Politik und Weltanschauung
Weltanschauungsserie
Es gibt religiöse Gemeinschaften, die jede Art der Beteiligung an politischen Abläufen und Handlungen ablehnen. Ein Beispiel dafür sind Jehovas Zeugen. Ihrer Glaubensüberzeugung gemäß sollen sie sich von der „weltlichen“ Welt und der Politik fernhalten und möglichst kein Teil davon sein. Daher engagieren sie sich politisch auch nicht. Der Bereich der Politik wird als etwas „Weltliches“ angesehen, und PolitikerInnen könnten die wahren Probleme des Lebens ohnehin nicht lösen. Zudem wird die Sichtweise vertreten, dass sich Gott, um seinen Willen durchzusetzen, keines irdischen Reiches bedienen, sondern „sein eigenes Königreich“ schaffen wird.
Kirche und Politik
Demgegenüber vertritt z. B. die Priesterbruderschaft Pius X. ein genau gegenteiliges Konzept. Der ehemalige Generaloberer der Gemeinschaft, P. Franz Schmidberger, hielt in einem Artikel fest, dass die Gewalt in Staat und Gesellschaft nicht vom Volk ausgehe, sondern allein von Gott. Von daher müsse der Staat die Kirche fördern, damit diese wieder mehr Einfluss in der Gesellschaft bekomme. Eine Gruppe, die zwar nichts mit Religion zu tun hat, aber weltanschaulich sehr fragwürdige politische Konzepte vertritt, sind die sogenannten Staatsverweigerer oder Selbstverwalter. Diese vertreten die Meinung, dass es so etwas wie einen Staat – also eine politische Verfasstheit eines Gemeinwesens, dessen Regeln für alle auf dem Staatsgebiet wohnenden Menschen gelten – eigentlich gar nicht gibt. Sie sind davon überzeugt, dass jeder Staat im Grunde genommen eine Firma ist, die die auf ihrem Gebiet lebenden BürgerInnen als Besitz ansieht, mit dem sie – auf Kosten der Menschen – Geld verdient. Aus diesem Grund möchten sie nichts mit dem Staat zu tun haben.
Staatliche Gesetze haben für sie keine Geltung
Diesen Standpunkt machen sie etwa dadurch deutlich, dass sie vor Behörden erklären, keine BürgerInnen zu sein und aus dem Staat Österreich und seiner Gesetzgebung „auszutreten“. Sie lehnen den Staatsbürgerschaftsnachweis ab und ersetzen ihn durch sogenannte „Lebend-Erklärungen“. Staatliche Gesetze haben für sie demnach keine Geltung und sie weigern sich, Steuern zu zahlen. Das hindert sie jedoch nicht daran, öffentliche Infrastruktur wie z. B. Straßen in Anspruch zu nehmen oder bei Bedarf auf staatliche Sozialhilfe zurückzugreifen.
Verschwörungserzählungen über Politik
Das Weltbild dieser Personen ist bisweilen stark von irrationalen Verschwörungserzählungen geprägt, die es ihnen schwer machen, am herkömmlichen gesellschaftlichen Leben unbelastet teilzunehmen. Manche schließen sich zusammen und bilden eigene Gruppen, die versuchen, als Organisationen jenseits des Staates zu existieren. Problematisch werden diese Gruppen vor allem dann, wenn sie die Demokratie ablehnen oder durch Ideologieelemente des Rechtsextremismus, des Geschichtsrevisionismus oder des nationalsozialistischen Gedankenguts untergraben.

Kurzinterview mit Johannes Sinabell:
Leben wir in einer gespaltenen Gesellschaft?
Ich denke nicht. Allerdings habe ich den Eindruck, dass es Personen und Gruppen gibt, die mit extremen und extremistischen Ansichten die Ängste und Unsicherheit mancher ausnützen wollen, um einen Keil zwischen die verschiedenen Gruppen zu treiben. Unterschiedliche Meinungen zu bestimmten Themen sind normal, aber wir dürfen nicht zulassen, dass Personen, die eine andere Meinung vertreten, gleich als Feinde angesehen werden.
Ist Religion politisch?
Hier muss man zwischen Parteipolitik und gesellschaftspolitischem Engagement unterscheiden. Religion sollte nicht parteipolitisch sein, doch wir sollten unseren Glauben und unsere Haltungen in den gesellschaftspolitischen Diskurs einbringen und auch im öffentlichen Bereich sichtbar machen. So wirkt Religion gestalterisch in die Gesellschaft hinein.
Zur Person:
Johannes Sinabell ist Theologe und Vorsitzender der „Arbeitsgemeinschaft Weltanschauungsfragen“.
Diese und andere Probleme beleuchten Referenten und Referentinnen der Arbeitsgemeinschaft Weltanschauungsfragen in Texten der Serie "Weltanschauungsarbeit heute", die ab 29. September 2024 bis Juli 2025 läuft. Jedes Monat wird ein Text zu einem bestimmten Thema veröffentlicht.
Teil 6: Serie "Weltanschauungsarbeit heute", eine Kooperation der Österreichischen Kirchenzeitungen und der Arbeitsgemeinschaft Weltanschauungsfragen.