Notfallseelsorge: Spirituelle Unterstützung bei Unfällen

Martin Stigler
Ausgabe Nr. 43
  • Meinung
Autor:
Aufpassen auf andere aber auch auf sich selbst, weiß Notfallseelsorger Martin Stigler. ©Erzdiözese Wien/Stephan Schönlaub

Martin Stigler ist als Notfallseelsorger immer einsatzbereit. Er bietet spirituelle Hilfe bei Unfällen und plötzlichen Todesfällen. Dabei spielt die Vermittlung zwischen Einsatzkräften und Angehörigen eine zentrale Rolle.

Martin Stiglers Terminplan ist meistens leer. So kann er jederzeit aufbrechen, wenn er zum Beispiel bei schweren Verkehrsunfällen oder plötzlichen Todesfällen in Wien oder Niederösterreich gebraucht wird.

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Herr Stigler, psychologische Unterstützung in Ausnahmesituationen bieten auch Kriseninterventionsteams an. Was ist das Spezifikum der Notfallseelsorge?

Wir nehmen in Krisensituationen die spirituellen und rituellen Bedürfnisse von Betroffenen und Angehörigen wahr und bieten Gebet und Rituale, auch Verabschiedungen von Verstorbenen direkt am Unfallort an. In etwa 75 Prozent aller Fälle kommt Spiritualität bei einem Einsatz allerdings gar nicht direkt zur Sprache. Sie ist aber immer Ressource, aus der die Seelsorgerinnen und Seelsorger schöpfen. Was wir auch sehr oft tun: Wir vermitteln zwischen den Einsatzkräften und den Angehörigen.  

In welcher Hinsicht ist dabei Vermittlung notwendig?

Wenn beispielsweise noch die Todesursache eines Verstorbenen zu klären ist, darf dieser nicht berührt werden. Den Angehörigen ist es aber ein wichtiges Bedürfnis, sich in Ruhe zu verabschieden. In diesen Fällen sehen wir uns als Anwälte der Angehörigen und besprechen uns mit den Einsatzkräften.

Sich noch am Unfallort von einem unerwartet verstorbenen Angehörigen zu verabschieden, ist eine absolute Ausnahmesituation. Wie gehen Sie dabei vor?

Wenn es passend ist, zünden wir eine Kerze an, sprechen ein kurzes Gebet, machen ein Kreuz auf die Stirn. Wichtig ist, den Angehörigen Zeit zu geben. Meine letzte Verabschiedung war bei einem Verkehrsunfall. Die Partnerin des Verstorbenen ist an der Unfallstelle eingetroffen, und ich habe sie zunächst darauf vorbereitet, was sie erwartet. Wir sind schweigend zur Trage gegangen, auf der der Verstorbene lag. Die Feuerwehr hat mit einer Decke einen Sichtschutz gemacht, so konnte die Frau ihren Partner noch umarmen. In solchen Momenten sind sehr starke Emotionen da, da ist es unsere Aufgabe als Notfallseelsorger, diese auszuhalten.  

Als Notfallseelsorger werden Sie mit erschütternden Situationen konfrontiert – vor allem dann, wenn junge Menschen sterben. Wie gehen Sie damit um?

Mich trägt die Überzeugung, dass die Verstorbenen an einem Ort sind, an dem es ihnen gut geht. Beim Einsatz konzentriere ich mich auf die Menschen, die zurückgeblieben sind. Ich versuche, sie behutsam zu begleiten und eine Sprache für das zu finden, was passiert ist. Vor allem im Zusammenhang mit Suizid ist es wichtig, mit den Angehörigen wertschätzend darüber zu sprechen. Wenn die Angehörigen mit Fragen auf mich zukommen wie ‚Warum lässt Gott das zu?‘ oder ‚Was habe ich verbrochen?‘, hüte ich mich davor, eine vorschnelle Antwort zu geben. Ich habe schon oft gemerkt, dass es sehr hilfreich für die Betroffenen ist, wenn sie in irgendeiner Form in einem christlichen Kontext stehen.

Inwiefern wirkt sich das aus?

Mein Eindruck ist, dass der christliche Glaube gute Antworten liefern kann. Ich hatte schon einige Familien, in denen ein Verstorbener mit den Worten verabschiedet wurde: ‚Wir sehen uns wieder!‘

„Mich trägt die Überzeugung, dass die Verstorbenen an einem Ort sind, an dem es ihnen gut geht.“

Martin Stigler

Was tun Sie, um die Last Ihrer Einsätze nicht in Ihr Leben mitzunehmen?

Ich gebe die meisten Anliegen und schmerzhaften Momente sofort an Gott ab. Wenn ich diese Last nicht auflösen kann, rede ich mit dem Pfarrer oder mit Ordensschwestern, die ich um ihr Gebet bitte. Unsere Mitarbeiter und ich gehen auch regelmäßig in Supervision. Ich selbst habe schon einige Grenzsituationen erlebt und weiß, wie wichtig es ist, auf sich selbst aufzupassen.

Autor:
  • Sandra Lobnig
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