Völker-Vernichtung: Die Feuerland-Expeditionen

Indigene Völker im Südamerikanischen Feuerland
Ausgabe Nr. 32
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Initiationszeremonie für Jugendliche aus der indigenen Volksgruppe Yámana.
Pater Martin Gusinde (links) und Pater Wilhelm Koppers (rechts) wurden 1922 ehrenhalber zu
Stammesmitgliedern erklärt. Das ursprüngliche Schwarzweiß-Foto wurde nachträglich koloriert.
©Markus A. Langer; SVD
©Markus A. Langer; SVD
Verbindung zur Vergangenheit.
In der Ausstellung im Missionshaus Sankt Gabriel wird ein Korb gezeigt, den die Selk’nam Margarita Maldonado aus Argentinien in der traditionellen Flechttechnik ihrer Vorfahren hergestellt hat. Er weist eine erstaunliche Ähnlichkeit mit einem Exemplar aus der Sammlung von Pater Gusinde auf, das ebenfalls in Sankt Gabriel aufbewahrt wird. ©Markus A. Langer; SVD
©Markus A. Langer; SVD
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Die Steyler Missionare erinnern mit einer kleinen Ausstellung im Missionshaus Sankt Gabriel an die Feuerland-Expeditionen des Missionars und Ethnologen Pater Martin Gusinde vor 100 Jahren. Die Feuerland-Völker waren Anfang des 20. Jahrhunderts vom Aussterben bedroht.

Direkte Nachfahren der Selk’nam, Yágan und Kawésqar beherrschen zum Teil immer noch die alten Handwerkstechniken ihrer Vorfahren. Heute sind sie auf der Suche nach der eigenen Identität und kämpfen dafür, als lebende Kultur und indigene Gemeinschaften anerkannt zu werden. Von 1918 bis 1924 unternahm Pater Martin Gusinde (1886–1969) vier Expeditionen zu den Feuerland-Völkern Selk’nam, Yágan (Yámana) und Kawésqar , die vom Aussterben bedroht galten. Von den „Weißen“ eingeschleppte oder gezielt verbreitete Krankheiten, der Verlust der Jagdgebiete an weiße Farmer und Fischer sowie die Ausbeutung von Rohstoffreserven führten zum Verlust des Lebensraums der indigenen Bevölkerung und zu ihrem Tod. 

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Die Aufgabe der Missionare im Feuerland

Wie kann man sich das vorstellen? Was war damals die Aufgabe der Missionare zu Zeiten von Martin Gusinde?

Pater Franz Helm: Die Steyler Missionare sind als erster deutscher Missionsorden gegründet worden. Die Aufgabe bestand darin, dorthin auf der Welt zu gehen, wo das Evangelium noch nicht verkündet worden ist, und den Menschen den christlichen Glauben zu bringen. Damals war die Einstellung, wenn jemand nicht katholisch getauft ist, kommt er in die Hölle. Viele junge Männer haben sich den Missionaren angeschlossen. Sankt Gabriel war damals das einzige Ausbildungshaus unserer Ordensgemeinschaft. Als Martin Gusinde Ende 1925 wieder von Chile zurückkam, war der Höchststand an Ordensmitgliedern im Sankt Gabrieler Missionshaus mit 594 Steyler Missionaren erreicht.

