Mobilität der Zukunft

Schöpfungsverantwortung
Ausgabe Nr. 33
  • Leben
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Elektroauto beim Stromtanken in der freien Natur
Elektromobilität im Vormarsch: Elektroautos sind schwerer als Fahrzeuge mit einem Verbrennermotor, weil ihr Akku heute noch viel Gewicht ins Auto bringt. Voraussetzung für eine klimaschonende E-Mobilität ist, dass der dafür benötigte Strom aus Ökostromanlagen stammt. ©iStock/Simon Skafar
Harald Frey
Harald Frey ist Senior Scientist am Forschungsbereich für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik der Technischen Universität Wien. Er plädiert für den Ausbau der Radinfrastruktur sowohl in städtischen als auch ländlichen Regionen. ©Markus A. Langer

Elektromobilität ist die Zukunft, sagt Verkehrsplaner Harald Frey. Welche Herausforderungen gibt es noch zu bewältigen?

Was verstehen Sie grundsätzlich unter Mobilität? 

Harald Frey: Mobilität ist in erster Linie ein Ausdruck eines Mangels am Ort. Wenn man zu Hause im Wohnzimmer sitzt und Hunger bekommt, muss man Mobilitätsaufwand betreiben und in die Küche gehen, um den Hunger zu stillen. Mobilität hat immer einen Zweck. Es gibt einen Grund, warum ich beispielsweise zur Arbeit muss oder meine Freunde besuchen möchte. Oder ich bin zu Freizeitaktivitäten oder Ausbildungszwecken unterwegs. Mobilität ist eigentlich die Zahl der Wege außer Haus. Mobilität ist relativ konstant über die letzten 100 Jahre, wir legen circa drei Wege pro Tag außer Haus zurück. 

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Wie ist es dazu gekommen, dass Österreich und die ganze Welt auf das Auto aufgesprungen ist?

Das Auto erwischt uns auf einem ganz tiefen evolutionären Bereich, nämlich dem Energiehaushalt. Das heißt, es ermöglicht uns lange Strecken mit ganz hohen Geschwindigkeiten ohne nennenswerten Körperenergieaufwand zurückzulegen. Das gab es noch nie in der Evolution und das fasziniert uns maßgeblich. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Österreich die Massenmotorisierung eins zu eins aus den USA übernommen. Viele Bauingenieure meiner Disziplin sind damals in die USA geschickt worden, um dort die Ausbildung zu machen. Als Verkehrsplaner sind sie mit dem „Highway Capacity Manual“, der Bibel für den Autobahnbau und die Straßendimensionierung, zurückgekommen und haben das Gelernte einfach bei uns umgesetzt.  Für die Faszination der Geschwindigkeit und der mühelosen Fortbewegung hat man alles aus dem Weg geräumt. Lange Zeit hat man die historischen Städte an das Auto angepasst und autogerecht umgebaut. Auch wurden historische Gebäude abgerissen, wie etwa die Rauchfangkehrerkirche in der Wiedner Hauptstraße in Wien. 

Bis 2040 soll in Österreich Klimaneutralität erreicht werden. Ein Problembereich ist der Verkehr, dessen Treibgasemissionen seit 1990 massiv gewachsen sind. Welche Maßnahmen sind notwendig, um die Klimaziele zu erreichen?

24 Millionen von insgesamt 77 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß erreichen wir pro Jahr im Verkehrssektor, 2/3 etwa aus dem Personenverkehr, 1/3 aus dem Güterverkehr. Wenn es um das Thema CO2 geht, werden wir nicht um die Elektromobilität herumkommen. Eine Maßnahme zur Reduzierung der Treibgasemissionen kann – so hat es das Umweltbundesamt in zahlreichen Studien bewiesen – die Einführung von reduzierten Tempolimits sein. Vor allem 80 km/h auf Freilandstraßen halte ich für ganz maßgeblich. Der Anteil der Landesstraßen, wo wirklich Tempo 100 gefahren werden kann, liegt marginal im einstelligen Prozentbereich. Immer wieder fährt ein Bus oder ein Traktor vor dem eigenen Fahrzeug und es gibt zahlreiche Ausnahmeregelungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.

Eine massive Förderung des Radverkehrs wäre wünschenswert. Hier gibt es positive Beispiele in manchen Gemeinden, aber es könnte noch viel mehr geben. Ein Gedankenspiel: Der Supermarkt in der Nachbargemeinde liegt eineinhalb oder zwei Kilometer entfernt, eine bequeme Radfahrerdistanz. Aber da es keinen Radweg gibt, nur eine Landstraße mit Tempo 100, werde ich an einem Herbstabend um 17:30 Uhr wahrscheinlich nicht neben dem vorbeirauschenden LKW mit dem Fahrrad fahren, obwohl die Distanz so kurz wäre. Wenn wir uns das genauer ansehen: 7 Prozent der Autowege in den peripheren Regionen sind 1 Kilometer lang, fast 20 Prozent sind kürzer als 2,5 Kilometer. Da gäbe es ein nennenswertes Potenzial in der Verlagerung. 

Ist die E-Mobilität das Allheilmittel?

