Wahlen in Venezuela: Ein Land in der Krise

Politik
Ausgabe Nr. 29
  • Weltkirche
Autor:
Das Armenviertel Catia.
Das Armenviertel Catia. ©Salvatorianer
Pater Luis Domingo Diaz
Im Armenviertel Catia wird das Engagement der Salvatorianer, wie das von Pater Luis
Domingo Diaz besonders notwendig gebraucht.
©Salvatorianer
Kinder in Caracas.
Kinder in Caracas. ©Salvatorianer
„Wir können nicht die Lebensrealität aller Venezolanerinnen und Venezolaner ändern“
„Wir können nicht die Lebensrealität aller Venezolanerinnen und Venezolaner ändern“, sagt Pater Luis Domingo Diaz. „Aber die Menschen in unserem Umfeld können wir sehr wohl unterstützen.“ ©Salvatorianer

Ende Juli wird in Venezuela gewählt. Die Hoffnung, dass die Wahl Gutes für die Bevölkerung bringt, ist gering – Venezuela gehört, obwohl es über die größten Erdölreserven der Welt verfügt, zu den ärmsten Ländern der Welt.

Der Großteil der Bevölkerung in Venezuela lebt in bitterster Armut. Die Sicherheitslage ist mehr als prekär. Das Menschenrechtskommissariat der UN berichtete über schwere Menschenrechtsverletzungen wie außergerichtliche Hinrichtungen, Folter und Unterdrückung der Opposition. Der Salvatorianerpater Luis Domingo Diaz lebt in Caracas, der Hauptstadt Venezuelas, dort, wo die Not am größten ist. Vor kurzem hat er Wien besucht und vom Alltag in seiner Heimat berichtet – von Menschen, die jeden Tag hungern, von Kindern, die ohne ihre Eltern aufwachsen müssen, und von einer dramatischen Suizidrate bei alten Menschen.

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Leben und Alltag in Venezuela

Wenn Pater Luis Domingo Diaz vom Leben und vom Alltag in Venezuela berichtet, redet er nicht lange um den heißen Brei herum. Nichts wird beschönigt. Nichts verheimlicht. „Ja“, sagt er: „Venezuela ist ein wunderschönes Land. Aber das Leben dort ist hart und für den Großteil eine echte Herausforderung. Jeden Tag aufs Neue.“ 1983 wurde er in Venezuela geboren, ist dort zur Schule gegangen, hat Theologie und Pädagogik studiert, ist schließlich in die Ordensgemeinschaft der Salvatorianer eingetreten und zum Priester geweiht worden. Die Lebensrealität der Venezolaner ist ihm damit nicht nur vertraut, es ist seine eigene. Das Zeugnis, das er seinem Heimatland ausstellt, entsprechend bedrückend: Eigentlich, so Pater Luis, sei Venezuela ein Land mit bedeutenden natürlichen Ressourcen. Insbesondere Erdöl. Aber die Menschen, die das Land in den vergangenen Jahrzehnten regiert hätten, seien mit dieser Tatsache schlecht oder zumindest ungeschickt umgegangen. „Unsere Wirtschaft ist vom Öl extrem abhängig“, sagt Pater Luis. Die Folgen: Die venezolanische Wirtschaft sei anfällig für Schwankungen des Ölpreises – sinkt der Ölpreis, sinken die Staatseinnahmen.

Venezuela hat sich auf den Ölsektor konzentriert

Dass sich das Land in den vergangenen Jahren so massiv auf den Ölsektor konzentriert hat, habe zudem dazu geführt, dass andere Wirtschaftszweige vernachlässigt wurden. „Rund 70 Prozent der Produkte, die wir für den Alltag benötigen, müssen importiert werden“, so Pater Luis. Das ganze Land werde aktuell von einer Hungersnot und einer damit einhergehenden Auswanderungswelle geplagt. „Tausende meiner Landsleute verlassen Venezuela in der Hoffnung, im Ausland eine Arbeit zu finden und Geld zu verdienen, das sie dann zu ihren Familien nach Hause schicken können“, sagt Pater Luis. „Zurück bleiben alte Menschen und Kinder.“

„Zurück bleiben alte Menschen und Kinder.“

Verstaatlichung und Korruption

Und auch die Fehlentwicklungen wie die Zentralisierung und Verstaatlichung der Industrie, eine starke Militarisierung des Landes und die nicht enden wollende Korruption trügen ihr Übriges zur vielfältigen Krise des Landes bei. Die Hyperinflation der letzten Jahre mit Inflationsraten von bis zu 600 Prozent habe die Situation weiter verschärft. Pater Luis schildert anschaulich: „Da steht dann zum Beispiel dieses wunderschöne Restaurant in der Stadt, in dem die Reichen die teuersten und ausgefallensten Gerichte genießen. Und hinter dem Restaurant stehen Mülltonen, die die Armen tagtäglich nach Essensresten absuchen.“ Der Großteil der Bevölkerung könne sich das tägliche Leben inzwischen schlicht und ergreifend nicht mehr leisten. „Eine durchschnittliche vierköpfige Familie erhält weniger als 100 Euro pro Monat“, so Pater Luis. „Um sich halbwegs ausreichend ernähren zu können, müsste man aber mindestens 500 Euro allein für Lebensmittel ausgeben. Das kann sich nicht ausgehen.“