Bei den Feuerland-Indianern

Neben der Hauptaufgabe der Glaubensverkündigung hat sehr früh schon die Völkerkunde in Sankt Gabriel eine große Bedeutung erhalten, weil Pater Wilhelm Schmidt, eigentlich ein Linguist, sich sehr eingesetzt hat, dass alle Missionare eine gute völkerkundliche Ausbildung bekommen. Er war ein Anhänger der damaligen Theorie vom Urmonotheismus, von einer Uroffenbarung. Man hat also angenommen, dass Gott dem Menschen bei dessen Erschaffung ein Sittengesetz mitgegeben und die ersten Menschen gelehrt habe. Diese sogenannten primitivsten Völker, die Völker auf einer sehr anfänglichen Entwicklungsstufe, hätten dieses Sittengesetz noch bewahrt. So hat man bei diesen Völkern versucht, die Einehe  genauso wie einen Glauben an einen einzigen Gott zu finden. Also man ist von Sankt Gabriel aus besonders zu diesen Urvölkern gegangen, um sie zu studieren. Die Feuerland-Völker in Chile galten als solche Urvölker und deshalb ist Pater Martin Gusinde nicht nur im Auftrag vom Museum in Santiago de Chile, wo er angestellt war, dort für die Forschungen hingegangen, sondern auch im Auftrag des Ordens und stand in ständigem Kontakt mit Pater Wilhelm Schmidt. 
 

Urmonotheismus bei den Völkern im Feuerland?

Hat man den Urmonotheismus bei diesen Völkern gefunden?

Damals war Pater Wilhelm Schmidt sehr von seiner Forschungshypothese überzeugt. Und wenn man so voreingenommen ist, genau das zu finden, was man finden will, dann findet man meistens das auch, oder das, was man findet, interpretiert man in diese Richtung. Über Jahrzehnte gab es viel wissenschaftlichen Disput um diese Frage „Gibt es den Urmonotheismus wirklich oder nicht?“ In den 1970er-Jahren wurde diese Theorie schließlich am Wiener Völkerkunde-Institut endgültig zu Grabe getragen. Aber ich denke, es ist auch wichtig zu sehen, dass keine Forschung wertfrei  und unvoreingenommen ist und dass auch heutzutage unsere Zugänge zeitbedingt sind. So war es eben damals auch. 
 

Ausstellung „Völkersterben?! – Nein, wir leben!!!“

Die Ausstellung im Missionshaus Sankt  Gabriel beleuchtet das Leben Martin Gusindes, beschreibt seine Forschungsarbeit in Feuerland und wirft einen kritischen Blick auf das Verhältnis des Wissenschaftlers zum NS-Regime. Die Situation der Feuerland-Völker und der indigene Widerstand heute werden ebenso thematisiert wie die weltweite Arbeit der Steyler Missionare und ihr Einsatz für indigene Völker in der Gegenwart. 

Forschungsarbeit in Feuerland

Im Zuge der Vorbereitung der Ausstellung wurde in der hauseigenen Bibliothek eine Rede von Martin Gusinde entdeckt. Ihr Titel: „Völkersterben in Ozeanien und in Amerika“. Der Ordensmann hielt diese 1929 beim sechsten missionswissenschaftlichen Kongress in Sankt Gabriel. Martin Gusinde ist damals mit einem Selbstverständnis aufgetreten: „Ich bin Mitglied der Yámana, dieses Volkes in Feuerland.“ Er klagte an, was alles dazu führte, dass diese Völker unmittelbar vom Aussterben bedroht waren, nämlich die Gier nach Rohstoffen und Land und die Gewinnsucht der Europäer. Aktueller Bezug zu heute ist durchaus gegeben, denn unser Wirtschaftssystem bringt auch heute Völker an den Rand des Aussterbens. 

Sammlung von Gusindes Feuerland-Artefakten

Mit fast 300 Objekten aus seinem privaten Nachlass besitzt das Missionshaus Sankt Gabriel die größte Sammlung von Gusindes Feuerland-Artefakten. Es besteht reges wissenschaftliches Interesse an der Sammlung. Die argentinischen Forscherinnen Ana Butto und Danae Fiore kamen nach Sankt Gabriel, digitalisierten und analysierten alle Objekte und wählten repräsentative Stücke für die Ausstellung aus. Die beiden Frauen stellten auch den Kontakt zwischen indigenen Gemeinschaften in Patagonien und Tierra del Fuego und den Steyler Missionaren her. 

