Tobias Haberl war "Unter Heiden"

Warum Christ bleiben
Ausgabe Nr. 47
  • Kunst und Kultur
Autor:
Tobias  Haberl geboren 1975 im Bayerischen Wald, ist Autor beim Süddeutsche Zeitung Magazin in München.
Tobias Haberl geboren 1975 im Bayerischen Wald, ist Autor beim Süddeutsche Zeitung Magazin in München. ©Matthias Ziegler
Ein gläubiges Leben ist ein schönes und ein sinnvolles Leben. Ein Blick in die Höhe in der Münchner Theatinerkirche. Hier besucht Tobias Haberl gerne die Heilige Messe.
Ein gläubiges Leben ist ein schönes und ein sinnvolles Leben. Ein Blick in die Höhe in der Münchner Theatinerkirche. Hier besucht Tobias Haberl gerne die Heilige Messe. ©Pedro J Pacheco

Es gibt auch eine strahlende, es gibt eine positive Seite der Kirche und des Glaubens. Auf diese will der Journalist Tobias Haberl hinweisen. Er betitelt sein Buch "Unter Heiden" und überlegt darin, was das 21. Jahrhundert von Christen lernen kann.

 

Nach einem Essay in der Süd­eutschen Zeitung über die Liebe zu seinem Glauben und sein Bekenntnis zur katholischen Kirche erlebte Tobias Haberl viel Zustimmung. Er setzte seine Gedanken und Erfahrungen in einer säkularen Gesellschaft in einem Buch fort und untertitelte dieses markant: "Warum ich trotzdem Christ bleibe".

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Die Kindheit von Tobias Haberl

Herr Haberl, Sie stammen aus dem Bayerischen Wald. Wie sind Sie aufgewachsen?

Tobias Haberl: Ich bin auf dem Land groß geworden in den 1970er und 1980er Jahren, in einer christlichen, liberal-kon­servativen Familie. Da ging es nicht den ganzen Tag um den Glauben, aber katholisch sein, das war eine Selbstverständlichkeit. Zwar hatte ich von theolo­gischen Fragen keine Ahnung, trotzdem bin ich jeden Sonntag mit meinem Vater in die Messe und danach ins Wirtshaus, wo die Belohnung gewartet hat: ein Schweinebraten und eine Limonade. Das war der heilige Sonntag und die meisten Menschen, die ich kannte, haben das genauso gemacht. Getuschelt wurde damals – anders als heute – über die, die nicht in der Kirche waren. Meine katholische Kindheit war schön und sorglos, da war kein Druck und keine Angst. Was das eigentlich bedeutet, ein religiöser Mensch zu sein, darüber habe ich erst viel später nachgedacht, nachdem ich jahrelang weit weg von Gott war.

Wie haben Sie sich vom Glauben entfernt?

Ich glaube, es hat damit zu tun, dass ich das Elternhaus und die Provinz verlassen habe und in die große Stadt gekommen bin. Danach habe ich erstmal sämtliche Autoritäten in Frage gestellt: die Eltern, die Lehrer, den altmodischen Pfarrer. Wenn mich damals jemand gefragt hätte, hätte ich immer gesagt, dass ich katholisch bin, aber ich habe meinen Glauben nicht praktiziert. Erst vor einigen Jahren kehrte er mit großer Wucht zurück in mein Leben. Es gab kein Schlüsselerlebnis, das Ganze war eine schleichende Entwicklung, sicherlich beeinflusst durch meine Kindheit. Ich habe faszinierende gläubige Menschen kennen gelernt, Martin Mosebach, Navid Kermani, Peter Sewald, bin wieder gelegentlich in die Messe, habe Exerzitien gemacht und einfach irgendwann gemerkt: Etwas fehlt, in meinem Leben, aber auch in der westlichen Gesellschaft insgesamt. Fast alles ist per Mausklick zu haben, man hangelt sich von einem Dopaminschub zum nächsten, aber findet keine Ruhe, keinen Frieden. Anders der Glaube, der sich von Tag zu Tag wahrer und richtiger anfühlt.

„Ich merke, dass ich mit meinem Glauben auf sehr viel Unverständnis stoße."

Warum Tobias Haberl unter Heiden lebt

Jetzt sind Sie sozusagen wieder zurückgekehrt ins katholische Bayern, wo man Katholizität noch liebt. Warum dennoch unter Heiden – weil Sie in München sind?

