US-Wahl: "Politik sollte nicht Gott sein"
InterviewWährend die US-Bischöfe in ihrem aktualisierten Wählerleitfaden („Forming Consciences for Faithful Citizenship“) Abtreibung zum alles überragenden Thema erklärt haben, äußert sich Papst Franziskus zurückhaltender. Bei den Themen Abtreibung und Migration sind die Christen in den USA gespalten. Wir haben zu dem Thema mit Chorherr Elias Carr - einem gebürtigen New Yorker - gesprochen.
Eine Statistik des Pew Research Institute zeigt, dass die Hälfte der registrierten Wähler katholischen Glaubens die Republikaner wählen, 52 Prozent, während 44 Prozent die Demokraten bevorzugen. Wie sehr spaltet die US-Wahl die christlichen Gemeinden in den USA?
Elias Carr: Christen sind immer noch die Mehrheit in den USA. In New York sind es hauptsächlich Katholiken. Die Kirchenbesucher bei uns in St. Rocco bilden die allgemeine Gesellschaft ab und die ist gespalten. Historisch haben Katholiken eher die Demokratische Partei gewählt, weil sie vor allem Arbeiter angesprochen hat. Die Katholiken waren am Anfang vor allem Arbeiter und Einwanderer. Als die Katholiken in den Mittelstand aufgestiegen sind, haben sie zunehmend auch die Republikaner gewählt. Demokraten und Republikaner schließen keine katholische Soziallehre ein. Sie decken einige Themen ab - aber nicht alle. Für Katholiken ist es schwierig zu entscheiden, welche Partei im Einklang mit der Kirche und ihrer Lehre ist. Als Pfarrer muss man einen Weg finden, auf alle in der Kirche einzugehen. Denn Politik sollte nicht Gott sein. Wenn Politik zum Gott wird, wird sie zum Götzen und das ist gefährlich.
Religiöse Rhetorik bei der US-Wahl
Im derzeitigen Wahlkampf kommt auch öfters religiöse Rhetorik vor. Muss sich die Religion gegen diese Politisierung stärker abgrenzen?
Politik, Religion und Kultur sind stark miteinander verflochten. Die griechische Polis ist nichts anderes als eine liturgische Gemeinschaft. Kultur kommt von Kult, das heißt Anbetung. Jede menschliche Gesellschaft ist verbunden durch Riten und Mythen. Dank Jesus Christus ist es möglich, dass wir zwischen Kaiser und Gott unterscheiden. Der Kaiser ist Gott untergeordnet. Wir haben keinen Kaiser, sondern einen Staat. Dessen Rolle ist begrenzt. Er muss sich nach den Werten Gottes richten, wenn es ein gerechter Staat sein soll. Ein Beispiel ist Menschenwürde. Jeder Mensch hat Würde und diese muss geschützt werden. Besonders schwache, kranke und alte Menschen, Kinder und Ungeborene brauchen diesen Schutz. Das ist unsere Pflicht. Als Christen sollen wir lieben. Wir müssen uns auf die Möglichkeiten fokussieren, die wir heute haben, die Menschenwürde zu schützen, Frieden zu stiften und gerecht zu leben.
Trump hatte nach dem er das Attentat überlebt hatte, von einem eingreifen Gottes gesprochen. Wie groß ist die Gefahr, dass Religion politisch instrumentalisiert wird?
Diese Gefahr ist immer da. Man muss das selbstkritisch in Grenzen halten. Es ist dynamisch und man muss bei dieser Dynamik aufpassen.
Die Rolle der Kirche bei der US-Wahl
Was macht die Kirche, um mit dieser Dynamik umzugehen?
Wir bremsen. Wenn wir eine Predigt halten, dann halten wir keine Hasspredigt - im Gegenteil. Wir betonen, dass man seine Emotionen erkennen sollte, sie sollen uns nicht beherrschen. Wie hat sich Christus benommen, als er angegriffen wurde? Er hat sich in Nächstenliebe, in Feindesliebe geübt. Gott hat uns immer geliebt, auch wenn wir seine Feinde waren. Also sollten auch wir einander Geduld schenken und miteinander auskommen. Unser Leben wird nie vollkommen sein. Aber wir können es menschlicher, gerechter und friedlicher gestalten.
Ein Thema, das emotionalisiert die Leute, ist das Abtreibung. Vor allem die Republikaner und Trump stehen in den USA gegen das Recht auf Abtreibung. Ist das für viele Katholiken ein Grund, die Republikaner zu wählen?
