Ordenschristen haben einen „rebellischen Ursprung“
Ordenstagung in WienSie leitet den Studiengang Teología Latinoamericana an der Katholischen Universität San Salvador: Sr. Martha Zechmeister („Congregatio Jesu“). Gegenüber dem SONNTAG erläutert die Ordensfrau, die auch beim Ordenstag Ende November in Wien sprach, die Wirksamkeit des Ordenslebens heute.
Es gibt ein wichtiges Wort in der Regel des hl. Benedikt: „Ut in omnibus glorificetur Deus“ - „Dass in allem Gott verherrlicht werde“. Wie sieht diese Gott-Suche heute aus?
Johann Baptist Metz hat die christliche Gottsuche als „Mystik der offenen Augen“ bestimmt. Sie hat nichts mit dem Schließen der Sinnesorgane für die äußere Welt zu tun, sondern mit einem Aufwachen, einem Aufwachen aus unseren Träumen und Phantomwelten in die wirkliche, von Gott geschaffene und geliebte Welt; eine Welt, die zugleich durch brutale kriegerische Gewalt und eine skandalöse Ungleichverteilung pervertiert und entstellt ist, in der Millionen von Menschen einen vorzeitigen und grausamen Tod sterben. Eine der Fragen, die mich am meisten beunruhigen, ist: Wie lässt sich die Botschaft des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter in den Kontext einer globalisierten Welt übersetzen? Nicht „einer“ ist unter die Räuber gefallen, es ist der Großteil der Menschheit, der den „Banditen“, den machtgierigen Politikern, den Börsenspekulanten und Waffenhändlern hilflos ausgeliefert ist. Christliche Gottsuche realisiert sich entgegen aller Resignation und Hoffnungslosigkeit in tatkräftiger Mitleidenschaft, die der Gottesleidenschaft entspringt; und die gar nicht anders kann, als politisch zu werden.
„Erneuerung des Ordenslebens heißt: ständige Rückkehr zu den Quellen jedes christlichen Lebens und zum Geist des Ursprungs der einzelnen Institute, zugleich aber deren Anpassung an die veränderten Zeitverhältnisse.“ Wie verstehen Sie diese Aussage des Dekrets des Zweiten Vatikanischen Konzils über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens?
Den Prozess „zurück zu den Ursprüngen“, der Wiederentdeckung des eigenen Charismas, haben viele Gemeinschaften intensiv und redlich gelebt. Doch die Krise hat sich als so umfassend und radikal erwiesen, dass das Zurück zu den Gründerinnen und Gründern der einzelnen Kongregationen offensichtlich nicht genügt. Nicht nur einzelne Gemeinschaften, sondern alle zusammen und das Ganze des Ordenslebens sind betroffen. Die radikale Umkehr zum Ursprung und Fundament allen Ordenslebens und allen Christseins tut not. „Denn einen anderen Grund kann niemand legen, als den der gelegt ist, Jesus Christus.“ (1Kor 3,11)
Diese Umkehr zu Jesus ist jedoch kein Zurück in die Vergangenheit. Der Geist Jesu erwartet uns neu und überraschend, vielleicht auch erschreckend, vor uns, in einer unverfügbaren Zukunft. Er will uns dazu verführen, kreativ, gewagt, kühn zu sein. Der Wagemut unserer Gründer und Gründerinnen in ihrem historischen Kontext zu neuen Ufern aufzubrechen und mit vorgegebenen Mustern zu brechen, kann uns ermutigen, uns auch heute den herausfordernden und unlösbar erscheinenden Fragen unserer Zeit stellen.
Johann Baptist Metz nannte einst die Orden eine Art „Schocktherapie des Heiligen Geistes“ für die Kirche. Wirkt diese „Schocktherapie“ noch oder ist sie verpufft?
Wir als Ordenschristen haben einen „rebellischen Ursprung“. Immer dort, wo Kirche in Gefahr war, zu verweltlichen, nicht mehr den jesuanischen Protest gegen Menschenopfer fordernde religiöse und politische „Systeme“ sichtbar zu machen, dort ploppten in der Geschichte plötzlich neue Ordensgründungen auf. Doch einerseits hat die „Großkirche“ hat alle Anstrengungen unternommen, uns gründlich zu domestizieren und andererseits blockiert uns unsere eigene Angst „anstößig“ zu sein. Wir nennen unsere Konfliktangst „soziale Intelligenz“; und vor allem wir Ordensfrauen verwechseln vielfach unseren Hang, „brave Töchter“ und „fügsame“, „weibliche“ Personen innerhalb eines patriarchalen Systems sein zu wollen, mit Tugend.