Nein, ganz und gar nicht. E-Autos werden als nationaler Beitrag zur Reduktion der CO2-Emissionen gesehen. Das mag in Österreich noch funktionieren, weil wir einen nachhaltigen Strommix im Gegensatz zu Deutschland oder Polen haben. Es ist ein bisschen eine Greenwashing-Geschichte, wenn 2,8-Tonnen-Fahrzeuge werbetechnisch mit „Null Gramm CO2“ herumfahren, obwohl wir wissen, es schaut in Wirklichkeit anders aus. Der Elektromotor ist etwa dreimal effizienter als ein Fahrzeug mit einem konventionellen Verbrennungsmotor. Dieser Vorteil verpufft, wenn das E-Auto drei Tonnen im Vergleich zum 1 Tonnen schweren Verbrennerauto wiegt. Was wir auch nicht vergessen dürfen, ist die graue Energie in den Fahrzeugen, was heißt, es muss alles neu produziert werden. Ich bin ein Anhänger davon, in erster Linie das zu nutzen, was schon da ist, bevor Dinge neu gebaut werden. Wenn ein Fahrzeug schon 200.000 Kilometer gefahren ist, warum soll es nicht noch einmal 200.000 Kilometer fahren? Das ist für die Ökobilanz noch immer besser, als wenn ich jetzt ein zweieinhalb Tonnen schweres Elektroauto produziere und damit herumfahre. Ich muss schon sehr viele Kilometer zurücklegen, damit sich das amortisiert. 

Wer die Mobilität verändern will, muss beim Wohnen ansetzen. Was heißt das?

Zwei Drittel der Wege beginnen und enden beim Wohnort. Die Strukturen vor meiner Wohnung bestimmen maßgeblich die Verkehrsmittel. Wesentlich dabei ist die Siedlungs- und Flächenwidmungspolitik einer Gemeinde. Wenn ich nicht rund um den Bahnhof oder eine Bushaltestelle bauen lasse, sondern irgendwo fernab, nur weil es gerade dort opportun ist, dann brauche ich mich nicht wundern, dass die Leute nachher mit dem Auto unterwegs sind und vielleicht noch einmal viel Fläche für Park-and-Ride-Anlagen in größeren Gemeinden oder bei Bahnhaltestellen benötigen. Das alles beschleunigt noch einmal den Bodenverbrauch. 

Die Strukturen vor meiner Wohnung bestimmen maßgeblich die Verkehrsmittel.

Harald Frey 

Es gibt den schönen Spruch eines Schweizer Bautechnikers: „Es ist viel sinnvoller, die alte Dorfschule zu erhalten, als die Schüler mit einem Postbus auf der ausgebauten Landesstraße täglich in die Nachbargemeinde zu führen und wieder zurückzubringen.“ Ich kenne ein aktuelles Beispiel in Niederösterreich, wo zwei Katastralgemeinden ihre Volksschulen geschlossen und zusammengelegt wurden in der größeren Gemeinde, die weiter entfernt liegt.  Wege, die früher zu Fuß gemacht worden sind, werden nun kurze Bring- und Holwege mit dem Auto. Ein großes Problem besteht darin, dass sich der öffentliche Verkehr in den ländlichen Regionen, wo eigentlich die Herausforderungen liegen, in den letzten Jahrzehnten immer mehr wieder zurückgezogen hat, Stichwort Einstellung von Regionalbahnen. Wir haben den öffentlichen Verkehr in der Fläche eher geschwächt als forciert im Vergleich zum Straßenverkehr. Wenn für den Straßenverkehr 1 Euro ausgeben wurde, wurden für den öffentlichen Verkehr 50 Cent aufgewendet. 

Haben Sie selbst ein Auto, wie sind Sie mobil?

Ich bin unter der Woche meistens zu Fuß oder mit dem Fahrrad in Wien unterwegs, außerhalb davon meistens mit dem öffentlichen Verkehr. Ich besitze noch ein Auto, teile mir dieses mit meiner Lebenspartnerin und wir verwenden es ganz selten. Ich bin wahrscheinlich ein Opportunist, was die Verkehrsmittel betrifft. Meistens habe ich mein Leben so organisiert, dass ich 98 Prozent meiner Wege gut im Umweltverbund zurücklegen kann. Trotzdem gibt es 2 Prozent meiner Wege im Jahr, wo ich mit dem Auto fahren muss. Sonst komme ich dort nimmer hin oder von dort nimmer zurück. Ich bin da sehr pragmatisch und deswegen kann ich auch Leute verstehen, wenn sie sagen, wir sind abhängig vom Auto, wir brauchen es, um dort oder dort hinzukommen. Wenn Sie in einer Siedlung wohnen, wo der nächste Nahversorger sechs Kilometer weg ist, die nächste Schule sieben Kilometer usw., geht das nicht mehr anders. Man muss versuchen zu verstehen, warum diese Strukturen so entstanden sind. Der Fingerzeig auf den Einzelnen ist immer sehr problematisch. Ich zeige gern lieber auf die, die das System in diesen Zustand gebracht haben. Dort liegt doch die Verantwortung.  

Autor:
  • Porträtfoto von Markus Langer
    Markus A. Langer

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