Es liegt weniger an München als an dem Milieu, in dem ich mich bewege. Sowohl in meinem gentrifizierten Viertel als auch bei der linksliberalen Zeitung, für die ich arbeite, bin ich von Menschen umzingelt, die mit Gott wenig und der Kirche überhaupt nichts anfangen können. Manche halten sie für überflüssig, andere für das Böse schlechthin. Viele sagen gar nicht Kirche, sondern abschätzig „dieser Verein“ oder „diese Firma“. Es ist sonderbar: Einen Atemworkshop in Thailand zu besuchen ist in diesen Kreisen das Normalste der Welt, aber wenn man erzählt, dass man am Sonntag in die Messe geht, wird man angeschaut wie ein Marsmensch.

Als gläubiger Mensch ist man vom Konformisten zum Rebellen geworden, der sich auch noch dafür rechtfertigen soll, dass er macht, was er immer gemacht hat. Dieses Gefühl, als gläubiger Mensch nicht mehr verstanden zu werden, hat dazu geführt, dass ich den Wunsch hatte, mich zu erklären. Was machen wir Christen eigentlich, wenn wir in der Messe sind? Woran glauben wir? Wofür beten wir? Worauf hoffen wir? Und warum wie prägt unser Glaube die Gesellschaft auch im Guten, ohne dass die es merkt? In meinem Umfeld sind die meisten davon überzeugt, dass die Kirche endlich zeitgemäß werden müsse. Keiner versteht, dass ihr Wert gerade in der Differenz zum Zeitgeist liegt, dass sie eine oft blind nach vorne stürzende Gesellschaft auch vor sich selbst schützen muss. Verstehen Sie mich nicht falsch: Natürlich muss die Kirche heute anders zu den Menschen sprechen als vor 500 Jahren, das heißt aber nicht, dass sie alles über Bord werfen soll, was 2000 Jahre lang gegolten hat. Und es heißt auch nicht, dass sie nur noch sagen soll, was die Menschen von ihr hören wollen. Nein, in einer digital optimierten, aber seelisch oft verkümmerten Gesellschaft muss die Kirche auch unbequem bleiben, der Weg in die Harmlosigkeit wäre fatal.

Im Süddeutsche Zeitung Magazin hat Ihr Chefredakteur Michael Ebert auf Ihren Essay geantwortet unter dem Titel »Unter Christen«. Als Nichtgetaufter erlebe er nämlich ständig Kirche, die deutsche Gesellschaft sei immer noch zu christlich geprägt, als Atheist fühle er sich jedenfalls oft ausgeschlossen. Wie haben Sie sich damit ihm ausgetauscht?

Er hat mich gefragt, ob es okay für mich sei, wenn er diesen Text schreibe. Ich meinte, selbstverständlich, er könne schreiben, was er wolle. Ich fand seinen Text dann gar nicht übel, er hat stimmig argumentiert und einige schöne Beispiele und Zitate gebracht, trotzdem habe ich gemerkt, dass es nicht viel bringen würde, sich tiefer auszutauschen oder in eine Debatte zu gehen. Warum? Er hat die Kirche ausschließlich als Institution kritisiert. Zu altmodisch. Zu patriarchalisch. Zu frauenfeindlich. Und so weiter. Sich auf das Göttliche einzulassen, das hat er nicht versucht, im Grunde hat er die Kirche nur als gesellschaftspolitische Kraft beschrieben, als wäre sie eine Partei oder ein philanthropischer Verein. Aber mein Buch ist ja gerade ein Plädoyer dafür, dass sich die Kirche schon auch in Fragen der Zeit einmischen muss, aber ihren Kern nicht vergessen darf: die Anbetung Gottes und die Hoffnung auf das ewige Leben. Neulich habe ich gelesen, dass nur noch ein Drittel der Kirchenmitglieder daran glaubt, dass Gott sich in Jesus Christus zu erkennen gegeben hat. Heiden gibt es also nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Kirche.

Bleiben wir beim Gesellschaftlichen. Im Mainstream hat man ja manchmal das Gefühl, das Kind wird mit dem Bade ausgegossen. Da haben wir das Kreuz, das aus dem Friedenssaal in Münster entfernt wurde, also dem Ort, wo der 30-jährige Religionskrieg beendet wurde. Der Hintergrund: Menschen unter-schiedlicher Kulturen nahmen an einem G7-Gipfel teil. Wie ordnen Sie das ein?

