Mit Kardinal Schönborn im Vatikan unterwegs
Neue EinblickeIn den Vatikan oder nach Italien?“, mit dieser Frage kann der 47-jährige Johannes Fürnkranz Besucherinnen und Besucher kurz irritieren. Wir sind an der Grenze ohne Grenzbalken und gleichzeitig bewegen wir uns zwischen zwei Welten: im (fast) kühlen Hof des Palazzo del Sant’Uffizio mit zwei Ausgängen, einen in den Vatikan und einen auf die Piazza davor, die schon in Italien liegt. Besser bekannt ist das Gebäude als der Sitz der Glaubenskongregation, die einst Kardinal Ratzinger geleitet hat. Fürnkranz stammt aus Hollabrunn und ist, wie er mit einem Augenzwinkern sagt, „ausgeliehen an den Vatikan“. In Wirklichkeit ist der promovierte Kirchenjurist ein Spitzenbeamter im Vatikan. Aktuell ist er einer von vier Amtsleitern in der Glaubensbehörde. Und er ist nur einer der vielen Expertinnen und Experten im Zentrum der Weltkirche oder im Ministaat mit vielen Privilegien, das ist Ansichts- und wohl auch Glaubenssache.
Begegnungen im „Regierungsviertel“
Kardinal Christoph Schönborn führt die Gruppe durch die Regierungsstellen des Vatikan, es geht viele Treppen hinauf (der Gesundheit zuliebe oft zu Fuß) und hinab. Gegen die Sommerhitze schützt er sich, wie auch im Lauf der Tage alle anderen in der Gruppe, mit einer Sonnenkappe. Was schnell klar ist: Hier kennen ihn alle. Der weltoffene Wiener Erzbischof ist seit seiner Arbeit am Katechismus, erschienen 1992, international bekannt. Das zeigen die Begegnungen im „Regierungsviertel“ in und rund um den Vatikan und seine Behörden und Ministerien, die hier Dikasterien heißen. Sie zeigen auch, wie die Weltkirche wirkt und welche Aufgaben sie hat im Auftrag des Glaubens. Und das ist durchaus beeindruckend.
Überblickskarte der Begegnungsorte
Die Karte mit den aufgesuchten Orten im Vatikan und in Rom können Sie online abrufen.
(1) Dikasterium für die Evangelisierung
(Via Conciliazione)
Hier wird das Heilige Jahr 2025 vorbereitet. Die Behörde beschäftigt sich auch mit der Frage, warum sich Menschen vom Glauben abwenden. Ihr Leiter Rino Fisichella sagt: „Es gibt heute eine Art Supermarkt der Religionen. Wir können ohne Gott leben, aber welche Bedeutung hat mein Leben ohne Gott?“
(2) Generalsekretariat der Bischofssynode
(Via Conciliazione)
Kardinal Mario Grech hat viel zu tun. Er leitet den weltweiten synodalen Prozess. Der gebürtige Malteke verweist darauf, dass es bei der Synode um Zuhören geht. Entscheidungen können nicht vorab klar definiert sein. Denn dann können die Enttäuschungen besonders groß sein. Er sagt klar: „Diese Synode geht nicht nur um die Frauenfrage.“ Kardinal Schönborn ergänzt mit einem weiteren Blick: „Was sind die großen Themen, die in Asien, in Lateinamerika, in Afrika die Menschen bewegen? Das sind Themen, die bei uns fast vollständig ausgelassen sind. Ich habe im deutschen Synodalen Weg keine einzige wirtschaftliche Frage gesehen, auch keine einzige wirklich soziale Frage; nichts zum Flüchtlingsthema, nichts zur Ökologie …“ Die Weltsynode findet im Oktober statt. Getagt wird übrigens an runden Tischen, 370 Delegierte werden erwartet, unter ihnen sind auch Frauen.
