas Arnold
©Lukas Arnold
©Lukas Arnold
Während einer Bunkerführung. Der Verein "Unter Wien" konnte Briefe eines Zeitzeugen für die Besucher zugänglich machen.
Während einer Bunkerführung. Der Verein "Unter Wien" konnte Briefe eines Zeitzeugen für die Besucher zugänglich machen. ©Lukas Arnold
Manche Kammer hat der Verein museal hergerichtet.
Manche Kammer hat der Verein museal hergerichtet. ©Lukas Arnold
©Cornelia Grotte
Eine Vorführung während der Bunkerführung.
Eine Vorführung während der Bunkerführung. ©Unter Wien

Seit Jahren führen Hobby-Historiker Lukas Arnold und seine Kollegen durch die Wiener Unterwelten und erkunden geheime Plätze unter der Stadt. Für ihre neuste Führung durch einen ehemaligen Luftschutzbunker in Ottakring, haben sie auch Zeitzeugen interviewt. Der Sonntag hat sich mit auf eine Bunkerführung unter der Stadt begeben. 

Ilse Draxler wurde 1942 in Wien geboren. Ab 1944 wurden die Bombenangriffe immer mehr und mehr, und so ging sie bald regelmäßig mit ihrer Mutter in den Luftschutzkeller, welche nahe einer Kirche lag. "Wir waren bei den Bombenangriffen im Luftschutzkeller in unserem Haus. Es war auch immer ein Ministrant dabei, welcher mit uns gemeinsam gebetet hat. Ich kann mich noch gut erinnern, als wir eines Tages wieder bei Fliegeralarm in den Keller eilten, haben wir wieder mit dem Ministrant gebetet. Meine Mutti, Ich, sowie die anderen Leute haben uns an den Händen gehalten. Ich habe laut "Oh Himmelsmutter Hilf" geschrien, und ein paar Sekunden später schlug eine Bombe unmittelbar neben unserem Keller ein", erzählt Ilse Draxler. 

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Bunkerführung mit Berichten von Zeitzeugen

Durch den Einschlag der Bombe sei das Haus und teilweise auch der Keller zerstört worden. Wie durch ein Wunder hätten jedoch alle Insassen des Luftschutzkellers überlebt. Ilse Draxler sieht darin ein Geschenk, dass ihr die Gottesmutter gemacht hatte: "Durch den Einschlag wackelte der ganze Keller und eine Öllampe ist umgefallen, und das heiße Öl tropfte auf mein kleines Füsschen. Es ist zum Glück niemand getötet worden bei den Treffer. Wir haben Dank des Gebetes diesen Angriff überlebt. Aus Dankbarkeit fuhr meine Mutti mit mir nach Mariazell zur Wahlfahrt." Ilse Draxler ist nur eine von vielen Zeitzeugen, die Lukas Arnold und sein Team aus Ehrenamtlichen für die Führung durch den ehemaligen Luftschutzbunker in Wien-Ottakring interviewt haben. Der Sonntag hat sich mit auf eine Führung unter die Stadt begeben. 

Lukas Arnold  vom gemeinnützigen Verein "Unter Wien" empfängt mich am Schuhmeierplatz in Wien-Ottakring. Der Verein besteht aus ehrenamtlichen Hobby-Historikern, die es sich zur Aufgabe gemacht haben alte Keller, Bunkeranlagen und andere Schätze unter Wien ausfindig zu machen, herzurichten, zu dokumentieren und für die Öffentlichkeit durch Führungen zugänglich zu machen. Am Schuhmeierplatz befand sich früher einmal der Eingang zu einem Luftschutzbunker. Dieser ist nun nicht mehr frei zugänglich, sondern nur durch den Müllraum einer Hausanlage zu erreichen. Arnold erzählt mir, dass ab 1941 in Wien mit dem Bau von Bunkeranlagen begonnen wurde. Diese wurden immer am Rand von Parkanlagen erbaut. Der Grund dafür ist simpel: Diese Anlagen wurden in der Regel nicht bombardiert, waren leicht zugänglich und es konnten sich größere Menschenmengen sammeln. Die Bunkeranlage am Schuhmeierplatz ist mittlerweile in zwei Wohnhausanlagen aus den 1950er-Jahren integriert worden. Gemeinsam mit Lukas Arnold begebe ich mich in den Bunker unter Wien.

