Weihnachtlicher Faktencheck

Eine ganz normale Geburt
Ausgabe Nr. 51
  • Theologie
Autor:
Weihnacht im Jahre Null
Von wegen Heilige Nacht. Der große Faktencheck zur Weihnachtsgeschichte. ©Esther Lanfermann
Ehepaar Paginini im Radiostudio
Claudia und Simone Paganini ©Stefanie Jeller

Die Weihnachtgeschichte erzählt von einer gar nicht so „heiligen“ Nacht, sagen die Philosophin und Finalistin im Science Slam Austria Claudia Paganini und ihr Mann, der Bibelwissenschaftler mit dem italienischen Namen Simone. Hirten, Engel, die drei Könige, Stall und Windeln – alles ganz anders, als wir es uns vorstellen. Dennoch enthält die Weihnachtsgeschichte eine Botschaft, die bis heute aktuell ist.

Claudia und Simone Paganini haben ein Hobby: Sie können trockene Wissenschaft spannend und unterhaltsam auf die Bühne bringen. Science Slam nennt man das, Wettbewerbe, bei denen sie in wenigen Minuten die Zuschauer für ihr Wissenschaftsfach begeistern müssen.

Claudia Paganini hat den Science Slam in Innsbruck gewonnen. Zum Finale war sie mit ihrem Mann in Wien. Danach haben wir über ihr gemeinsames Buch gesprochen. Es geht um wenig bekannte wissenschaftliche Erkenntnissen zur Weihnachtsgeschichte – humorvoll und liebevoll geschrieben.

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In der „Heiligen Nacht“ lag kein Schnee. Das hat man sich vielleicht gedacht. Aber warum sollten wir uns die Geburt Jesu überhaupt nicht im Winter vorstellen?

Paganini: Die ältesten Texte zur Weihnachtsgeschichte sind das Matthäus- und das Lukasevangelium. Sie machen keine Angaben zum Wetter! Aber wir lesen, dass die Engel zu den Hirten kommen, die draußen schliefen. Wer schon mal in Israel und Palästina war, weiß, dass die Winter auch dort kalt sind. Die Hirten übernachteten in Höhlen oder Zelten. Aber in den Zelten war es relativ stickig. Wenn es wärmer wurde, im späten Frühling oder Frühsommer, schliefen sie also lieber draußen. Das heißt, die Weihnachtsgeschichte spielt nicht im Dezember. Übrigens, im 4. Jahrhundert feierte man Weihnachten im Frühling.

Es wird erzählt, dass die Engel im Chor jubilierten und die Geburt des Messias ankündigten. Wie muss man sich diese Engel vorstellen? Mit weißen Gewändern und Flügeln, pausbäckig wie im Barock, oder ganz anders?

Die Engel – und auch Hirten – haben im Laufe der Geschichte die größte Verwandlung erfahren. In der altorientalischen Welt gehörten die Engel zum Hofstaat Gottes. Gott beriet sich mit seinen Ministern, dann musste ein Engel die Entscheidung auf die Erde bringen. Sie waren die Boten Gottes.

In der Weihnachtsgeschichte taucht aber auch ein großes himmlisches Heer auf, die Heerscharen. Das war Gottes Armee, seine Ehrengarde. In der antiken Vorstellung war das selbstverständlich. Denn wenn ein Gott mit einem anderen im Kampf lag, dann kämpften ihre Engel. Sie waren furchterregend. Die Engel in der Weihnachtsgeschichte muss man sich wie eine himmlische Militärparade vorstellen.

Warum erscheinen die Engel ausgerechnet den Hirten?

Wir denken meist, weil die Hirten besonders arme Leute waren. Aber nein, es ist ganz anders. Die Armee der Engel Gottes taucht bei den Hirten auf, weil es jetzt darum geht, den Gottessohn zu beschützen. Die Hirten waren in der Antike so etwas wie Scharfschützen. Sie konnten mit Stöcken und Messern umgehen, und v.a. mit der Steinschleuder. Die Hirten wurden im Kriegsfall sofort eingezogen.

