Von toxischen Alpträumen
Schon wieder ein Toter im Vatikan. Diesmal hat es Kardinal George Pell erwischt. Der australische Kirchenmann starb am 10. Jänner. Dabei war der Hüne – in seiner Jugend ein angehender Rugby-Profi – eine Art kantig-konservativer Hoffnungsträger. Bewährt in vielen innerkirchlichen Kämpfen, u. a. als Sanierer der maroden Vatikanfinanzen, dann 2018 der Fall: eine Verurteilung wegen Missbrauchs zu sechs Jahren Haft. 2020 der Freispruch wegen Verfahrensfehlern, kurz: nicht unbedingt das Profil eines Sympathieträgers, aber doch eines Mannes, den so schnell nichts umhauen konnte. Und der auch auszuteilen wusste: Selbst aus dem kühlen Grab heraus rempelte Pell posthum noch Papst Franziskus an und warf ihm vor, mit dem synodalen Prozess einen „toxischen Alptraum“ entfesselt zu haben. Die kirchliche Lehre würde verwässert und es halte ein „neomarxistischer Jargon“ Einzug. Was er damit wohl genau meinte? Dass Franziskus beim nächsten Angelus die Internationale anstimmt?
Unsere Seel-Besorgten indes sehen den synodalen Prozess ganz und gar nicht toxisch – im Gegenteil: Sie empfehlen gar, die synodale Dialog- und Konfliktkultur „könnte auch ein zukunftsweisender Beitrag der Kirche für eine fragmentierte Gesellschaft sein“, wie es zuletzt auf der Salzburger Pastoraltagung hieß. Wer hätte das gedacht, dass unsere braven Pastoralen plötzlich in den Geruch neomarxistischer Umtriebe kommen! Wobei: Auch hier sollte man sich fragen, was denn die schönen Worte bedeuten sollen? Wenn das der „Beitrag der Kirche für eine taumelnde Welt“ sein soll, dann – Pardon – braucht es uns nicht mehr. Denn das haben moderne Politikphilosophen schon vor Jahrzehnten unter dem Begriff „deliberative Demokratie“ präziser formuliert.
In einem hat Pell damit wohl recht: Soll der synodale Prozess ein Erfolg werden, so genügt es nicht, sich der Welt anzudienen. Wir sind nicht die bessere Welt. Im Gegenteil, so meine ich, wäre es auch hilfreich, wenn wir von säkularen Prozessen lernen würden. Die Welt ist längst nicht so schändlich, so gefallen, wie uns das manch wacker-katholischer Ritter gern weismacht. Allein: Lernen würde bedeuten, die Bedingungen zumindest halbwegs herrschaftsfreier Diskurse auch innerkirchlich umzusetzen. Den klerikalen Quarterbacks mag das wie neomarxistisches Gefasel klingen, für mich ist es der einzige Weg vom toxischen Alptraum zum Traum einer anderen Kirche. Und wessen bedürfen wir nach den vergangenen Jahren und Skandalen mehr als eines solches Traumes?