WitchTok: Hexen im Netz

Interview
Ausgabe Nr. 51
  • Spiritualität
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Hexen auf TikTok sind unter dem Hashtag Witchtok besonders bei jungen Menschen beliebt.
Hexen auf TikTok sind unter dem Hashtag Witchtok besonders bei jungen Menschen beliebt. ©istock

Hexen, Magie und WitchTok liegen bei jungen Menschen vor allem auf TikTok im Trend. Wir haben dazu mit Johannes Sinabell, dem Referent für Weltanschauungsfragen Erzdiözese Wien, dazu gesprochen.

In den letzten Jahren hat das Thema „Hexen“ und „Magie“ vor allem auf TikTok, unter dem Hashtag #WitchTok, eine bemerkenswerte Popularität erlangt. Besonders junge Menschen lassen sich von den vielfältigen Inhalten und Praktiken, die dort verbreitet werden, ansprechen. Doch wie steht es um die Authentizität und die Gefahren dieses Phänomens? Johannes Sinabell, Referent im Bereich Weltanschauungen, beleuchtet in diesem Interview das Phänomen WitchTok, die unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Hexenbewegung und die potenziellen Gefahren, die TikTok-Nutzer, insbesondere Teenager, durch die Auseinandersetzung mit solchen Inhalten eingehen könnten. Dabei geht er auf die Unterschiede zwischen traditionellen Hexen und jenen, die auf der Plattform vor allem durch ästhetische Rituale und Versprechungen von magischer Hilfe auffallen.

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WitchTok - Ein Trend auf TikTok

Hexen, Magie und WitchTok liegen bei jungen Menschen vor allem auf TikTok im Trend. Gab es diesbezüglich bei euch im Weltanschauungsreferat schon Anfragen?

Johannes Sinabell: Anfragen gab es bei uns weniger, aber natürlich ist das Thema auch bei uns aufgeschlagen. TikTok ist sehr präsent . Ein Weltanschauungsreferent interessiert sich für das Phänomen  WitchTok und daher auch für TikTok. Ich bin in einem Alter, in dem ich nicht die Zielgruppe für TikTok bin, aber ich finde es spannend. Da gibt es unter # witchtok Millionen von Einträgen von hunderttausenden verschiedenen Anbietern. Das ist schon faszinierend, wenn man bedenkt, dass früher „Hexen“ Personen waren, die im Verborgenen gelebt haben. Erst im vergangenen Jahrhundert sind mit der Wicca-Bewegung Personen die sich als Hexen bezeichnen in der Öffentlichkeit sichtbarer geworden. Die meisten treffen sich in Gemeinschaften oder Coven (Zirkeln). Da ist WitchTok schon ein ganz neues Phänomen, weil da einzelne Personen auftreten und es weniger um die Gemeinschaft (außer man betrachtet WitchTok als eine große Gemeinschaft), sondern um die Einzelperson und die Angebote geht. Die Bandbreite ist groß. Sie reicht von Personen, die mit Hexe eine Weltanschauung und Religion verbinden über solche, die sich mit der Lehre und Geschichte beschäftigen und nur hexen bis zu denjenigen, denen es meiner Einschätzung nach nur darum geht Follower zu erhalten und Geld zu verdienen.

Was ist der Unterschied zwischen „echten, traditionellen Hexen“ und „Hexen“ die Flüche beseitigen? Müssen die „echten Hexen“ Crowley gelesen haben?