Ja, seit Jahrzehnten. Seit im Jahr 1973 der Supreme Court im Fall "Roe vs. Wade" Frauen das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche einräumte, sind Abtreibungen bis zur Geburt erlaubt. Vor zwei Jahren hat der Supreme Court gesagt, dass die Entscheidung wieder bei den Bundesstaaten liegt. Die Frage stellt sich: Was ist Demokratie? Demokratie hat mit der Tatsache zu tun, dass jeder Mensch wertvoll ist. Demokratie, würde ich sagen, ist eine christliche Wirklichkeit, weil Gott will, dass jeder Mensch gerettet wird. Eine Demokratie muss diese Würde anerkennen. Das ist das Problem mit der Abtreibung. Die Frage ist: Ist das ein Mensch oder nicht? Und wenn er Mensch ist, dann sollte er auch Rechte haben.
Christen bei der US-Wahl: Abtreibung als bestimmendes Thema
Die Frage nach den Rechten der Frau stellt sich auch…
… das stimmt. Die Gesellschaft sollte Mutter und Kind unterstützen. Eine Mutter, die diese Entscheidung treffen muss, ist in einer Notsituation. Sie braucht dringend Unterstützung. Die Wir müssen uns fragen, welche Gesellschaft wir seien wollen. Wollen wir sagen, dass einige Menschen uns unwichtig sind, und wir können sie einfach wegwerfen? Papst Franziskus spricht über diese Gesellschaft als Wegwerfgesellschaft. Wenn wir das nicht wollen, dann müssen wir Mutter und Kind helfen.
Laut einer Umfrage des Pew Research Institutes finden 45 Prozent der Trump-Unterstützer, dass, sollte der Wille der Menschen, also des Volkes mit der Bibel in Konflikt stehen, dann sollte die Bibel mehr Einfluss auf die US-Gesetzgebung haben. Droht damit, sollte Trump Präsident werden, ein Rückschritt hinter die Werte der Aufklärung?
Die amerikanische Bundesverfassung ist nicht leicht zu ändern. Auch wenn es einen neuen Präsidenten gibt, ist das nicht so leicht möglich, da auch der Kongress, die Abgeordneten, das Repräsentantenhaus und die Senatoren eine Rolle spielen. Trump war bereits Präsident und die Republikaner waren in beiden Häusern vertreten, aber sie haben nicht alle Trumps Politik zugestimmt. Die Frage der Rolle der Bibel in der Verfassung ist auch eher eine protestantische – das ist kein katholisches Thema.
Trumps nicht sehr christlicher Lebensweg
Trumps Lebensweg ist alles andere als ein Leben im christlichen Glauben. Wieso spricht er trotzdem so viele Christen in Amerika an?
Das hat damit zu tun, dass beides schlechte Entscheidungen sind – man wählt das geringere Übel. Viele Menschen wählen gar nicht, weil sie sich nicht vertreten fühlen. Mit dem Rücktritt von Biden als Kandidat hat sich das Ganze verschärft. Obwohl die Demokraten für Abtreibung und Transgender-Rechte stehen, war Biden immer noch Katholik. Dieser stärkere Unterschied zwischen Harris und Trump könnte ihr helfen, aber es könnte auch viele Leute abschrecken.
Was sind die Themen, die Christen und Christinnen in den USA beschäftigen?
Das Hauptthema ist Abtreibung. Aber auch das Thema Migration, ist für viele wichtig. In New York haben wir viele Einwanderer. Das ist vor allem bei der spanischsprechenden Gemeinde so, aber nicht nur. Gerade in der Gruppe gibt es viele Katholiken.
US-Wahl spaltet christliche Gemeinden
Kommt es aufgrund der US-Wahl in letzter Zeit in christlichen Gemeinden auch zu Konflikten?
In den Sozialen Medien vertreten Leute oft ihre Meinung sehr laut. Im Allgemeinen habe ich in meinen fast 13 Jahren bei verschiedenen Wahlen aber immer erlebt, dass die Menschen miteinander gemeinschaftlich umgehen. Es ist essenziell, dass wir uns erinnern, dass Politik wichtig ist, aber es ist nur Politik. Es ist nicht am wichtigsten. Ich hoffe wir Christen verlieren nicht diese Perspektive. Wenn wir sie verlieren, sind wir keine Christen mehr.
Zur Person: Elias Carr
Elias Carr ist Augustiner Chorherr und Kämmerer in Stift Klosterneuburg. Elias gehörte zu drei Chorherren, die 2011 zur Gründung der Niederlassung des Stiftes in Glen Cove/Long Island (USA) entsandt wurden. Dort war er Pfarrer von Saint Rocco und Leiter der Schule „All Saints“.
Buchtipp
Am 14. November 2024 erscheint "I came to cast fire - An Introduction to René Girad" von Chorherr Elias Carr.
Das Buch bietet eine Einführung in das Denken und die Philosophie des katholischen Antrophologen René Girad (1923-2015) und ist hier erhältlich.