In der Weihnachtsgeschichte müssen die Engel zurück in den Himmel marschieren, deshalb beauftragen sie die besten Kämpfer, den Schutz des neugeborenen Königs zu übernehmen. Der Chor der Engel ist sozusagen die feierliche Wachablöse.

Die Hirten eilen zum Stall von Bethlehem. Warum aber bleiben sie nicht dort und halten Wache?

Die Hirten übernehmen den Auftrag der Engel sofort. Sie gehen nach Bethlehem. Und was sehen sie? Etwas total Normales. Mutter und Kind geht es gut, es sind auch Freunde und Verwandte da. Deshalb kehren sie beruhigt zu ihren Schafen zurück.

Etwas total Normales?

Naja, wir lesen, dass der Sohn Gottes geboren worden ist, aber es war eine ganz normale Geburt. Eine schöne, doch ganz normale Geburt! Wir gehen davon aus, dass antike Texte immer nur das Besondere überliefern. Wenn nichts Besonderes vorgefallen ist, dann wird das nicht eigens berichtet. Dann war es normal.

So ist es bei den Evangelien, sie sagen nichts über den Geburtsvorgang. Also müssen wir fragen, wie geschah damals eine normale Geburt? Es war ein freudiges Ereignis, aber natürlich eine reine Frauensache, Männer hatten dabei nichts verloren.

Woher wissen Sie, dass die Hirten auch Freunde und Verwandte angetroffen haben? Wir stellen uns doch die heilige Familie arm und ausgestoßen vor, „weil in der Herberge kein Platz für sie war ...“

Eine Herberge wäre kein schöner Ort gewesen, da ging man mit Prostituierten hin, nicht mit einer Hochschwangeren. Es war Martin Luther, der das Wort Herberge in die Übersetzung brachte. Heute wissen wir, mit dem griechischen Wort „Katalyma“ ist eine Art Gästezimmer oder Lagerraum gemeint. Die einfachen Häuser hatten damals zwei Räume. Im großen Hauptraum spielte sich alles ab, nachts schliefen da auch die Tiere und es gab eine Futterkrippe in der Wand.

Die Weihnachtsgeschichte erzählt von der Volkszählung, es waren also viele Leute in Bethlehem bei ihren Verwandten untergebracht. Plötzlich bekommt Maria die Wehen. In dem möglicherweise überfüllten Gästezimmer war nicht genug Platz für die Geburt, also wird sie in den Hauptraum gebracht. – Die Tiere waren tagsüber selbstverständlich draußen. – Die Frauen halfen bei der Geburt. Dann legten sie das Neugeborene an den sichersten Ort, das war die Futterkrippe.

Die berühmte Weihnachtsgeschichte erzählt also keine armselige Geburt?

Erst die spätere Deutung sagte, dass Jesus einsam geboren wurde, nachdem seine Mutter von den Wirtsleuten abgewiesen wurde. Die Beschreibung des Lukasevangeliums dagegen ist historisch glaubwürdig, und sozialgeschichtlich und kulturell authentisch. Jesus kommt behütet zur Welt, von der Dorfgemeinschaft freudig umsorgt, in einem gewöhnlichen judäischen Haushalt.

Das klingt schön, bringt aber unsere Vorstellung von der Heiligen Nacht ziemlich durcheinander...

Unsere Absicht ist es nicht, die Weihnachtsgeschichte zu zerstören. Im Gegenteil, die wissenschaftlichen Methoden führen dazu, dass man sich auf das Wesentliche konzentriert: Winter oder Sommer, Höhle oder Stall? Wir wissen es nicht, aber es ist nicht wichtig. War Josef dabei? Vielleicht. Die Windeln stehen nicht im Text.

Hirten, Engel, die drei Könige - sie waren weder drei noch Könige... Lauter Sachen, die das Drumherum bilden. Das Wesentliche aber ist, dass hier Menschen von ihrem Glauben schreiben, dass Gott in die Welt gekommen ist.

Und was kann das für uns heute bedeuten?

Weihnachten ist bei uns stark von Wirtschaft und Konsum bestimmt. Da ist es wieder notwendig, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: Gott kommt in die Welt und möchte den Menschen nahe sein.

Autor:
  • Stefanie Jeller
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