Sommergespräche: Regina Polak

Epochenwandel
Ausgabe Nr. 32
  • Leben
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„Im August urlaube ich so intensiv, wie ich das ganze Jahr arbeite“, sagt Regina Polak im Sommergespräch. ©Joseph Krpelan

Momentane Krisen wecken Unsicherheit. Theologin Regina Polak sieht einen Zeitenwechsel. Handeln ist jetzt gefragt. Warum man sich engagieren sollte.

Es ist ein mulmiges Gefühl, das die täglichen Nachrichten mit ihren vielen Krisen und Katastrophen in uns auslösen. Die Theologin Regina Polak überlegt, wie wir damit gut umgehen können. „Es gibt keine Garantie auf ein Happy End“, sagt sie, aber es lohnt sich, sich zu engagieren.

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In Ihrer Forschung gehen Sie davon aus, dass wir derzeit einen fundamentalen Umbruch erleben: Das Ende der Welt, wie wir sie kennen. In einer Ansprache von Papst Franziskus haben Sie ein Zitat gefunden, das weiterhilft: „Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, muss sich alles verändern.“

Regina Polak: Das Zitat ist aus dem Roman „Der Leopard“ von Giuseppe Tomasi di Lampedusa. Es stammt von einem konservativen Adeligen, der die Umbrüche seiner Zeit, die Revolutionsstimmung in Italien, sieht und seine Adelsfreunde warnt. Er meint, wenn man tatsächlich konservativ sein will, also das Erbe der Vergangenheit bewahren will, muss man sich auch selbst verändern.

Und was will Papst Franziskus damit sagen?

Er will dazu ermutigen, sich den globalen und krisenhaften Herausforderungen zu stellen. Offenbar geht Franziskus davon aus, dass wir derzeit nicht nur kleine Veränderungen erleben, sondern tatsächlich einen Epochenwandel.

Was meinen Sie mit Epochenwandel?

Etwa den Umbruch von der Antike zum Mittelalter oder vom Mittelalter zur Neuzeit. Verbunden ist das mit einem massiven Wertewandel, mit einer Veränderung der Art, wie Wissenschaft, Welt und Wirklichkeit gedacht werden. Und das wirkt sich natürlich auch auf Religion und Glaube aus.

Was ist eigentlich eine Krise?

Krise ist kein objektiver Zustand. Ein Ereignis führt dazu, dass alles bis dahin als selbstverständlich Wahrgenommene massiv erschüttert wird, z. B. beständiger Fortschritt, steigender Wohlstand. Der Historiker Jörn Rüsen spricht von einer Kontingenzerfahrung, weil alles, was bisher gegolten hat, plötzlich nicht mehr sicher ist. Das zwingt eine Gesellschaft und jeden Einzelnen, sich dazu zu verhalten. Die Reaktionen können sehr unterschiedlich sein.

Eine mögliche Reaktion ist die Verdrängung. Ein paar kühle Tage im Sommer und die Klimakrise scheint weit weg. Ist das normal?

Man darf natürlich nicht das Wetter mit dem Klima verwechseln! Zu sagen: „Es ist eh nicht so schlimm, weiter wie bisher“, das ist sozialpsychologisch verständlich. Denn mentale Strukturen ändern sich nur sehr langsam. Und wenn es nicht genug Möglichkeiten im öffentlichen Verkehr gibt, bleibt man im Auto sitzen. Beim Klima glaube ich allerdings, dass wir uns schon mitten in einer Katastrophe befinden, wenn ich etwa an die Waldbrände in Kanada denke.

Wir erleben derzeit auch eine Glaubenskrise. Wie schätzen Sie das ein?

Bereits seit den 70er-Jahren gehen traditionelle Vorstellungen und Praxisformen zurück. Auffallend aber sind die neuesten Untersuchungen der europäischen Wertestudie. Der Aussage „Ich glaube an Gott“ haben seit den 80er-Jahren in Österreich konstant etwa 75 Prozent zugestimmt. Dieser Wert ist nach der Pandemie auf 54 Prozent eingebrochen. Das zeigt, dass die Krise das Herzstück des Glaubens erfasst hat.

Was sagt uns in dieser Situation das Zitat: „Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, muss sich alles verändern“? Was ist „alles“? Das ist wohl mehr als z. B. die Einführung des Frauenpriestertums oder Mülltrennung ...

Es geht immer gleichzeitig um eine innere und äußere Veränderung. Also einerseits um die Veränderung der mentalen Einstellung, biblisch gesprochen eine innere Umkehr. Und andererseits um eine Veränderung der Strukturen, also einen engagierten Einsatz in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen.

Sie verweisen immer wieder auf die biblischen Verheißungen von Befreiung, Friede und einer gerechten Gesellschaft. Gibt es also noch Hoffnung?

Es wird nicht automatisch alles gut. Aus biblischer Sicht bedeutet Hoffnung, die Orientierung an Gott nicht zu verlieren, verbunden mit Widerstand und aktiver gesellschaftlicher Gestaltung. Aber Menschen haben sich immer wieder für Gewalt und Zerstörung entschieden. Die akuten Krisen stimmen mich alles andere als hoffnungsfroh. Aus meinem Glauben beziehe ich jedoch die Kraft, dass es sich lohnt, sich einzusetzen, dass diese Verheißungen Wirklichkeit werden. Aber es gibt keine Garantie auf ein – irdisches – Happy End!

Autor:
  • Stefanie Jeller
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