Wann denken wir uns neu?
Was machen wir eigentlich falsch? Wir rackern uns ab mit Strukturreformen, wir öffnen unsere Gotteshäuser nicht nur, aber auch, zur „Langen Nacht der Kirchen“, wir kommunizieren wie kein anderer Konzern selbst unsere Negativa nach außen (Stichwort Missbrauch, Stichwort Austritte), wir leisten uns kirchliche Medien, die keine elektronischen oder papierenen Kanzeln sind, sondern journalistische, professionelle meinungsbildende Produkte produzieren (wie z. B. den „SONNTAG“), wir sind anerkannt systemrelevant im Bildungs- wie im Gesundheitsbereich, wir setzen uns für den Klimaschutz und den Frieden ein – und doch herrscht Krisenstimmung. Was also machen wir falsch?
Ich möchte hier eine tierische These wagen: Wir machen im Blick auf unsere Außenwirkung nichts falsch – wir erwarten nur etwas Falsches. Denn wir erwarten, dass Menschen in unsere Gotteshäuser (zurück)kommen, nur weil sie sehen, dass wir doch nicht so seltsam sind, wie sie dachten. Wir glauben, dass die „Botschaft“ so gut und so aktuell ist wie vor 2.000 Jahren – nur die Verpackung muss modernisiert werden. Wir glauben sogar, dass die ganzen Missbrauchsskandale der letzten Jahre nur die Taten einzelner, verirrter priesterlicher Schäfchen sind und nichts mit „der Kirche“ zu tun haben. Wir glauben außerdem insgeheim, dass der kirchlich entwöhnte (junge) Mensch doch immer irgendwie nach Gott sucht, dass ihm etwas fehlt, dass sein Glück ein halbiertes ist, weil es ohne Gott auskommt. Und ohne uns.
Das sind meines Erachtens gravierende Irrtümer in unseren Erwartungshaltungen. Ein Projekt, welches das erkannt hat, ist die Dialoginitiative „Denk Dich Neu“. Im vergangenen Jahr gestartet, versuchte sie zunächst, Kirche an „Andersorte“ zu bringen – auf Festivals, an Unis und auf Berghütten. Doch inzwischen haben die Verantwortlichen erkannt, dass hinter dem Slogan „Denk Dich Neu“ wirklicher Sprengstoff steckt. Denn er ist ein Imperativ, der zuallererst uns selber trifft. Wir müssen begreifen, dass wir nicht nur unsere „PR“, sondern auch unsere Begründungsformen, unsere liturgischen Selbstverständlichkeiten und theologischen Grundannahmen überdenken müssen. „Denk Dich Neu“ hätte das Zeug, innerkirchlich Nachdenkprozesse anzustoßen. Hätte. Denn Zweifel, Zaudern und angstgetriebene Besitzstandswahrung überwiegen. Wie so oft. Was also machen wir falsch? Wir drohen den Kipppunkt zu übersehen und uns nicht neu zu denken.