Unendliche Wiederholung der Leitkultur
HirtenhundIch komme langsam in ein Alter, in dem ich mir immer häufiger verwundert die Augen reibe und mich frage: Hatten wir das nicht vor 10, 20, 30 Jahren schon mal…? Plateauschuhe, dicke Hornbrillen, Golden Retriever. Und jetzt auch noch das: eine Leitkultur-Debatte. Leider wird das alles nicht besser, wenn man es in die x-te Wiederholung schickt. Und eigentlich sollte man es auch gleich wieder zurück in die Mottenkiste jagen, hat das ganze Leitkultur-Gerede doch den fahlen Beigeschmack, nicht mehr als ein hilfloser Vorwahlkampf-Gag zu sein, um auf freiheitlichem Terrain ein paar verirrte bürgerliche Stimmen zurück in den volksparteilichen Hafen zu lotsen. Dabei sind sich die Experten einig: Eine Leitkultur in rechtsverbindliche Form zu gießen, dürfte ein Ding der Unmöglichkeit und also zum Scheitern verurteilt sein.
Gleichwohl gibt es gegenüber der Debatte vor 20 Jahren deutliche Akzentverschiebungen. Damals beteiligten sich auch kirchliche Stimmen kräftig – allen voran der damalige Grazer Bischof Egon Kapellari. Zu seinen Top-Hits, mit denen er erfolgreich tourte, zählte nämlich nicht nur die Rede vom „Bauplatz Europa“ oder den „wetterfesten Christen“ (die 2007 im Mariazeller Regen auf Benedikt XVI. warteten), sondern auch die „christlich geprägte Leitkultur in Europa“. Soziale Gerechtigkeit gehöre zu dieser Leitkultur ebenso wie Solidarität, die Achtung vor dem Leben und die Würde der Person, so Kapellari damals. Dagegen läuft die Debatte heute wahrlich kleinkariert: Vom Christentum ist heute nurmehr kleinlaut die Rede, von Europa spricht in dem Kontext auch niemand mehr. Leitkultur ist, wo gewalzert, geschnitzelt und auf jeden Fall nicht gegendert wird. Eine wahrhafte Ich-bin-es-leid-Kultur-Debatte.
Wie wäre es zur Abwechslung mal, es mit mehr statt mit weniger Europa zu versuchen und sich an Artikel 2 des Lissabon-Vertrages zu erinnern? Dort heißt es: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte, einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“ Große Worte, für deren Verlebendigung es keine nationale Hausordnung braucht. Vielleicht böte die Fastenzeit, die ja bekanntlich der Einübung einer Leidkultur dient, einen willkommenen Anlass, sich dessen zu besinnen.