Wo ist die Freude im Advent?
HirtenhundWie steht es denn so um Ihre Adventfreude? Ich gebe zu, es fällt mir schwer, über all die Schrecklichkeiten hinwegzusehen, die am Strand unserer Insel der Glühweinseligen anrollen. Vielleicht ist das ja der Grund, warum sich so viele Menschen derzeit durch die Stadt walzen und sich hochprozentige Freude an den Umschlagplätzen erhitzten Zuckerwassers injizieren. Schließlich ist nüchtern betrachtet besoffen besser. Vor den Grenzen kämpfen innereuropäisch Brüdervölker weiterhin gegeneinander. Am Ostufer des Mittelmeeres kämpft die einzige Demokratie, die diesen Namen verdient, weiterhin gegen einen Terror-Feind in der eigenen Region und schwindende Solidarität allüberall. In den USA wurde eine Föhnfrisur als Präsidentenderivat wiedergewählt und nach der Europawahl (erinnert sich noch jemand daran?) zeichnen sich erste rechtsnationale Neuformatierungen der EU und ihrer Gremien ab.
Die Rückkehr Notre-Dames
Ist das nicht zu pessimistisch? Schließlich haben wir gerade erst ein rauschendes mediales Fest hinter uns – die Auferstehung Notre-Dames aus Ruinen. Hat nicht alle Welt zuerst verzückt Emmanuel Macron bei einer Begehung der weißen Kathedrale über die schmächtigen Schultern geblickt und dann Erzbischof Laurent Ulrich, als er die Messe zelebrierte? Ich zögere. Denn so bildmächtig die Inszenierung auch war – es bleibt ein Gotteshaus, für das ebenso das biblische Bilderverbot gilt. Der Geist der feiernden Gemeinde möge sich an der Architektur ausrichten und in den offenen Himmel blicken – und sich nicht am Edeldesigner-Gewand ergötzen. Mit einem Wort: Ich empfand die Feier als Ausdruck eines Staatsklerikalismus und weniger
als ein Fest des Glaubens.
Adventsfreude im Geist des Paulus
Aber ich darf in dieser Woche ja nicht mosern. Schließlich ist Advent – und der ruft uns an diesem Wochenende allem triumphalen Unheil zum Trotz entgegen: „Gaudete“! Freut euch! Ein Zitat aus dem Philipperbrief, in dem Paulus der Gemeinde geradezu kampfeslustig zuruft: „Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch!“ Auch wenn befohlene Freude sinnlose Freude ist, so gefällt mir doch immer wieder die paulinische Verve. Ein Spät-Bekehrter war er, eine Art Second-Hand-Apostel, Streit- und Saalschlacht-erprobt. Bei der katholischen Landjugend würde er sicher eine gute Figur machen. Designer-Talare würde er gewiss verachten. Vermutlich würde er eher über die Weihnachtsmärkte streifen und dort wortgewaltig Mission betreiben. Warum nicht an einer solchen Idee pastoral Maß nehmen? Eine „Apostelgeschichte 2‰“ quasi. Unter dem Aspekt lass ich mir gern ein „Gaudete!“ zurufen.