Ich halte das für falsch verstandene Toleranz einer Gesellschaft, die ihr Gespür für ihr kulturelles Erbe verloren hat und oft nicht mal mehr weiß, was sie da eigentlich ablehnt. Eine als Rücksichtnahme getarnte Wurschtigkeit. Denn was ist schlimm daran, wenn in einem christlich geprägten Land ein Kreuz in einem historischen Saal hängt? Erst recht, wenn in diesem Saal ein Religionsfrieden geschlossen wurde, dieses Kreuz also ein Symbol für Toleranz und Verständigung ist? Der muslimische Schriftsteller Navid Kermani sagt: „Toleranz kann nur eine Bedeutung haben, wenn etwas gilt, das etwas anderes gelten lassen könnte. Wenn alles gleich gut und gleich gültig, also letztlich gleichgültig ist, erübrigt sich Toleranz.“ Anders ausgedrückt: Wie soll man jemandem Respekt entgegenbringen, der sich, um bloß niemanden zu verprellen, lediglich in einer gefälligen Light-Version zu erkennen gibt, also nicht zu sich selbst steht?

Es ist doch so: Wer an Gott glaubt, kann nicht an andere Götter glauben. Das ist keine Diskriminierung, das liegt in der Natur der Sache und wird von Andersgläubigen viel leichter als von Ungläubigen akzeptiert. Also ich fühle mich andersgläubigen Menschen ehrlich gesagt oft viel näher als ungläubigen, zum Beispiel meiner früheren Partnerin, einer asiatischen Buddhistin. Die Atheisten in meinem Umfeld hören „Kirche“ und denken ausschließlich an Missbrauch und Vertuschung, während sie ihre strahlende Seite ignorieren, die Schönheit, den Trost, die Hoffnung auf das ewige Leben. Ich habe das Buch auch deshalb geschrieben, weil ich stellvertretend gekränkt bin für Millionen frommer Kleriker und Laien, die jeden Tag im Namen Gottes Gutes tun, ohne auf Instagram damit zu prahlen. Ich glaube, dass unsere Gesellschaft ohne die Kirche kälter und ärmer wäre. Das aber ist vielen Menschen nicht mehr bewusst. Im Übrigen haben viele auch kein Gespür dafür, dass es in der Kirche viel diverser und vielfältiger zugeht als auf den meisten Abendessen und Partys von Menschen, die den ganzen Tag Diversität fordern.

Tobias Haberl über die Fehler der Kirche

Haben Sie eine Erklärung für diese Entwicklung?

Natürlich hat die Kirche Fehler gemacht. Sie redet zu viel von Politik und zu wenig von Gott. Den Missbrauchsskandal arbeitet sie eher widerwillig auf. Das alles erklärt aber nicht, warum ihr die Menschen davonlaufen. Der tiefere Grund ist, dass sie quer zum Zeitgeist steht. Der moderne Mensch möchte nicht an Pflichten erinnert werden, er möchte tun und lassen, was er will. Vor allem in den urbanen Zentren wird die Kirche als reaktionär, patriarchalisch und verlogen empfunden. Sie sagen: Warum sollte ich einer 2000 Jahre alten Religion folgen? Ich weiß doch selbst am besten, was gut für ist. Ich lasse mir doch nichts von alten, weißen Männern vorschreiben. Leider kommen nur wenige auf die Idee, dass gerade in einer modernen Gesellschaft, der gespenstische technologische Möglichkeiten zur Verfügung stehen, eine unzeitgemäße Kraft kostbar sein kann. „Was der Gegenwart besonders missfällt, ist wahrscheinlich das Zukunftsträchtigste“, sagt Martin Mosbach. Ich habe den Eindruck, dass die Grundsehnsucht bei allen Menschen die gleiche ist: Sie suchen Halt, Orien­tierung und Liebe. Ich finde das alles bei Gott, aber viele setzen lieber auf Optimierungstrends aus dem Internet, die ihnen zweifelhafte Life-Coaches andrehen. Meditation, Stille, Rhythmus, Rituale, Gemeinschaft – im Christentum ist alles da, was man für ein gelungenes Leben braucht, und die Menschen sehnen sich danach, aber bitte nicht mit der Kirche als Absender.