Öffnungszeiten bis 15. November 2024, Mo. bis Fr. 8:00–14:00 Uhr, Sa. 8:00–12:00 Uhr, Sonn- und Feiertag 10:00–11:30 Uhr.
Führungen für Gruppen nach Vereinbarung möglich.
Kontakt: 02236/803 oder kommunikation@steyler.eu
Eingang: Pforte des Missionshauses Sankt Gabriel, Gabrielerstraße 171, 2344 Maria 

Martin Gusinde war Priester und Ordensmann und gleichzeitig Forscher. Er hatte zwei Herzen in seiner Brust. Wie ist er damit umgegangen? 

Martin Gusinde hat sich vor allem als Wissenschaftler verstanden und bei seinen Forschungen bei den Urvölkern war sein Interesse nicht, sie zum Christentum zu bekehren, sondern möglichst qualitativ gut diese Kulturen zu dokumentieren. Das bringt ihm auch eine Anerkennung bis heute, indem seine Forschungsergebnisse wirklich sehr geschätzt sind. Er hat natürlich so wie auch andere Ethnologen der Zeit vor Ort die Präsenz von Missionaren genutzt. In Feuerland waren zum Beispiel die Salesianer Don Boscos, die dort Missionsstationen hatten, auch Türöffner zum Kontakt mit den Selk’nam, einem dieser Feuerland-Völker. 
 

Initiationszeremonie für Jugendliche aus der indigenen Volksgruppe Yámana.

Feuerland-Expedition: Eine Sendung auf radio klassik Stephansdom

Radio-Sendung Feuerland-Expedition

Vor genau 100 Jahren beendete Pater Martin Gusinde SVD seine vierte und letzte Expedition zu den Völkern an der Südspitze Südamerikas, deren Bedrohung er vehement anprangerte. Die Ausstellung „Völkersterben?! – Nein, wir leben!!!“ erinnert im Missionshaus St. Gabriel bei Mödling an dieses Jubiläum und spannt einen Bogen vom Leben und den Forschungsarbeiten des Steyler Missionars und Ethnologen bis zur Situation der indigenen Communities in Tierra del Fuego heute. Eine Sendung von Markus Langer und Stefan Hauser.

Sendungsbeginn: 21. August 2024, 17:30 Uhr

Die dunkle Seite von Martin Gusindes Forschungstätigkeit im Feuerland

Bei Martin Gusindes Forschungstätigkeit gibt es nicht nur helle Seiten ... 

Pater Gusinde hat mit seinem wissenschaftlichen Eros auch immer wieder etwas übers Ziel hinausgeschossen. Es ist dann auch zu Auseinandersetzungen mit der Ordensleitung gekommen. Zum Beispiel wollte er unbedingt diese Rassenforschungen, die damals üblich waren, weiterführen. Als in der Nazizeit während des Zweiten Weltkriegs amerikanische Kriegsgefangene in Österreich waren, hat er sich bereiterklärt, Vermessungen an diesen Kriegsgefangenen vorzunehmen. Als die Ordensleitung davon gehört hat, hat sie ihm das verboten. Er wollte auch akademische Karriere machen. Das ist ihm zweimal von der Ordensleitung verwehrt worden. Einmal war der Grund, dass man nicht wollte, dass jemand in Wien zur Nazizeit eine Professur übernimmt, weil man negative Auswirkungen auf die Ordensgemeinschaft befürchtet hat. 
 

"Der Missionsbegriff der damaligen Zeit war sehr eng gefasst."

Wenn man den Missionsbegriff von damals mit heute vergleicht, worin liegt der Unterschied? 

