Reden wir über die Kinder
Serie zur BioethikDie Perspektive der Kinder – das ist es, was mir in der ganzen Diskussion fehlt. Es geht um elterliche Wunscherfüllung und um die Möglichkeiten der modernen Fortpflanzungsmedizin, aber die Bedürfnisse der ,entstehenden‘ Kinder wird größtenteils ausgeblendet “, kritisiert Klaus Vavrik. „Das ist für mich nicht nachvollziehbar, denn wenn das Ziel ein Kind ist, ein neues Lebewesen, dann müsste man doch eigentlich alle Entscheidungen am Wohl und an den Bedürfnissen dieses neuen Lebewesens orientieren.“ Klaus Vavrik ist Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, Präsident der österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit sowie ärztlicher Leiter des Zentrums für Entwicklungsneurologie und Sozialpädiatrie im 10. Wiener Gemeindebezirk.
Probleme bei Kindern durch künstliche Befruchtung
„Ich bin nicht generell gegen die Reproduktionsmedizin, aber so wie das alles derzeit läuft, stehe ich ihr kritisch gegenüber“, stellt er im Gespräch mit dem SONNTAG klar. „Verstehen Sie mich nicht falsch: Ein nicht erfüllter Kinderwunsch ist für viele Menschen ein echtes Problem. Und wenn dann jemand sagt: ,Ich habe eine Lösung für ihr Problem‘, dann ist es nachvollziehbar, dass potentielle Eltern diese Lösung für sich in Anspruch nehmen wollen.“ Die Fortpflanzungsmedizin stimuliere mit den Methoden der In-Vitro-Fertilisation (IVF) Hoffnung. „Was fehlt, ist jemand, der sagt: ‚Ja, diese und jene Möglichkeiten haben wir, aber das kann dann diese oder jene Konsequenzen haben.’“ sagt Klaus Vavrik.
In der Öffentlichkeit wird gerne über die Erfolgsgeschichten gesprochen - der Rest bleibt lieber unerwähnt.
Künstlich gezeugte Kinder: Ein gutes Geschäft
Das Problem sieht Vavrik vor allem darin, dass die tiefe Sehnsucht nach einer Familie immer mehr auf Geschäftsinteressen trifft. Das Frauen immer später Kinder bekommen wollen, mit dem ersten Baby warten bis sie 36, 37, 38 Jahre alt sind, stimuliere diesen Markt zusätzlich und er werde immer größer. „Reproduktionsmedizin ist mittlerweile ein großes Geschäft geworden – da kann man nichts beschönigen. Das Meiste, was hier passiert, passiert aus Geschäftsinteressen. Und wenn dann in den Kinderwunschkliniken der fachärztliche Berater zugleich auch der Verkäufer ist, dann scheint mir das nicht seriös“, so Vavrik. Über Risiken wie Mehrlingsschwangerschaften oder Frühgeburten, vielleicht sogar das höhere Risiko für eine Behinderung, einer Tumorerkrankung oder dass diese Kinder öfter ins Krankenhaus müssen als ihre Altersgenossen, werde bei diesen Gesprächen nämlich auch häufig nicht gesprochen. „Wenn das Kind dann Probleme hat, krank ist oder sogar eine Behinderung welcher Art auch immer hat, sitzen die verzweifelten Eltern bei mir und sagen: ,Das hat uns vorher keiner gesagt‘.“ Aber darüber werde in der Öffentlichkeit nicht oder kaum gesprochen. „Man zeigt die Erfolgsgeschichten“, sagt Vavrik: „Der Rest bleibt lieber unerwähnt.“
Gesetzliche Regelung fehlt
Im Jänner 2015 wurde in Österreich eine Novelle zum Fortpflanzungsmedizingesetz verabschiedet. Unter anderem sind jetzt die Eizellenspende und in Ausnahmefällen auch der Einsatz von Präimplantationsdiagnostik erlaubt. „Das wäre die Gelegenheit gewesen, gesetzliche Bestimmungen aufzunehmen, die vor allem die Kinder schützen,“ sagt Klaus Vavrik. Leider sei das aber verabsäumt worden. So fehle weiterhin einer Beschränkung, was die Zahl eingesetzter Eizellen bei einer künstlichen Befruchtung betrifft. „In Österreich können mehrere befruchtete Eizellen eingesetzt werden, was das Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft und einer Frühgeburt erhöht – beides kann dem Kind enorme gesundheitliche Probleme bereiten.“ In Schweden etwa sei der Single-Embryotransfer gesetzlich verankert – da darf nur eine befruchtete Eizelle eingesetzt werden. „Dort hat der Gesetzgeber gesagt: Unser Ziel ist ein gesundes Kind und das zum Geburtstermin und nicht früher.“
Deutsche Studie: Gefäßerkrankungen durch IVF
Mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Gefahren der Fortpflanzungsmedizin hat Anfang des Jahres der Biomedizinexperte, Pharmazeut und Theologe Matthias Beck aufhorchen lassen. So würde eine in Deutschland publizierte Studie nachweisen, dass die bei der In-Vitro-Fertilisation (IVF) verwendeten Nährlösungen für befruchtete Eizellen später beim Kind schwere Gefäßerkrankungen nach sich ziehen können. Dieses Beispiel zeige, wie wichtig die wissenschaftliche Begleitforschung gerade bei der Fortpflanzungsmedizin sei.
