"Mehr als eine Seufzerbrücke“

Die Weltsynode als „Brückenbauerin“
Ausgabe Nr. 42
  • Theologie
Autor:
Seufzerbrücke in Venedig: Die Kirche ist weder eine „Golden Gate Bridge“ noch lediglich eine Seufzerbrücke.
Seufzerbrücke in Venedig: Die Kirche ist weder eine „Golden Gate Bridge“ noch lediglich eine Seufzerbrücke. ©istock
Pater Josef Maureder ist Leiter des Bereichs Spiritualität und Exerzitien im Kardinal König Haus.
Pater Josef Maureder ist Leiter des Bereichs Spiritualität und Exerzitien im Kardinal König Haus. ©Kardinal König Haus

Allzu oft steht sich die Kirche selbst im Weg, weil sie bereits als Ziel und nicht in erster Linie als Brücke missverstanden wird. Im Gespräch mit dem SONNTAG spricht Jesuitenpater Josef Maureder über seine Vision von einer Kirche, die als Brücke in das Land der Verheißung verweist.

Der Papst ist als „Pontifex maximus“ oberster Brückenbauer, die Bischöfe sind Brückenbauer, auch die Priester: Wie überhaupt die für die Seelsorge Verantwortlichen diese Aufgabe gut wahrnehmen können, will der SONNTAG von Jesuitenpater Josef Maureder wissen. „Mit dem Brückenbauen ist diesen Verantwortlichen eine große Aufgabe zugesprochen worden“, erläutert Maureder: „Zum einen sollen sie selber Menschen sein, die aus dem Geist Jesu leben und ihn im Blick haben und nicht einfach nur das Funktionieren der Gemeinde. Oder dass nur ihre Ideen oder Anliegen zum Zug kommen. Da wäre dann das Ich im Blick. Es soll aber tatsächlich Christus im Blick sein.“ Sein „Rezept“: „In dem Moment, wo wir Orte und Zeiten suchen, wo wir uns mit ihm wirklich verbinden, wo wir in die Stille gehen, wo wir aus dem Gebet leben, dort lebt der Geist in uns, der Brücken bauen will, der mit anderen unterwegs sein will. Das halte ich für das zentrale Anliegen.“ Heutige Verantwortliche in der Seelsorge sollten ermöglichen, „dass Menschen gemeinsam miteinander im Gespräch sind und gemeinsam Glauben leben. Und sie sollten gut ausgebildet sein, um auch Gruppen leiten zu können und Kommunikation möglich zu machen.“

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Von der Brücke zum Ufer

Um beim Bild von der Brücke zu bleiben: Warum verschönern wir ständig diese „Brücke“ und übersehen den Blick ans andere Ufer?

JOSEF MAUREDER: Wenn etwas zu verbessern und zu erneuern ist, dann haben wir die Tendenz, dass wir uns zunächst schützen. Veränderung heißt immer, dass ich selber einen Weg gehen muss, dass ich etwas zurücklassen muss, um auch Neues in Angriff nehmen zu können. Und das ist nicht immer nur bequem. Deswegen schützt man sich dagegen. Ich denke, das ist eine Grundtendenz des Menschen und auch von Institutionen, zuerst einmal etwas Widerstand zu leisten, wenn irgendwoher Druck kommt, sich verändern zu müssen. Auch der Ruf Jesu zur Umkehr und zur Erneuerung hat deswegen immer wieder Widerstand erzeugt. Vor allem bei denen, die überzeugt waren, dass sie auf dem richtigen Weg sind. Deswegen hat Jesus viel Widerstand erfahren. Aber die Kirche sollte gerade heute Vertrauen haben, dass Gottes Geist sie bewegt und dass sie eigentlich relativ weitherzig Dinge anschauen darf, ohne erst von der Angst bestimmt zu sein.

„Sich ständig auf der Brücke aufzuhalten, das ist nicht der Sinn der Brücke.“

Josef Maureder

Arbeit an der Brücke

Warum arbeiten wir so gerne an der Brücke, mit Strukturreformen und anderem?

