Vermitteln zwischen Täter und Opfer?
Nach seiner Unterredung am Wochenende mit dem Papst erklärte der ukrainische Regierungschef Wolodymyr Selenskyj: „Bei allem Respekt für Seine Heiligkeit, wir brauchen keine Vermittler. Wir brauchen einen gerechten Frieden.“ Dass die beiden nicht dasselbe Bild für einen Ausweg aus der Misere haben, überrascht nicht. Der Papst ist ein absoluter Verfechter des Miteinander-Redens. Er hat so gut wie für jede Krise und jeden Konflikt einen Dialog eingefordert: für die Bewahrung der Umwelt, mit dem Islam, im sudanesischen Bürgerkrieg ... Er hat sogar zu einem Dialog mit den Taliban in Afghanistan aufgerufen. Miteinander Reden ist allemal besser als aufeinander Schießen.
Für Selenskyj ist aber eine Verhandlung zwischen „Aggressor und Opfer“ undenkbar. Und es gibt ja tatsächlich Konstellationen, in denen es von vornherein nicht möglich scheint, dass sich beide Seiten auf dem Verhandlungsweg auf einen Kompromiss einigen: der Vergewaltiger und sein Opfer, der Auftragsmörder und seine Zielperson, der Henker und der Hinzurichtende. Gehört ein Überfall wie jener Russlands auch dazu? Ist der Papst naiv, wenn er sich als Vermittler anbietet? Viele bezweifeln ja, dass Putin zu weiser Vernunft überhaupt noch fähig ist. Aber in vielen Konflikten kam irgendwann der Punkt, an dem allen Seiten das Reden lieber war als das Schießen, auch wenn das sehr lange dauern kann.
Selenskyjs Position ist verständlich und realistisch. Vielleicht ist es aber dennoch gut, dass sich der Papst die Rolle als Vermittler freihält. Es wäre zwar ein Wunder, würde sich ein Fenster für einen gerechten Verhandlungsfrieden öffnen. Aber wer sollte denn auf Wunder hoffen, wenn nicht der Papst?