Wenn Feigenbäume einmal nicht blühen
Während Gott einen mit Geschenken überschüttet, ist es einfach zu sagen: „Ich würde dich auch lieben, wenn deine Geschenke ausblieben.“ Aber ist es auch wahr? Mich beschäftigt seit einiger Zeit das Gebet des Propheten Habakuk aus dem Alten Testament: „Zwar blüht der Feigenbaum nicht, an den Reben ist nichts zu ernten, der Ölbaum bringt keinen Ertrag, die Kornfelder tragen keine Frucht; im Pferch sind keine Schafe, im Stall steht kein Rind mehr. Ich aber will jubeln über den Herrn und mich freuen über Gott, meinen Retter.“ Es ist für mich eine bange Frage: Würde ich in einer solchen Situation auch jubeln über den Herrn und mich über ihn freuen? Oder wäre ich frustriert oder gar beleidigt?
Vor wenigen Tagen hat der römisch-katholische Bischof der ukrainischen Hauptstadt Kiew, Vitaly Kryvitsky, gesagt: „Wir kämpfen gegen die Wut und den Hass, die von außen über uns gekommen sind, und wir tun alles, um zu verhindern, dass sie in unseren Herzen, in unserem Inneren Wurzeln schlagen.“ Die Ukrainer wirken derzeit ja wirklich nicht reich beschenkt. Sie müssen nicht nur Friede, Sicherheit und Wohlstand entbehren, sondern sollen, wenn es nach Bischof Kryvitsky geht, auch noch auf das Letzte verzichten, woran sie sich klammern könnten: den Anspruch auf Vergeltung, auf Genugtuung für die angetane Gewalt.
Könnte ich das? Ich habe jetzt angefangen, dafür zu trainieren. Indem ich versuche, Gott zu danken für jede kleine Unannehmlichkeit, die mir zustößt. Und indem ich versuche wahrzunehmen, dass Christus ganz real in mir ist und bleibt – wirklich IN mir. Und so fange ich an zu hoffen, dass ich mich vielleicht doch auch in der Not würde freuen können über den Herrn. Auch wenn das eigentlich schon wieder ein Geschenk ist, um das ich ihn bitte.