Bunkerführung beginnt im Müllraum

Hinter den Mülltonnen am Ende des Mistkübelraumes der Wohnanlage öffnet Arnold eine Stahltür. Dahinter führt eine Treppe aus Beton steil hinunter und macht dann einen scharfen Knick nach rechts. Die Wände sind weiß gestrichen. In schwarzen Buchstaben steht auf der linken Wand "Eintritt nur bei Fliegeralarm" und weiter unten "Ruhe bewahren! Nicht laufen". Die Bunkeranlage unter dem Schuhmeierplatz sei eine der besterhaltensten Anlagen in Wien, erzählt Arnold. Denn weder sei Wasser in den Keller geflossen, noch habe es ein Schimmelproblem gegeben. Daher seien überall auch die originalen Aufschriften auf den Wänden erhalten geblieben. 

Über 1000 Menschen im Bunker

Der Bunker sei ursprünglich für 300 Leute auf 730 Quadratmeter ausgelegt gewesen. In der Realität sei es aber zu Überbelegung gekommen. Oftmals hätten drei bis viermal so viele Menschen, wie gedacht, hier vor den Bomben Schutz gesucht. Dennoch zählt der Bunker zu den kleineren Bunkern. Die Bahnhofsbunker in Wien und auch in deutschen Städten hätten oft mehrere Etagen umfasst, erzählt Arnold. Das ist auch der Grund, warum der Bunker nur bei Fliegeralarm geöffnet wurde. Denn die Bombardments waren oft bei schönem Wetter. Viele Menschen, vor allem Mütter mit Kindern, wollten bei klarem Himmel somit vorsorglich in die Bunkeranlagen hinein, was nicht gestattet wurde. 

Gasschleusen und Gasmasken

Wir gehen weiter hinunter und gelangen nach dem Knick zu einer weiteren Stahltür hinter der sich die sogenannte Gasschleuse befindet. Hier haben Lukas Arnold und seine Kollegen die Originale Wandfarbe und Beschriftung ergänzt, da der Raum, wie auch der anliegende Maschinenraum, nach dem Krieg als Abstellraum genutzt wurden und komplett zugemüllt waren. Arnold und sein Team haben Monate gebraucht, um die Räume von Müll und Schutt - inklusive 5.000 bis 10.000 Kilo Streuschotten - zu befreien. Nun ist der Raum bis auf ein paar Schaufensterpuppen in altmodischem Gewand und mit Gasmasken an, leer. Früher hätten alle Zivilisten eine Gasmaske ausgehändigt bekommen und diese in den Bunker mitnehmen müssen. Diese hätte es in den Größen für Kinder, Frauen und Männer gegeben. Der Grund waren die Erfahrungen mit Giftgasanschlägen im Ersten Weltkrieg. Daher hatten auch alle Bunkeranlagen eine Gasschleuse. Wäre nun ein Gas, wie etwa Senfgas zum Einsatz gekommen, so wären die Zivilisten durch die Schleuse in den Bunker hineingelassen worden, erzählt Lukas Arnold. Mittels Ventialtoren wäre versucht worden, die Gase zu neutralisieren. 

Weiter geht es in den Maschinenraum. Hier wurde die Luft für den Bunker aufbereitet. Die Ansaugstutzen verliefen in Schächten hinauf zum Park. Im Maschinenraum gab es drei verschiedene Modi. Beim ersten wurde die Luft einfach von draußen in den Bunker durch Staubfilter gepumpt. Bei einem Giftgasanschlag wurde die Luft über zwei weitere Trommeln mit der Aufschrift S (für Schwebstoff) und G (für Giftstoff) geleitet. Darin befand sich Aktivkohle, die die Giftstoffe filtern sollte. Erst danach wäre die Luft wieder über den Staubfilter gelaufen und dann in die Kammern geleitet worden. Der Nachteil: Beim Filtern von Giftstoffen wäre nur noch ein Zehntel der Luft zur Verfügung gestanden. Wäre der Strom im Bunker ausgefallen, hätte sich der Bunkerwart aus den Menschen im Bunker fünf starke Männer oder Frauen ausgesucht, die händisch eine Kurbel hätten betätigen müssen, damit die Luft in den Bunker hätte gepumpt werden können. 