Nein Aleister Crowley hat mit Hexen nichts zu tun. Wenn ich von „echten traditionellen Hexen" rede meine ich damit Personen, die entweder zur Wicca-Religion gehören, oder in deren persönlichen Leben Hexerei eine große Rolle spielt. Diese sehen sich in einer großen Beziehung zu den „Hexen“ des Mittelalters und der „Hexenverfolgungen“. Sie haben einen starken Bezug zur Natur und verbinden damit auch religiöse Vorstellungen. Entweder mit der Göttin oder dem gehörnten Gott. Dabei gibt es auch verschiedene Strömungen. Es gibt jene die stark feministisch geprägt (dianische Wicca) sind, wo nur Frauen Hexen sein können und es nur weibliche Göttinnen gibt, oder die Wicca, bei denen es durchaus auch männliche Hexen und den gehörnten Gott gibt. Diese „Hexen“ sind Menschen, die sich mit einer Weltanschauung beschäftigen. Sie richten ihr Leben nach einer Lehre, nach Göttinnen, nach Ritualen und nach einem Jahresablauf. Andere nennen sich auch „Hexen“ haben sich die Rituale entweder angelesen oder selbst entwickelt und vermitteln den Eindruck sie können anderen auf magische Weise helfen. Für die Wicca ist nicht die entscheidende Frage, ob sie Flüche aufheben können, sondern hier geht es um eine Glaubensfrage und um einen Lebensentwurf. Bei jenen, die man auf TikTok sieht, da geht es häufig um die Rituale, in schön gestaltetem Rahmen, mit schön gestalteten Gegenständen. Da geht es mehr um den ästhetischen Effekt und darum, gesehen zu werden und auch darum, etwas zu verkaufen.  

Die Gefahren von WitchTok

Für das Interview habe ich mir konkret drei TikTokerinnen aus dem deutschen Sprachraum angesehen. Darunter war auch Shisha Rainbow, die angibt, mit Toten sprechen zu können. Wieviel Gefahren-Potenzial sehen Sie in solchen Videos vor allem für Teenager?

Das Hexen-Thema auf TikTok ist ein zwiespältiges. Bei den einen sieht man hin und kauft Dinge, weil sie schön sind. Wenn es darum geht, dass Leute mit Toten reden – ein Phänomen, dass nicht nur bei TikTok-Hexen vorkommt – dass ist eine ganz andere Linie. Hier besteht nämlich die Gefahr, dass Personen mit einer großen Erwartungshaltung und Abhängigkeit hinkommen können. Hinter dem Bedürfnis mit Toten zu reden, steckt oft ein großer emotionaler Druck. Oft geht es darum, Dinge, von denen man sich denkt, dass sie nicht abgeschlossen sind, abzuschließen. Oft denken sich die Menschen, sie konnten sich nicht verabschieden und wollen das dann nachholen. Oft können und wollen Hinterbliebene die Person (noch) nicht loslassen. Dabei können die Menschen den Trauerprozess nicht abschließen und begeben sich in eine Abhängigkeit von der Person, die vermeintlich mit Toten reden kann. Das ist ein großes Hindernis, um Trauer abzuschließen. Fragen, die man an den Verstorbenen gestellt hätte, stellt man nun diesem vermeintlichen Medium. Dadurch gewinnt diese Person große Macht und Einfluss über den Hinterbliebenen. Diese Personen – wie die Hexe, die sie genannt haben – können keinen Kontakt zu den Toten herstellen, das kann niemand. Und trotzdem spricht sie damit das Bedürfnis von vielen Menschen an, die sich dann in eine Abhängigkeit zu ihr begeben und ihr dann wirklich emotional ausgeliefert sein können. Das ist unabhängig davon, ob die Frau jetzt Geld verlangt oder nicht – es besteht eine Abhängigkeit und es entsteht ein Machtgefälle, das nicht vertretbar ist.

Welche Gefahrenpotenziale gibt es noch, wenn man sich WitchTok ansieht?

Es geht hier viel um Magie und Magie ist eine Vorstellung, die in uns drinnen ist. Dieser Wunsch mit Ritualen etwas zu erreichen oder die Vorstellung, dadurch das Schicksal beeinflussen zu können, das ist etwas das gefährlich ist, weil es den Realitätssinn stark beeinflusst. Weil man dem Eindruck erliegt, man kann alles beeinflussen, zum Beispiel indem ich mir das Glück manifestiere und dann bin ich erfolgreich. Wenn ich an die Idee der Manifestation glaube, dann konzentriere ich mich auf ein bestimmtes Ziel, nehme in Gedanken Kontakt mit dem Universum auf und erschaffe eine positive Zukunftsvision, die eintreten soll. Wenn ich diese Vorstellung habe, dass ich Glück und Erfolg erzwingen kann, indem ich mir vorstelle, dass mir etwas gelingt, und es gelingt mir dann nicht, wie geht es mir dann damit? Die Idee, die mir bei solchen Anbietern vermittelt wird, ist, Magie funktioniert. Und wenn der Moment da ist, indem ich jedes Ritual so durchführe wie es mir gesagt wird oder ich manifestiere, wie es mir gesagt wird und es gelingt nicht, dann ist der Umkehrschluss selten: Die TikTokerin war falsch. Häufig suchen die Leute dann die Schuld bei sich selbst und kommen dann in eine Spirale hinein, die dazu führen kann sich in allem, was schiefgeht selbst die Schuld zu geben. Denn man geht nicht mehr an Probleme heran, indem man sie löst oder etwas tut, sondern man verrennt sich darin, das Schicksal oder ähnliches zu beeinflussen, wie man will. Und wenn das erwartete Ergebnis nicht eintritt, gibt man sich selbst die Schuld, falsch manifestiert zu haben.