„Seitdem ich Gott wieder einen größeren Raum einräume, wird mein Leben sinnlicher und tiefer.“ 

Sind Sie ein katholischer Mutmacher? Was spricht denn für ein Leben mit Gott?

Seitdem ich Gott wieder einen größeren Raum einräume, wird mein Leben sinnlicher und tiefer. In einer immer hysterischer werdenden Öffentlichkeit freue ich mich über die Gelassenheit, die mir mein Glauben schenkt. Ich bin auch jemand, der darunter leidet, wie sich die Gesellschaft entwickelt. Vieles erscheint mir oberflächlich und seelenlos. Auch gewinnen viel zu oft die Falschen, im Arbeitsleben oder in der Politik. Da hilft der Glaube. Und natürlich habe ich auch Angst, vor der Zukunft, vorm Alleinsein, vor dem Sterben, aber da ist etwas Warmes und Sanftes, auf das ich mich verlassen kann, ein Licht, das irgendwo brennt, manchmal nur schwach, aber es geht nicht aus. Ich weiß, wo ich hingehen und an wen ich mich wenden kann, wenn ich nicht weiterweiß, und danach ist meine Angst nicht verschwunden, aber ich spüre die Kraft, es mit ihr aufzunehmen. Wissen Sie, ich spüre viel Unsicherheit und Erschöpfung in unserer Gesellschaft. Sie kommt mir auch unfrei vor. Ich habe nie verstanden, warum sich Menschen von Gottes Geboten gegängelt fühlen, während sie sich von fragwürdigen Tech-Propheten aus dem Silicon Valley konditionieren lassen wie eine Taube in der Skinner-Box. Tatsächlich wird man erst im Glauben wirklich frei. Die Prioritäten verschieben sich. Was vorher wichtig war, zählt nicht mehr. Man wird nicht von undurchsichtigen Mächten heute hier- und morgen dorthin geschoben, sondern weiß, nach wem man sich richtet.

Ich habe das Gefühl, dass ich durch mein Glauben freier bin, dass ich der Zukunft gelassen entgegenschauen und mit der Angst vor dem eigenen Tod oder dem meiner Liebsten besser fertigwerden kann. Es ist ein großes Problem, dass die westlichen Gesellschaften den Tod verdrängen. Im Silicon Valley wird ja schon an seiner Abschaffung gearbeitet. Ich bin mal gespannt, wohin uns diese Experimente führen. Ich glaube, wir müssen uns mit ihm auseinandersetzen. Und ich glaube, dass diese Auseinandersetzung das eigene Leben vertiefen und verdichten kann.

Warum sollte man Ihr Buch lesen?

Ich verrate Ihnen etwas: Ich habe beim Schreiben etliche Krisen durchgestanden und mich immer wieder gefragt, warum ausgerechnet ich dieses Buch schreiben sollte. Erstens gibt es schon so viele Bücher über den Glauben, und zweitens bin ich kein Theologe oder Religionslehrer, sondern ein ganz normaler Sünder, der an Gott glaubt. Irgendwann habe ich meinen katholischen Freund gefragt, aber der fand die Bedingungen geradezu ideal: „Über den Glauben muss man nichts wissen, vom Glauben muss man erzählen“, meinte er. Und dass ich keinen Satz schreiben solle, für den ich mich nicht totschießen lassen würde. Und das habe ich dann gemacht. Herausgekommen ist ein fast schon schmerzhaft aufrichtiges Buch über meinen Glauben und meine Zweifel, nicht zuletzt die Kritik einer oft atemlosen und selbstbesoffenen Gesellschaft, die ohne Gott nirgendwo ankommen wird, wo es schön ist.

Buchtipp: Unter Heiden

Tobias Haberl, Unter Heiden, btb, 288 Seiten, ISBN: 978-3-442-76287-3, EUR 22,70

Tobias  Haberl geboren 1975 im Bayerischen Wald, ist Autor beim Süddeutsche Zeitung Magazin in München.

Zur Person: Tobias Haberl

Tobias Haberl wurde 1975 im Bayerischen Wald geboren und ist Autor beim Süddeutsche Zeitung Magazin in München. Er hat bereits mehrere Bücher publiziert. Für seinen Essay "Unter Heiden" erhielt er 2023 den Reporterpreis. 

Autor:
  • Sophie Lauringer/Georg Pulling
  • Stefan Hauser
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