Auslöser für die in der deutschen Studie festgestellte Gefährdung ist die mit Antibiotika angereicherte Nährlösung in der sogenannten Petri-Schale, in der sich die befruchtete Eizelle bis zu 6 Tage vor dessen Einsetzung in die Gebärmutter befindet. Dabei sei hochproblematisch, dass die Inhaltsstoffe der Nährlösung nicht deklariert seien. „Solch ein Medikament würde nie eine Zulassung bekommen“, betonte Beck.
Recht der Kinder ungenügend geregelt
Auch an einer gesetzlich vorgeschriebenen Datenerhebung zur Qualitätssicherung der medizinisch unterstützten Fortpflanzung fehle es. In Österreich gebe es derzeit weder ein zentrales Register für Ei- und Samenzellspende, noch eine wissenschaftlich gesicherte Geburtenrate von IVF-Kindern, noch Aufzeichnungen darüber, wie und in welchem Gesundheitszustand die Kinder auf die Welt kommen oder wie es ihnen nach zwei, fünf oder zehn Jahren geht. „Warum es das nicht gibt, verstehe ich nicht“, sagt Klaus Vavrik: „Wir kontrollieren doch auch andere Lebensbereiche zum Schutz der Menschen – denken sie nur mal an die strengen Lebensmittelkontrollen. Warum will man nicht wissen, was die Methode kann, aber auch welche Folgen es gibt?“ Ungenügend geregelt sei auch das Recht der Kinder, altersgemäß alles über ihre Herkunft zu erfahren. „Die Frage nach der eigenen Identität ist ja wirklich brennend – in jedem Menschen.“ Wir wollen wissen, wo wir herkommen, wer unsere Eltern sind. Und es nicht zu wissen, das quält Kinder. „In Österreich haben Kinder erst ab dem 14. Lebensjahr ein Recht, über ihre genetischen Eltern Auskunft zu bekommen, wenn sie aktiv danach fragen. Viele Kinder wissen aber gar nichts über ihre Geschichte“, so Vavrik.
Wichtig für das Wohl der Kinder
Die Eltern, die reproduktionsmedizinische Techniken in Anspruch genommen haben, behalten es einfach für sich. Es werde zum „Familiengeheimnis“, zur „Herkunftslüge“. „Was es für Kinder bedeutet, wenn sie es zufällig dann doch eines Tages herausfinden, kann sich wohl jeder vorstellen. Und ich verstehe auch nicht, warum man hier für die Rechte der Kinder so auf die Barrikaden gehen muss. Das Recht, über seine Herkunft Bescheid zu wissen, ist doch sogar in der UN-Kinderrechtskonvention verankert.“ Was sonst noch wichtig für das Wohl des Kindes ist, aber immer noch fehlt: eine verpflichtende fachliche und psychologische Beratung und Begleitung der potentiellen Eltern, die unabhängig von der Kinderwunscheinrichtung stattfindet. Und jemand, der dabei auch die Stimme des Kindes vertritt. „Genau genommen müsste es also auch eine Kindeswohlberatung geben“, so Klaus Vavrik. Außerdem müsste die Politik endlich dafür sorgen, dass auch mehr Therapieplätze für Kinder zur Verfügung stehen. „Therapieplätze für Kinder gibt es ja generell zu wenig“, kritisiert Vavrik: „Wenn ich jetzt sehe, dass die österreichische Gesetzeslage, den Zugang zu IVF erleichtert und wenn ich annehmen muss, dass diese Kinder einen erhöhten Bedarf an medizinischen Maßnahmen haben, dann muss wohl auch die Zahl der Therapieplätze ausgebaut werden.“
Zur Person:
Primarius Dr. Klaus Vavrik, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, Präsident der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit
ACHTUNG: Dieser Artikel stammt aus dem Jahr 2016.