Die Arbeit an der Brücke, auch mit Strukturreformen, ist notwendig, damit die Brücke nicht verrostet und einstürzt. Nur der, der die Brücke tatsächlich erneuert, das ist jener, der uns aus dem verheißenen Land entgegenkommt. Wenn wir ihn aus dem Blick verlieren, dann ist es nur mehr ein eigenes Werkeln, ein eigenes Bauen. Wie es in der Schrift heißt: Wenn wir selber das Haus bauen, dann stürzt es leicht ein. Wir müssen erst einmal auf dem Fundament Gottes bauen. Denn der eigentliche Baumeister der Kirche und der Glaubensgemeinschaft ist Gott selbst. Von daher wäre es so wichtig, gleichsam schon mit dem Herzen beim anderen Brückenpfeiler und dem verheißenen Land zu sein und nicht egoistisch um die Brücke zu kreisen und sich nur mehr dort aufzuhalten. Es ist ja das Ziel bei der Pilgerreise nach Santiago, über die Brücke zu gehen und wieder einen neuen Lebensabschnitt beginnen zu können. Also sich ständig auf der Brücke aufzuhalten, das ist nicht der Sinn der Brücke. Aber wir tun es gern, weil es so naheliegend ist. Das andere, das ist uns ein bisschen fremder, unbekannter. Da braucht es Menschen, Propheten und Prophetinnen, die immer wieder dazu aufrufen, dass wir uns nicht festkrallen an der Brücke.

Was müssen wir tun, damit diese „Brücke“ nicht Selbstzweck wird, sondern dass wir auf ihr „hinübergehen“ können?

Ich habe eine interessante Erfahrung gemacht. Wenn in einer Gruppe oder in einer Pfarrgemeinde über den gemeinsamen Weg als Kirche diskutiert oder gar gestritten wird, dann verändert sich etwas, wenn man plötzlich in die Mitte eine Kerze stellt, sie anzündet und sagt: Christus, das Licht, möge uns jetzt helfen, den Blick wegzuwenden von der Fixierung auf die Brücke und die Struktur, um ihn, Jesus Christus, in den Blick zu nehmen, ihn gleichsam in die Mitte zu stellen. Dieser Blick verändert etwas. Wir brauchen manchmal Symbole, die uns helfen, dass wir nicht bei uns hängen bleiben, sondern dass wir ihn in den Blick nehmen. Solche kleinen Zeichen können helfen, dass man nicht auf der Brücke stehen bleibt und dass sie nicht zum Selbstzweck wird.

Brücke zum Glauben

Rein äußerlich gesehen haben Glaube und Kirche für immer mehr Menschen immer weniger Relevanz: Wie kann die Kirche die Fülle ihrer Angebote besser an die Frau, an den Mann bringen?

Dort, wo Menschen spüren, dass Leben und Freude da sind, dort docken sie an, da fragen sie sich: Was ist das? Und da kommen sie hin. Ich sehe es als ein Thema der Lebendigkeit und der Freude. Und die kommt nicht aus den tollsten Strukturen. Das, was unserem Leben Freude gibt und was unserem Leben tatsächlich Lebendigkeit gibt, das ist diese intime Beziehung zu Christus, eine Vertrautheit mit ihm und somit eine große Offenheit und Freude an dem Geheimnis Gottes. Und wenn das spürbar wird, dann werden Menschen kommen und fragen, ob sie mitmachen können: ob die Kirche nun so ausschaut oder so.

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Ich freue mich, dass es in der Kirchengeschichte eine Entwicklung gibt, wonach Glaube oder Spiritualität nicht mehr etwas Abgehobenes sind, sondern mit dem konkreten Leben zu tun haben. Etwa die Entdeckung, dass Gerechtigkeit wichtig ist, dass man darauf achten muss, dass Menschen auch einen positiven Zugang zur Sexualität bekommen und zu all dem, was einfach zum Leben gehört. Genauso positiv ist es, dass man in den Blick nimmt, dass wir nicht mit der Natur, mit der Schöpfung umgehen können, wie wir wollen, weil wir uns sonst im wahrsten Sinn des Wortes selber das Wasser abgraben. Zum anderen droht die Gefahr, dass man sich bei diesen Dingen so wie bei der Brücke aufhält und dabei stehen bleibt. Wir leben in einer Schöpfung, die nicht vollkommen, sondern zerrissen ist. Die Schöpfung ist unvollkommen: Da gilt es hindurchzufinden zu dem großen Geheimnis, das dahintersteht.