Der Missionsbegriff der damaligen Zeit war sehr eng gefasst. Ein Missionar war der, der seine Heimat hinter sich gelassen hat und in die Fremde gegangen ist, irgendwohin, wo der christliche Glaube noch nicht bekannt war. Die sogenannte Erstverkündigung war das Zentrum der Mission und die Motivation, das zu tun: „Wir müssen die Seelen vor der Hölle retten!“ Das ist heute nicht mehr so. Wir gehen von einem ganzheitlichen Ansatz von Mission aus. Der ganze Mensch steht im Mittelpunkt. Die Kirche mit ihren Missionarinnen und Missionaren versucht, die Mission Jesu in der heutigen Zeit weiterzuführen. Das heißt, den Menschen die Liebe und das Heil, die von Gott kommen, erfahrbar zu machen. Dazu gehört eine ausdrückliche Wortverkündigung in Form von Bibelarbeit, dass Menschen von der Erlösungstat Gottes in Jesus Christus erfahren. Genauso zählt dazu der Einsatz für Menschenrechte, der Einsatz dafür, dass Benachteiligte in die Gesellschaft wieder integriert werden, oder der Einsatz für die Bewahrung der Schöpfung. Das alles bedeutet heute christliche Mission.  

Pater Franz Helm - Zur Person:

Pater Franz Helm war von 1987 bis 1993 als Missionar in Brasilien tätig.
Pater Franz Helm war von 1987 bis 1993 als Missionar in Brasilien tätig. ©Markus A. Langer; SVD

Pater Franz Helm

war von 1987 bis 1993 als Missionar in Brasilien tätig. Von ihm ging die Initiative zu der Feuerland-Ausstellung in Sankt Gabriel aus und der Ordensmann war maßgeblich an deren Gestaltung beteiligt. 

Martin Gusinde - Zur Person:

Pater Martin Gusinde im Alter.
Pater Martin Gusinde im Alter. ©Zeichnung von Grete Kmentt-Montandon
  • 1886: in Breslau geboren
  • 1900: als Gymnasiast im Missionshaus Heiligkreuz (Neiße, Oberschlesien)
  • 1905: Eintritt bei den Steyler Missionaren im Missionshaus St. Gabriel; Studium der Theologie sowie biologischer, physikalischer, physiologischer und anatomischer Fächer
  • 1911: Priesterweihe
  • 1912–1924: Lehrer für Biologie am Liceo Alemán in Santiago de Chile
  • 1916: Abteilungsleiter im Museo Antropológico in Santiago, Reise zu den Mapuche in Südchile
  • 1918–1924: Vier Expeditionen nach Feuerland zu den indigenen Völkern der Yagan (Yámana), Selk’nam (Ona) und Kawésqar (Halakwulup)
  • 1924-1928: Gestaltung und Betreuung der Missionsausstellung im Lateranmuseum in Rom
  • 1929–1934: in St. Gabriel für Studien und Organisation einer Missionsausstellung in Mariazell (1932)
  • 1930: erster gescheiterter Habilitationsversuch an der Universität Wien
  • 1931: Veröffentlichung von „Die Feuerland-Indianer: Die Selk’nam“
  • 1932–1949: Seelsorger der Kreuzschwestern in Laxenburg
  • 1934–1935: Expedition zu den Ituri-Pygmäen (mit Pater Paul Schebesta SVD) und zu den Twa in Ruanda
  • 1937: Veröffentlichung von „Die Feuerland-Indianer: die Yámana“
  • 1939: Veröffentlichung von „Die Feuerland-Indianer: die physische Anthropologie“; zweiter gescheiterter Habilitationsversuch an der Universität Wien
  • 1940–1842: Teilnahme an rassenbiologischen Forschungen an Kriegsgefangenen
  • 1949–1957: Professor of General Anthropology an der Catholic University in Washington (USA)
  • Ab 1958: Rückkehr nach Österreich: Lebensabend in Laxenburg und St. Gabriel
  • 1969: Martin Gusinde stirbt am Vorabend des Weltmissionssonntags am 18. Oktober
  • 1974: posthume Veröffentlichung von „Die Feuerland-Indianer: die Halakwulup“

 

Autor:
  • Porträtfoto von Markus Langer
    Markus Langer
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