Weckruf: Umweltschutz & soziale Gerechtigkeit

Päpstliches Lehrschreiben „Laudato si’“
Ausgabe Nr. 32
  • Theologie
Autor:
Stand mit Gemüse
Gutes Handeln nach Laudato si: Regionale, saisonale und ökologische Produkte kaufen. ©iStock/Baloncici
Michael Rosenberger
Michael Rosenberger lehrt Moraltheologie an der Katholischen Privat-Universität Linz. ©Markus A. Langer

Vor acht Jahren inspirierte "Laudato si’" von Papst Franziskus. Wie leben wir heute Schöpfungsverantwortung? Entdecken Sie neue Perspektiven mit Moraltheologe Rosenberger.

Bisweilen wird der Sozial- und Umweltenzyklika „Laudato si’“ von Papst Franziskus vorgeworfen, dass sie keine konkreten Tipps im Hinblick auf den Umweltschutz anführe. Im SONNTAG-Interview erläutert der Linzer Moraltheologe Michael Rosenberger die Bandbreite der Themen der Enzyklika und er nennt auch ausgehend von „Laudato si’“ konkrete Beispiele, wie Katholikinnen und Katholiken und auch alle anderen Menschen guten Willens ihre Schöpfungsverantwortung schon jetzt und heute wahrnehmen können.

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Was bedeutet der Glaube an Gott, den Schöpfer und an diese Welt als seine Schöpfung angesichts der fortschreitenden industriellen Ausbeutung?

Michael Rosenberger: Zunächst einmal müssen wir Christinnen und Christen uns eingestehen, dass wir unseren Glauben an den Schöpfer lange Zeit missverstanden haben, so als sei die ganze Schöpfung nur für uns Menschen da und wir könnten sie allein für unsere Zwecke nutzen. Das hat der industriellen Ausbeutung der Natur den Weg geebnet, wie Papst Franziskus unumwunden zugibt. Dabei beinhaltet der Schöpfungsglaube eigentlich, dass Gott alle Geschöpfe liebt – auch die kleinsten und auch jene, die nur ein paar Stunden leben. Allen hat er die Erde als Lebensraum anvertraut, den sie miteinander teilen sollen. Der Mensch ist also in erster Linie ein Geschöpf unter vielen und bildet mit ihnen allen eine „universale Familie“, wie Franziskus sagt. Tiere und Pflanzen sind seine Geschwister. Zugleich hat er eine besondere Aufgabe: Gott hat ihn zum „Hausverwalter“ berufen. Aber Verwalter zu sein verpflichtet zu einem treuhänderischen Umgang mit dem anvertrauten Gut. Was uns geliehen ist, mit dem müssen wir sorgsamer umgehen als mit eigenem Besitz. 

Warum und wie stellt Papst Franziskus seinen Appell zu Umweltschutz und Ökologie in einen schöpfungstheologischen Zusammenhang?

 Zunächst einmal nennt Franziskus viele gute Gründe für den Schutz von Klima und Biodiversität, die schlichtweg der Vernunft entspringen und nicht religiös sind. Damit zeigt er einerseits, dass er auf der Höhe der wissenschaftlichen Debatte ist, und andererseits, dass alle Menschen der Erde zusammenarbeiten müssen, um die großen ökologischen Herausforderungen zu bewältigen. Umweltengagement hängt nicht von der religiösen Überzeugung ab. Aber Franziskus betont auch, dass ein großherziges, selbstloses und nachhaltiges Umweltengagement von innen her motiviert sein muss. Es muss einer Liebe zur Schöpfung entspringen. Es braucht das Staunen und die Dankbarkeit als Grundlage. Es ist nur möglich, wenn wir spüren, dass wir nicht zu kurz kommen, auch wenn wir auf manches verzichten. Und genau diese inneren Einstellungen sind das Erbe der Religionen. Franziskus bietet sie allen Menschen an, die dafür offen sind. 

Umweltengagement braucht das Staunen und die Dankbarkeit als Grundlage.

Michael Rosenberger

Welche Rolle spielt die soziale Gerechtigkeit in „Laudato si’“? 

Eine große. Und das ist auch nicht verwunderlich, denn einerseits prägt der Aufruf zur Gerechtigkeit die Bibel von der ersten bis zur letzten Seite, andererseits ist das Konzept der ökologischen Nachhaltigkeit ein erweitertes Gerechtigkeitskonzept. Die Ärmsten dieser Erde leiden schon jetzt am meisten unter den Folgen der Klimaerwärmung, weil sie nicht die Mittel haben, sich zu schützen. Holland hat seine Deiche für viele Milliarden Euro erhöht, weil der Meeresspiegel steigt. Venedig hat seine Lagune für viel Geld mit großen Schwenktoren versehen, die bei Sturmflut geschlossen werden. Aber allein in Ägypten und Bangladesch leben rund 100 Millionen Menschen weniger als einen Meter über dem Meeresspiegel, und die können sich solche Deiche und Tore nicht leisten. Im Falle einer Sturmflut sind sie dem Wasser völlig schutzlos ausgeliefert. Wenn wir in den reichen Ländern es mit dem Klimaschutz wirklich ernst meinen, müssen wir, so Papst Franziskus, den ärmeren Ländern dabei helfen, sich zu schützen. Umweltschutz soll Armut nicht vergrößern, sondern verringern.

