Revolution der Hausgehilfinnen in Wien
FrauengeschichtenDie Öfen heizen, Frühstück machen, Kleider putzen, einkaufen, Zimmer bürsten, Geschirr waschen, die Kinder beaufsichtigen, Abendessen zubereiten, wieder Geschirr waschen und oft bis spät in die Nacht hinein noch die Wäsche machen – das Tagewerk einer Hausgehilfin in Wien um 1900 begann um 6:00 Uhr früh und endete oft erst um 22:00 Uhr. Hatte die Herrschaft Gäste eingeladen, dauerte der Arbeitstag noch bis spät in die Nacht. Zeitausgleich oder verpflichtende Pausen waren nicht eingeplant. Alle zwei Wochen hatten Hausgehilfinnen einen halben Tag frei. Die Mädchen kamen oft den ganzen Tag nicht dazu, einmal durchzuschnaufen.
Um 1900 gab es in Wien rund 100.000 Dienstboten. Auch weniger wohlhabende Familien hielten sich zumindest ein „Mädchen für alles“. Hausgehilfinnen kamen oft vom Land in die Stadt – ein Wechsel, der für nicht wenige einen Kulturschock bedeutete. Viele hatten weder Verwandte noch Freunde in der Stadt und standen mit ihren Sorgen und Problemen alleine da. Mit wem konnten sie die wenige Freizeit verbringen? Wo konnten sie sich hinwenden, wenn es am Arbeitsplatz Probleme gab? Ausbeutung, schlechte Unterbringung, mangelhaftes Essen, körperliche und psychische Gewalt und nicht selten sexuelle Übergriffe auf das junge Dienstpersonal waren oft trauriger Alltag. Wie Zigtausende kam auch die knapp 14-jährige Johanna Weiß aus Mureck in der Steiermark in die Residenzstadt Wien, um hier als Hausgehilfin zu arbeiten. Über zwei Jahrzehnte war die junge Frau in diesem Beruf tätig, in dem ein großer Teil der damaligen weiblichen Berufstätigen ohne rechtliche und soziale Absicherung arbeitete. Die beherzte Katholikin und kluge Frau, die es zur Wirtschafterin brachte, kannte die oft harten und ungerechten Arbeitsbedingungen der Haushaltsgehilfinnen. Mit Unterstützung der Katholischen Frauenorganisation Niederösterreich gründete Johanna Weiß 1909 den Verband Christlicher Hausgehilfinnen und wurde dessen Präsidentin.
Das Hausgehilfengesetz 1920 war ein Meilenstein
Johanna Weiß setzte sich für die Einführung eines Dienstvertrages für Hausgehilfinnen ein. „Gemeinsam mit Hildegard Burjan arbeitete sie am ,Hausgehilfengesetz‘, das der Nationalrat 1920 verabschiedete und damit wichtige sozialpolitische Forderungen dieses Berufsstands erfüllte. Es reduzierte die tägliche Arbeitszeit der Dienstboten auf elf Stunden und räumte ihnen das Recht auf einen freien Nachmittag pro Woche ein“, informiert die Kirchenhistorikerin Michaela Sohn-Kronthaler. Der Vertrag brachte auch Verbesserungen bezüglich des Urlaubsanspruchs, einer Kranken- und Altersversicherung sowie der Kündigungsfrist. Für das Zustandekommen des Gesetzes setzten sich die ersten weiblichen Abgeordneten im Parlament gemeinsam ein.
Ziel des Verbands Christlicher Hausgehilfinnen war es, die Dienstnehmerinnen in ihren religiösen, sozialen und vor allem beruflichen Interessen sowie in ihrer beruflichen Aus- und Weiterbildung zu unterstützen. Der Verband unterhielt eine Rechtsberatungsstelle, eine Stellenvermittlung, „Durchzugs-“ und Altersheime für arbeitslose und erwerbsunfähige Hausgehilfinnen sowie ein Erholungsheim. Auch Kurse und Veranstaltungen wurden organisiert. Bis 1969 gab der Verband zudem die Monatszeitschrift „Die Hausgehilfin“ heraus. Gründerin Johanna Weiß engagierte sie sich in späteren Jahren als christlichsoziale Abgeordnete im Niederösterreichischen Landtag und war im erweiterten Vorstand der Katholischen Reichsfrauenorganisation Österreichs. „Die Gründerinnen des Verbands Christlicher Hausgehilfinnen haben sehr praktisch gedacht und sich gefragt: Was sind die Schwierigkeiten, mit denen junge Mädchen in Wien konfrontiert sind?“, sagt Buchautor und Geschichtsexperte Günter Fuhrmann dem SONNTAG. „Es war die Blütezeit der katholischen Soziallehre. Johanna Weiß und ihre Mitstreiterinnen setzten auf Hilfe zur Selbsthilfe.“
Den Verband Christlicher Hausgehilfinnen in Wien gibt es mittlerweile nicht mehr. In Linz bietet der „Berufsverband christlicher Hausangestellter Oberösterreichs” für junge Frauen das Wohnheim Notburgahaus sowie 70 Singlewohnungen.