Stress lass nach: Therapeut gibt Tipps
SommergesprächeSommer, Sonne, Meer: Nicht immer ist unser Alltag so entspannt, wie in der Urlaubszeit. Und auch in den Sommermonaten raufen sich so manche Eltern die Haare, weil Arbeit und Kinderbetreuung in Einklang zu bringen sind - Stress ist vorprogrammiert. Der Wiener Psychotherapeut Gerhard Blasche gibt Tipps, wie uns Arbeit und Alltag weniger erschöpfen und weniger Stress bereiten.
Herr Blasche, Sie sagen, Erholung ist wichtiger denn je. Und schwieriger. Was macht uns so müde?
Gerhard Blasche: Die Arbeitsbelastung hat sich in den letzten 30 Jahren erhöht. Einer der Gründe ist, dass sich die Einstellung zur Arbeit verändert hat: Wir sind eigenverantwortlicher als die Generation vor uns. Wir nehmen die Arbeit persönlicher, identifizieren uns mehr damit. Einerseits sind wir dadurch produktiver, die Arbeit macht mitunter auch mehr Spaß. Andererseits investieren wir mehr in die Arbeit. Neue Technologien verschärfen diese Entwicklung noch: Arbeit wird grenzenlos. Wir können immer und überall arbeiten.
Wie sieht eine Arbeit aus, die nicht müde macht?
Eine Arbeit, die mir mehr Freiraum und Bestätigung verschafft, ist weniger ermüdend als eine, die sehr fremdbestimmt ist und sich nicht lohnend anfühlt. Gleichzeitig braucht es Erholungsinseln während und nach der Arbeit, bei denen ich Stress abbauen kann und die Anforderungen wenigstens eine Zeit lang loslassen kann, um mich wieder zu regenerieren.
„Es ist schwieriger zur Ruhe zu kommen.“
Wie kann das gelingen?
Eine gute Arbeit ist eine, wo ich nicht vollkommen verausgabt bin. Auch deshalb, weil sonst meine Arbeitsleistung leidet. Pausen sind nicht frivol, sie sind im Sinne eines Arbeitgebers. Denn dadurch wird die Leistung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen besser.
Wieviel Pausen wären ideal?
Das ist individuell. Aber als Faustregel gilt: Ungefähr zehn Prozent der Arbeitszeit sollte Pausenzeit sein. Also jede Stunde etwa fünf bis sechs Minuten oder alle zwei Stunden etwa zehn Minuten Pause. So lässt sich die Ermüdung weitestgehend ausgleichen.
Stress durch neue Medien
Freizeit wird zuweilen ja auch schon zur Arbeit und kann erschöpfen?
Das Freizeitangebot hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich ausgeweitet. Wir sind weit mehr Verlockungen ausgesetzt: etwa unendlich vielen, endlosen TV-Serien. Wir können auch überall hin reisen. Das macht es schwieriger zur Ruhe zu kommen. Das gilt insbesondere für die Neuen Medien. Wir sind verlockt und versucht dranzubleiben. So sind sie gemacht. Kurzfristig ist das sogar ganz gut, um abzuschalten. Aber langfristig ist es nicht ideal, weil es uns geistig nicht zur Ruhe kommen lässt.
Was hilft beim Abschalten: Hobbys? Familie? Kinder?
Personen mit Kindern können tatsächlich besser abschalten, weil als Mutter oder Vater habe ich noch mal eine andere Rolle und komme auf ganz andere Gedanken. Was natürlich nicht heißt, dass Kinder, vor allem kleine, nicht fordernd sein können. Dasselbe gilt für Hobbys. Einer Tätigkeit nachzugehen, die einem Freude bereitet und einen erfüllt, hilft. Das muss nichts Spektakuläres sein. Auch Entspannungstechniken helfen. Oder Musik, Natur, Achtsamkeitsmediatationen. Allein auf die Umgebung zu achten, achtsam zu sein, hilft sich von belastenden Gedanken zu lösen.
Wir sind weit mehr Verlockungen ausgesetzt.
Wie können Sie am besten abschalten?
Ich kann gut draußen im Grünen abschalten. Im Wald, abseits der Stadt. In meinem Garten beim Herumbasteln oder Rasenmähen – das macht mir Freude.
Sie hören gerne radio klassik Stephansdom, haben Sie mir verraten. Bei welcher Musik können Sie sich besonders gut erholen?
Bei langsamer klassischer Musik wie bei Bach. Das Wohltemperierte Klavier beruhigt mich sehr.
Mehr Stress durch den Sommerurlaub?
Der Sommerurlaub liegt vor uns. Bringt er mehr Stress oder Erholung?
Es ist erwiesen, dass Urlaub erholsam ist: Personen sind während und unmittelbar nach einem Urlaub weniger müde und weisen ein besseres Wohlbefinden auf. Haben weniger psychosomatische Beschwerden, schlafen besser. Urlaub vermittelt uns so etwas wie Freiheit. Erlaubt uns einen kurzen Blick in eine goldene Zeit, in der ich keinen Verpflichtungen ausgesetzt bin und meinen Neigungen und Interessen unbeschwert nachgehen kann.
Gibt es eine ideale Urlaubslänge?
Überraschenderweise hat die Dauer des Urlaubs wenig Einfluss auf die subjektive Erholung. Egal ob zehn Tage, zwei Wochen oder drei Wochen: Für den Erholungseffekt am Ende macht das kaum einen Unterschied. Denn das meiste an Erholung passiert tatsächlich in den ersten Urlaubstagen. Der Rest ist ein Bonus an Lebensfreude, aber nicht notwendigerweise Erholung.
Zur Person
Gerhard Blasche ist Psychotherapeut, Klinischer Psychologe und Dozent am Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien. Er forscht dort zur Ermüdung durch die Arbeit und Erholung von der Arbeit.
Mehr dazu in seinem Buch: „Erholung 4.0 – Warum sie wichtiger denn je ist“
Sommergespräch: Gerhard Blasche
Das ganze Interview hören Sie am Montag, 1. Juli 2024,17:30 Uhr auf radio klassik Stephansdom