Wie können wir, wie der Papst schreibt, „unser gemeinsames Haus“ schützen (LS 13)? 

Die Klimakonferenz von Paris 2015, also wenige Monate nach Erscheinen der Enzyklika „Laudato si’“, hat sich vorgenommen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Dafür braucht es technische Maßnahmen wie den Umstieg auf erneuerbare Energien, bessere Wärmedämmung und sparsamere Maschinen. Mehr noch braucht es soziale Effizienz, also den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel, den Einkauf regionaler, saisonaler und ökologischer Produkte und das gemeinsame Besitzen jener Dinge, die wir nur selten brauchen wie z. B. den Rasenmäher oder die Heckenschere. Vor allem aber braucht es einen gewissen Verzicht – nämlich auf jene Verhaltensweisen im Freizeitbereich, die besonders umweltschädlich sind. Da werden wir, so schwer es uns zunächst fallen mag, um eine Beschränkung nicht herumkommen. 

Stimmt der Eindruck, dass Papst Franziskus in „Laudato si’“ lateinamerikanische mit franziskanischer Spiritualität verbindet?

Ja, definitiv. Die lateinamerikanische Spiritualität enthält viele Impulse, die noch aus der indigenen Bevölkerung stammen und weit vor die Zeit der europäischen Kolonisierung zurückreichen. So hat man große Ehrfurcht vor der „Pachamama“, der Mutter Erde. Man muss sich die Pachamama nicht als Göttin vorstellen, wie es dort ursprünglich verbreitet war. Aber dass die Erde eine uns tragende und nährende Mutter ist, die wir aus eigenem Interesse gut behandeln sollten, das können wir von Lateinamerika lernen. Auch das Konzept des „buen vivir“, des guten Lebens, ist lateinamerikanisch. Franziskus betont immer wieder, dass ein Leben mit etwas weniger Konsum und materiellen Ansprüchen nicht schlechter, sondern letztlich sogar besser ist. Umgekehrt sind die franziskanischen Wurzeln von „Laudato si’“ leicht zu erkennen, denn Franz von Assisi nennt alle Geschöpfe seine Schwestern und Brüder und begegnet ihnen mit Respekt und Liebe.

Auch das Konzept des „buen vivir“, des guten Lebens, ist lateinamerikanisch.

Michael Rosenberger

Papst Franziskus spricht sehr oft von der Erneuerung des Lebensstils. Wie kann dies aussehen?

Franziskus lädt uns zu einem Lebensstil ein, der zu intensiverer Freude und größerem Genuss führt, indem wir weniger konsumieren und besitzen. Sein Grundgedanke ist, dass alles, was wir besitzen, viel von unserer Lebensenergie und von unserer Zeit auffrisst. Wenn wir also weniger besitzen, bleibt uns mehr Zeit, das Leben, die Begegnungen mit den Mitmenschen und mit der Natur zu genießen. Wir sind freier und zufriedener, gerade weil wir uns weniger um materielle Dinge kümmern müssen.

Wie wird die Kirche noch mehr eine starke Stimme für die Einheit von Klimaschutz, Armutsbekämpfung und Schöpfungsverantwortung?

Erstens: Die Kirche muss glaubwürdig vorleben, was sie verkündet. Zweitens: Die Kirche muss sich mit allen gesellschaftlichen Gruppen und Bewegungen verbünden, die sich für Klimaschutz und Armutsbekämpfung einsetzen. Mit den Umweltorganisationen gemeinsame Projekte aufsetzen. Mit örtlichen Initiativen für Umwelt und Soziales so eng wie möglich kooperieren. Und das heißt: Nichtkirchliche Organisationen nicht als Konkurrenz oder gar Gegner sehen, sondern als Verbündete.

Warum ist die Enzyklika „Laudato si’“ mehr ein Weckruf als eine abschließende Erörterung?

Vor Papst Franziskus waren Enzykliken in erster Linie „Lehrschreiben“, um die katholische Lehre darzulegen und zu sichern. Die Zeit solcher Enzykliken alten Stils ist vorbei, und das hat Franziskus bestens erkannt. Er schreibt Enzykliken, um die Menschen zum Handeln in Kirche und Welt zu bewegen, um ihnen Mut zu machen und ihnen besonders brennende Herausforderungen ans Herz zu legen. Man könnte auch – zugegeben etwas pointiert – sagen: Franziskus will nicht belehren, sondern unterstützen und dienen.

Autor:
  • Stefan Kronthaler
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