Chagall in der Albertina

Ausstellungsbesuch
Ausgabe Nr. 42
  • Kunst und Kultur
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Die Bilder von Marc Chagall sind nun wieder in der Albertina zu sehen.
Der große Zirkus (1970) versammelt typische Motive wie Clowns, Fiedler und Hahn. ©Albertina/Bildrecht
Der Papierdrachen entstand 1925 bis 1926 und wirft einen Blick ins osteuropäische Schtetl. Dieses bleibt für den jüdischen Künstler zeit seines Lebens ein Sehnsuchtsort. ©Albertina/Bildrecht

Die aktuelle Ausstellung in der Albertina bietet Einblicke in die symbolische Verbindung von jüdischen und christlichen Motiven in seinen Kunstwerken.

Die Albertina lädt nach 20 Jahren erneut ein, Marc Chagalls Bildwelten zu erkunden. Mit 100 Werken, die seine beeindruckende Schaffenszeit von Russland bis Frankreich und darüber hinaus umfassen, wird deutlich, wie tief Chagall von den Erinnerungen an seine Kindheit im jüdischen Schtetl Witebsk inspiriert war. Auch zahlreiche biblisch-motivierte Gemälde des Ausnahmekünstlers sind zu sehen.

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Chagalls Wurzeln

Marc Chagalls (1887–1985) Bilderwelten lassen uns eintauchen in die vergangene Welt des jüdischen Schtetls. Aus dieser stammte er und seine Kindheit in Witebsk (heute Belarus) war für den Künstler lebenslang eine immerwährend sprudelnde Quelle der Inspiration. Chagalls Memoiren zufolge prägten ihn die jüdische Lebensart und die Bräuche seiner Kindheit und Jugend. 

Chagall: Ein Leben im Exil

„Chagall, der ewig ,Vertriebene‘, der immer wieder fliehen muss, zu einem unsteten Leben gezwungen ist und zwischen den ,Welten‘ hin und her gerissen wird, hält sein Leben lang an den Erinnerungen seiner Kindheit und Jugend in Witebsk fest“, erklärt Klaus Albrecht Schröder, Direktor der Albertina. Neben Witebsk lebte der Künstler in Sankt Petersburg, dann in Paris, abermals in Russland und dann noch einmal in Frankreich. Vor den Nationalsozialisten floh er schließlich ins Exil nach New York und kehrte erst nach dem Krieg zurück nach Frankreich.

Einblicke in die Werke und künstlerische Entwicklung

Die Ausstellung in der Albertina zeigt 100 Werke des Ausnahmekünstlers: von den frühen, zwischen 1908 und 1910 im Russischen Zarenreich gemalten Bildern über die großen poetischen Kompositionen der Pariser Jahre von 1910 bis 1914 bis hin zu jenen Großformaten, die Chagall bis in die 1980-er Jahre in Südfrankreich malte. Witebsk blieb sein Sehnsuchtsort, den er in fast jedem seiner Werke reflektierte. „Seiner Herkunft aus dem orthodoxen östlichen Judentum entsprechend nimmt Chagall eine andere Haltung gegenüber der Realität und ihrem Abbild ein als seine emanzipierten Künstlerfreunde im Westen. Seine Zweifel an der visuell überprüfbaren Wirklichkeit münden in eine originelle Überwindung des jüdischen Bilderverbots. Um der poetischen Darstellung von Realität willen nimmt er bewusst folkloristische Vereinfachungen und Verformungen von Protagonisten und Häusern in Kauf“, heißt es im Ausstellungstext.

Motive aus der Kindheit

Chagalls Werke vereinen traditionelle, alltägliche Motive seiner Kindheit wie Dorfszenen, Geigenspieler, den Zirkus, Clowns sowie Ziegen, Kühe oder Heringe. Von ebenso großer Bedeutung sind für ihn die Themen Liebe, Geburt und Mutterschaft sowie Motive aus der Bibel und Rabbiner. 

„Das Leiden Jesu steht stellvertretend für die Verfolgung und das Leiden der Jüdinnen und Juden."


Kuratorin Gisela Kirpicsenko

Die Kreuzigung als Symbol

„Einen zentralen Stellenwert nimmt als biblisches Motiv für Chagall das Bild der Kreuzigung ein“, führt Kuratorin Gisela Kirpicsenko aus. Das Bild „Die weiße Kreuzigung“ von 1938 (als Pressebild leider nicht verfügbar) stehe am Beginn einer Reihe von Kreuzigungsdarstellungen und zeige, „wie der Künstler dieses Ereignis direkt mit dem gegenwärtigen Leben und aktuellen Geschehnissen in Verbindung bringt: Das Leiden Jesu steht stellvertretend für die Verfolgung und das Leiden der Jüdinnen und Juden.“ In manchen Werken ist der Gekreuzigte nur am Rande zu sehen, wie in der dramatischen Szene des Gemäldes „Der Krieg“ (1964–1966). „Manchmal setzt ihn Chagall zentral ins Bild, umringt von Menschenmengen und dörflichen Szenen wie in ,Exodus‘. Und schließlich zieht er auch eine Parallele zwischen dem Gekreuzigten und dem Künstler und damit zu sich selbst.“

Glasfenster für die Versöhnung

In seinen letzten Lebensjahrzehnten entwarf der vielseitige Künstler eine Reihe von Glasfenstern für christliche Kirchen, darunter die Chorfenster für das Frauenmünster in Zürich, die Glasfenster in den Kathedralen von Reims und Metz und die Fenster für die Kirche von Pocantico Hills in New York. Als Zeichen der christlich-jüdischen Versöhnung in Deutschland gelten die zwischen 1978 und 1981 vollendet sechs Glasfenster für die Sankt Stephans-Kirche in Mainz. Marc Chagalls künstlerisches Schaffen umspannt rund 80 Jahre. Er starb mit fast 98 Jahren 1985 in Saint Paul de Vence in Südfrankreich. Auch den letzten Tag seines Lebens verbrachte er wie immer im Atelier. 

Magische Bilderwelt

Die aktuelle Ausstellung in der Albertina ist eine wunderbare Gelegenheit, sich in Chagalls mystische Bilderwelt zu vertiefen und sich davon berühren zu lassen. Sein unverkennbarer künstlerischer Ausdruck, der uns in eine magische Bilderwelt zwischen Himmel und Erde führt, bleibt ein unerschöpflicher Kosmos.

Autor:
  • Agathe Lauber-Gansterer
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