Hoffnung und Inspiration, um zum kraftvollen prophetischen, jesuanischen Zeugnis zurückzufinden, sehe ich überall dort, wo Menschen sich zusammenfinden, um gemeinsam gegen die Zerstörung von Leben aufzuschreien, in den neue Protestformen wie Black-Lives-Matter, feministischen Kollektiven in Lateinamerika gegen Femizide oder die vielen so suspekte „Letzte Generation“. Es ist dies kein von oben angeordneter oder organisierter Protest. Es ist auch kein heroischer Akt einsamer Pioniere, sondern lebendige, und deshalb unkontrollierbare, Vernetzung. Als Ordenschristen sind wir herausgefordert, uns mutig und ohne Berührungsängste dorthin zu wagen, wo heute das Leben pulsiert, dorthin wo Leben in Gefahr ist oder dorthin wo verlorenes Leben betrauert wird.
Sich mutig dorthin wagen, wo heute das Leben pulsiert.
Sr. Martha Zechmeister
Was würde der Kirche fehlen, gäbe es in ihr keine Ordensgemeinschaften und Ordensleute? Was ist es, das die Gemeinschaften des geweihten Lebens für die Kirche so unabdingbar macht?
In den Anfängen der Jesusbewegung gab es gar kein Mönchstum und kein Ordensleben; zumindest nicht im Sinne einer Gemeinschaft von zölibatär lebenden Männern und Frauen. Jesus war kein Mönch, und auch nicht seine Jünger und Jüngerinnen. Wenn das Christentum also gerade in den ersten entscheidenden „kanonischen“ Jahrhunderten, in denen sich seine Identität herausbildete, ganz gut ohne Ordensleute ausgekommen ist, dann kann vielleicht auch eine Zeit kommen, in der dies wiederum so sein wird. In der Geschichte hat sich jedoch das Ordensleben vielfach genau dann als „Trick des Heiligen Geistes“ erwiesen, wenn in Zeiten schmerzhafter Umbrüche, an den Schwellen zu neuen Epochen, alte Rezepte nicht länger taugten, um die Weitergabe des Evangeliums und der christlichen Botschaft zu sichern. Einige Wagemutige haben dann den Exodus aus den obsoleten Formen riskiert. Der Geist hat sich ihrer bedient, um eine „neue Schöpfung“ hervorzubringen: menschliche Gemeinschaft, in der Jesus mit neuer Frische und Unmittelbarkeit gegenwärtig wurde.
„Gebe Gott, dass wir Menschen haben und dass wir Propheten haben, … die echt sind und ein echtes Zeugnis leisten!“, forderte P. Alfred Delp SJ. Wie können die Mitglieder unserer Orden diesem Anspruch heute nachkommen?
Jesus war ein provokanter Mensch, ein Mensch, der Konflikte auslöste. Und zwar deshalb, weil er sich bedingungslos mit den Underdogs und Outcasts seiner Gesellschaft solidarisierte. Dafür wurde er schließlich ans Kreuz genagelt. Der Prophet Jesus klagt eine Welt an, die auf dem Altar von religiöser und imperialer Macht Menschenopfer fordert, solidarisiert sich mit diesen und teilt deshalb auch deren Schicksal. Dies ist letztlich der Ausgangspunkt aller Nachfolge; so zu handeln, wie Jesus gehandelt hat und deshalb das Jesusschicksal zu teilen.
Um es mit Dietrich Bonhoeffer zu sagen, sind wir bereit „dem Rad in die Speichen zu fallen“, nicht nur mit unserem Wort, sondern mit unseren Körpern? Auch wenn wir wissen, dass dies weh tun wird? Auch wenn wir wissen, wie dies für Bonhoeffer und wie dies für Jesus endete? Es wäre menschlich nicht gesund, wenn wir uns nicht überfordert fühlen würden, wenn wir davor nicht zurückschrecken würden. Uns dies in aller Redlichkeit einzugestehen, ist jedenfalls weitaus ehrlicher, als uns in fromme Leerformeln oder in Verbalradikalismus zu flüchten. Die Geste der Revolution für das Leben – im Namen des Schöpfers des Himmels und der Erde – zielt immer aufs Ganze, ist immer politisch. Doch eingeübt wird sie im Kleinen. Revolutionen beginnen von unten. Inmitten eines vielleicht widrigen Kontexts können wir anfangen lebensfreundliche Beziehungsformen einzuüben, wohlgemerkt in der Form des Myzels, nicht in der Art des Rückzugs in unsere „Blase“, in der wir uns nur mit Unseresgleichen verständigen. So erschließt sich neu das biblische Gleichnis vom Sauerteig, das Ferment, das letztlich stärker ist, als das „System“ und seine Gewalt. Und deshalb ist das Mutigste, das wir tun können, bereit zu sein, uns zu verlieren, um dem Leben eine Chance zu geben.