Unterschied zu christlichen Ritualen

Viele Menschen würden nun die Frage stellen: Aber das Christentum hat doch auch Rituale? Was würden Sie diesen Leuten sagen?

Das Christentum geht davon aus, dass man Gott nicht beeinflussen kann. Man kann Gott gegenübertreten und ihm seine Situation darlegen und um Beistand und Unterstützung bitten. Ein falschverstandenes Christentum wäre: Ich gebe mir die Christopherus-Medaille in das Auto und glaube, dass ich jetzt rasen kann, denn der Christopherus beschützt mich. Auch der Rosenkranz im Auto ist ein Symbol dafür, dass man Christ*in und erlöst ist. Und aus der Überzeugung heraus Christ*in zu sein, gestaltet man sein Leben selbst. Christliche Rituale sind nicht dazu da, Gott, einen Heiligen oder das Schicksal zu beeinflussen, sondern es sind Abläufe, mit denen man bedeutende Lebensabschnitte begleitet. Das Taufritual bedeutet nicht, dass Gott dadurch, weil Wasser über das Kind gegossen wird, gezwungen wird für das Kind einzustehen, sondern die Eltern übergeben das Kind Gott und erziehen es in seinem Glauben. Es sind Abläufe, in denen man sich seines Christseins erneut bewusst wird.

Warum WitchTok junge Menschen anspricht

Warum spricht WitchTok junge Menschen so stark an? Sind es Filme wie Harry Potter oder das Angebot auf TikTok?

Jugendliche werden sicher stark durch WitchTok angesprochen, weil TikTok ein jugendliches Medium ist. Jugendliche sind mit Social Media ganz anders vertraut als Menschen meiner Generation. Viele dieser Personen, die bei WitchTok auftreten sind selbst jung. Auch die Aufbereitung der Videos, in ästhetischen Räumen, spricht Jugendliche an. Die angebotenen Praktiken sind zum einen eine willkommene Unterbrechung des Alltags, aber andererseits oft Instrumente, um den Anforderungen des Alltags besser gewachsen zu sein. Was auch zu bedenken ist: Die Welt, in der wir derzeit leben ist keine einfache. Jugendliche wachsen in einer großen Unsicherheit heran. Man bedenke nur die Kriege um uns herum. Sie bekommen mit, dass Betriebe schließen. Sie fühlen sich der Welt ausgeliefert und versuchen, wie jede Generation, Sicherheit zu erhalten und mit den Herausforderungen des Lebens umzugehen. Und WichTok kann auf manche in dieser Situation ansprechend wirken.

Wenn das Bedürfnis nach Spiritualität da ist, dann wird das auch von der Film- und Unterhaltungsindustrie aufgegriffen. Harry Potter ist nichts anderes, als die Geschichte eines Jugendlichen, der in einer schier unmöglichen Situation versucht zu überleben. Selbst, wenn Harry Potter den Zauberstab schwingt und Zaubersprüche kann, die Probleme löst er eigentlich gemeinsam mit seinen Freunden. Das Entscheidende in den Büchern ist, dass gemeinsam mit Herausforderungen umgegangen wird. Die Gemeinschaft ist das Wichtige, die Zaubersprüche sind nicht das Entscheidende.

 

Autor:
  • Cornelia Grotte
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