Bevölkerung in Venezuela nach Kräften unterstützen

Ein großer Teil der Bevölkerung ist damit auf die Unterstützung von Hilfsorganisationen wie den Salvatorianern angewiesen. Seit mehr als 60 Jahren wirken die Patres hier. Derzeit engagieren sich Pater Luis und neun seiner Mitbrüder für die Menschen. Kinderheime, Krankenstationen und Schulen, zudem ein Altenheim, werden betrieben – nicht allein von den Patres, sondern auch von rund 300 Menschen, die in den Sozialwerken der Salvatorianer mitarbeiten. Die Kinderheime „El Encuentro“ und „El Timón“ nehmen Kinder und Jugendliche auf, die Opfer von Gewalt und/oder Vernachlässigung geworden sind. Das Gesundheitszentrum „Centro de Salud Padre Jordan“ stellt im Armenviertel Catia in Caracas die einzige medizinische Versorgungsmöglichkeit dar. Zudem gibt es ein eigenes Inklusions- und Integrationsprojekt, das Kinder und Jugendliche mit Behinderungen unterstützt. Nicht zu vergessen ist auch das Altenheim „La Esperanza“, das sich um Senioren mit physischen und psychischen Problemen kümmert. 

„620 Kinder kommen jeden Tag hungrig zum Unterricht.“ 

Pater Louis über die Schule der Salvatorianer in Caracas

„Im Altenheim finden Menschen einen Platz, die völlig alleine und auf sich gestellt sind“, sagt Pater Luis. „Wir haben in den vergangenen Jahren einen dramatischen Anstieg der Suizide bei alten Menschen erlebt – dem versuchen wir gezielt entgegenzuwirken. Und in unserer Schule in Caracas – da kommen 620 Kinder jeden Tag hungrig zum Unterricht. Unterernährung, Kreislaufschwächen, Konzentrationsprobleme sind nur einige der Folgen.“ Die Salvatorianer unterrichten deshalb hier nicht nur, sie verteilen auch gemeinsam mit Freiwilligen an jedem Schultag eine kostenlose Mahlzeit an alle Schulkinder. Nach Schulschluss werden Kurse und Workshops organisiert, die eine Beschäftigung für die Kinder und Jugendlichen nach dem Unterricht sind. „Kinder und Jugendliche werden häufig sich selbst überlassen, da die Eltern ihre ganze Energie dafür aufwenden müssen, das Überleben der Familie zu sichern. Der Absturz in Drogen und Kriminalität und der Anschluss an gewalttätige Jugendgangs war an der Tagesordnung. Um die Kinder von den Straßen wegzubekommen und zu stärken, entwickelten wir eben zusätzlich ein Bildungsprogramm mit unterschiedlichen Workshops.“

Die lange Zeit, die die Salvatorianer in Venezuela schon wirken, habe gezeigt, „dass wir vielleicht nicht die Lebensrealität aller Venezolanerinnen und Venezolaner ändern können, aber für die Menschen in unserem Umfeld können wir sehr wohl etwas tun, sie nach Kräften unterstützen und ihr Leben so ein wenig lebenswerter machen.“

Motivation für jeden Tag

Zu ihnen gehört etwa Valeria. Sie ist 17 Jahre alt und besucht seit fünf Jahren die katholische Schule „La Constancia“ der Salvatorianer in Caracas. Sie gehört zu den besten Schülerinnen ihres Jahrgangs, ist sogar Schulsprecherin. Bald wird sie ihren Abschluss machen. „Ich möchte dann Zahnärztin werden“, sagt sie stolz. Auch Anderson gehört zu jenen, die von der Hilfe der Salvatorianer profitieren beziehungsweise profitiert haben. Er ist 27. Mit neun Jahren kam er in ein Heim der Ordensgemeinschaft. Mittlerweile arbeitet er als Ausbildungsberater, steht kurz vor dem Abschluss seines Psychologiestudiums, lebt selbstständig und engagiert sich selbst für soziale Projekte. „Ich möchte helfen, so gut ich kann – schließlich wurde auch mir geholfen“, erzählt er voller Zuversicht.

Die Hilfe der Salvatorianer für Venezuela

Und auch Jesus, 18 Jahre alt, hat dank der Unterstützung der Salvatorianer eine Perspektive für sein Leben bekommen. Acht Jahre lang hat er am Kunst- und Sport- ausbildungsprogramm der Salvatorianer teilgenommen. Eine besondere Leidenschaft hat, er in dieser Zeit für das Malen entwickelt. Kein Wunder also, dass er begonnen hat Grafikdesign zu studieren. Nebenbei arbeitet er als Lehrer im Kunstprogramm. Die Tätigkeit ermöglicht ihm, ein Studium fortzusetzen, während er gleichzeitig seine Mutter unterstützen kann. Dass er den Salvatorianern mit seinem Engagement damit auch ein bisschen von dem zurückgeben kann, was sie in ihn investiert haben, freut ihn besonders. „Beispiele wie die von Valeria, Anderson oder Jesus motivieren uns jeden Tag!“, sagt Pater Luis. „Sie zeigen, dass das Engagement und die Spiritualität der Salvatorianer Gutes bewirken. Ob wir hier sind und für die Menschen arbeiten oder nicht, macht einen Unterschied.“ 

Autor:
  • Portraitfoto von Andrea Harringer
    Andrea Harringer
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