Mahnmal: Bunkerführung mit Fokus auf Zivilisten

Nach der Gasschleuse kommt man in die tatsächliche Bunkeranlage. Ein schmaler Gang, in dem vielleicht zwei bis drei Leute nebeneinander Platz haben führt nach links und rechts. Auffallend ist gleich ein Regal an der Wand mit einer Sammlung verschiedener Gasmasken, ein Plan vom Bunker, eine originale Luftschutzhausapotheke und eine Luftlagekarte. Arnold erklärt, dass der Bunker gespiegelt wurde, das heißt, es gibt zwei Eingänge mit jeweils einer Gasschleuse und einem Maschinenraum. Der Grund: Durch die beiden Eingänge konnten die Menschen schneller in den Bunker gelassen werden und sollte ein Eingang bei einem Bombenangriff verschüttet oder zerstört werden, hätte es einen anderen Weg hinaus gegeben. Insgesamt befinden sich im Bunker 44 Kammern, in denen unterschiedliche Gruppen von Zivilisten Platz gefunden hätten: Mütter mit Kindern, alte oder kranke Menschen. Zudem gab es zwei Toilettenräume, einen für Männer und einen für Frauen mit jeweils einem Waschraum. Auch eine Milchküche war vorhanden.

Lukas Arnold und seinen Vereinskollegen ist es wichtig, dass die Bunker-Touren einerseits als zeitgeschichtliches Dokument dienen und andererseits als Mahnmal gegen den Krieg und gegen Faschismus. "Unser Motto bei der Tour ist: Der Bunker als Mahnmal gegen das Vergessen", so Arnold. Der Verein hat den Bunker museal hergerichtet. Historische Zeitungsartikel und Informationen hängen in Bilderrahmen an den Wänden. Auch ein paar historische Objekte sind ausgestellt - jedoch hauptsächlich zivile Gegenstände und Informationen von Zeitzeugen. Arnold und seine Kollegen wollten das Leben der Zivilbevölkerung im Krieg zeigen und hätten bewusst auf militärische Ausstellungsstücke verzichtet. "Mein Ziel ist es den Leuten zu vermitteln, dass es nicht selbstverständlich ist, dass wir das Privileg haben in der längsten Friedensperiode zu leben, die es je gab. Wir haben in Österreich seit 79 Jahren keinen Krieg gehabt", erklärt Arnold. 

Dauer vom Fliegeralarm bis zur ersten Bombe

Die Luftlagekarte zeigt Wien und die wichtigsten Städte in allen Himmelsrichtungen in 275 Kilometer Umgebung. Die Karte ist in unterschiedliche Sektoren geteilt, in denen Zahlen stehen. Die Karte diente dazu, dass die Bevölkerung einschätzen konnte, wie lange die Bombenflugzeuge noch entfernt waren. Nach dem "Kuckuck" im Radio wurde von einem Sprecher eine Luftlagemeldung gemacht. Dabei wurde der Bevölkerung die ungefähre Lage der Flugzeuge genannt zum Beispiel Krems. Die Bevölkerung konnte dann auf der Karte nachsehen und anhang der eingezeichneten Sektoren abzählen, wie lange es noch dauert, bis die ersten Bomben fallen würden. 

Wir gehen den Gang auf der rechten Seite entlang, vorbei an der Frauentoilette und an mehreren Kammern, welche verschlossen sind. Einige Kammern haben Lukas Arnold und seine Kollegen museal hergerichtet und mit spannenden Zeitzeugenberichten ausgekleidet. In einer Kammer wartet eine ganz besondere Überraschung auf die Besucher: Echte Briefe und Feldpost eines Zeitzeugen. Aber auch weitere interessante zeithistorische Dokumente und Objekte sind in der Ausstellung zu sehen. 

Bunkerführungen im September und Oktober

Im Bunker ist es eng und stickig. Nach einiger Zeit habe ich das Gefühl, dass ich durch die stehende Luft Kopfschmerzen bekomme. Drei bis fünf Stunden hätten die Bombenangriffe, laut Arnold, im Schnitt gedauert. Man bekommt ein Gefühl, wie beengt und verängstigt die Menschen sich hier im Bunker gedrängt haben müssen, wie angespannt die Stimmung war. Auch wenn die Bunkerführung sehr interessant war, bin ich froh, als wir durch den zweiten Ein- beziehungsweise Ausgang den Keller wieder verlassen.

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  • Cornelia Grotte
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