Gestaltung der Sexualität

Warum sind Fragen der Gestaltung der Sexualität und die Frage der Geschlechter inWirklichkeit nicht so zentral, wie sie medial erscheinen?

Wenn man mit Menschen spricht, die in einer existenziell wirklich wichtigen und herausfordernden Situation stehen, dann fällt auf, dass im Großen und Ganzen drei Themen vorherrschen. Das eine ist Leben- Tod, das andere ist Liebe. Aber eben nicht Sexualität, sondern Liebe in der großen, umfassenden Weise, wie sie gemeint ist. Und das dritte ist Hoffnung. Auf diese drei Themen hat Christus eine Antwort gegeben. Weil diese drei so zentral sind auf dem Weg zum großen Geheimnis, das er den Vater nennt.

„Mir ist das Bild von der einfachen Steinbrücke sehr wichtig.“

Josef Maureder

Wie können Menschen eine Jesus-Beziehung entwickeln, die ihnen guttut?

Meine Mutter erzählte mir immer begeistert, dass sie früher jährlich zwei Einkehrtage hatten. Da stand immer ein Evangelium, wo Jesus irgendetwas macht oder sagt, im Mittelpunkt. Und so haben sie mit den Jahren Jesus ganz neu kennengelernt, ganz anders als in der Sonntagsmesse. Dieser persönliche Zugang, den sie da entwickelt haben, der war entscheidend, dass meine Mutter auch ganz anders sterben konnte in dieser Beziehung zu Christus. Ich möchte daher sagen: Fangt an, ihr Seelsorger und Seelsorgerinnen, jährlich selber Exerzitien zu machen. Fangt an, in den Gemeinden Einkehrtage anzubieten, wo viele teilnehmen können und wo sie einen Zugang zum Jesus finden. Und vieles wird sich dann verändern.

Weder „Golden Gate Bridge“ noch eine Seufzerbrücke

Wie kann unsere Kirche weder eine „Golden Gate Bridge“ noch eine Seufzerbrücke sein?

Wenn ich „Golden Gate Bridge“ höre, dann denke ich sofort an Personen, für die die Kirche so wichtig ist, dass ich fürchte, dass sie ihnen wichtiger ist als manchmal der Geist Gottes oder Christus, in dem uns Gott entgegengekommen ist. Da bekomme ich ein ungutes Gefühl. Und wenn für Menschen die Kirche nur eine Seufzerbrücke ist, ich erlebe das manchmal in Gesprächen, dann sage ich: Jetzt überlegen Sie einmal, was Sie von der Kirche erhalten haben. Und dann staunen diese Menschen, wie viel sie von der Kirche geschenkt bekommen haben und sie verstehen plötzlich anders und mehr: Kirche ist die Gemeinschaft derer, die vor uns gelebt haben, von denen wir den Glauben, den Sinn des Lebens, den Zugang zu Christus erfahren haben. Diese Menschen können dann plötzlich das Positive sehen. Mir ist daher das Bild von der einfachen Steinbrücke sehr wichtig. Und mit Steinen meine ich nicht tote, sondern lebendige Steine. In der Bibel haben wir das Bild mit dem Aufbau des Hauses aus lebendigen Steinen. Die Kirche, aufgebaut aus lebendigen Steinen, als eine Brücke, über die Menschen gehen dürfen in das verheißene Land: zu Jesus Christus.

Logo radio klassik Stephansdom.

Zum Nachhören: Pater Josef Maureder

Mehr vom Interview mit Pater Josef Maureder hören Sie im Podcast zur Reihe „Perspektiven“: ▶ radioklassik.at

Pater Josef Maureder ist Leiter des Bereichs Spiritualität und Exerzitien im Kardinal König Haus.

Zur Person

Pater Josef Maureder leitet den Bereich Spiritualität im Wiener Kardinal König Haus.

Autor:
  • Stefan Kronthaler
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