(3) Campo Santo Teutonico
Üblicherweise denkt man an den Friedhof für deutschsprachige Pilger. Erst unlängst wurde ein deutscher Obdachloser hier beerdigt. Der Campo Santo ist aber auch Sitz eines Theologenkollegs und eine kleine Grünoase im Schatten des Petersdoms. Hier sagt der Wiener Erzbischof beim Pressegespräch: „Gott sei Dank funktioniert die Kirche in erster Linie als Ortskirche. Der Papst hat immer wieder gesagt: Wartet nicht darauf, dass alles von Rom geregelt wird. Ihr habt den Heiligen Geist, also lebt den christlichen Weg! Eine Stärke hat die katholische Kirche: Sie schafft es in dieser großen Spannungsweite, auch der verschiedenen Geschwindigkeiten, ‚Eine‘ zu bleiben. Das Faszinierende an Rom ist ja, dass man hier die unterschiedlichen Geschwindigkeiten in der Breite der Weltkirche erlebt.“
(4) Sala Regia, Cappella Paolina und Sixtinische Kapelle
(Apostolischer Palast)
Es ist ein Moment der Ruhe, das Privileg in einer kleinen Gruppe nach der offiziellen Öffnungszeit in der bekanntesten Kapelle der katholischen Kirche zu sein. Auch hier grüßen die Gardisten der Schweizer Garde, der Schutztruppe des Papstes, Kardinal Schönborn. Papabile hat er sich nie gefühlt, bei zwei Konklaven hat er mitgestimmt und zeigt in der Sixtina, wo er damals gesessen ist, als Kardinal Bergoglio zum Papst gewählt wurde.
(5) Dikasterium für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen
(Piazza San Calisto)
Kardinal Michael Czerny stammt aus Tschechien, aufgewachsen ist er in Kanada. Der Jesuit ist Flüchtlingsexperte. Sein Bischofskreuz ist aus den Holzplanken eines Flüchtlingsbootes gefertigt. Er erklärt: „Migranten sind konkrete Personen und Familien. Über diese Menschen gibt es 10.000 Geschichten, und viele davon würden Ihnen die Tränen in die Augen treiben.“ Das Dikasterium ist zuständig für Fragen zur Bewahrung der Schöpfung und für humanitäre Notsituationen.
(6) Dikasterium zur Förderung der Einheit der Christen
(Via Conciliazione)
Mit allen reden, die mit uns reden wollen, das ist das Credo der Behörde unter der Leitung des profunden Schweizer Kardinals Kurt Koch. „Mit den Reformationskirchen sind wir 500 Jahre auseinander, mit den orientalischen Kirchen 1.500 Jahre – und das in so kurzer Zeit wieder ins Lot zu bringen, das war vielleicht eine zu große Illusion“, meint Koch. Nichtsdestotrotz dürfe das Ziel der Einheit nicht aufgegeben werden. Besonders würdigt Koch die in Österreich tätige Stiftung Pro Oriente, die sich dem christlichen Dialog verschrieben hat.
(7) Dikasterium für die Glaubenslehre
(Piazza del Sant'Uffizio)
Die Behörde besteht seit 1542 und ist somit die älteste Römische Kurie. Kardinal Ladaria wird mit September in der Leitung vom Argentinier Victor Manuel Fernandez abgelöst. Es geht in der Arbeit um die Glaubens- und Sittenlehre – beispielsweise auch um bioethische Fragen, aber auch um Disziplinarfragen, besonders in Missbrauchsfällen und um besondere Eheverfahren. Mit sichtlicher Freude präsentiert Johannes Fürnkranz die Arbeit der Kongregation und führt sogar in die Tiefen des hauseigenen Archivs. Hier steht noch der Zettelkasten mit dem Index verbotener Bücher. Keine Sorge, seit 1966 ist die Liste aufgehoben.
(8) Dikasterium für die Kommunikation
(Palazzo Pio)
An der Spitze eines Dikasteriums ist der Sizilianer Paolo Ruffini. Er ist kein Priester und sagt: „Vielleicht haben wir nicht die richtigen Antworten in der Gesellschaft, aber die richtigen Fragen?“ Mit Vatican News werden weltweit Nachrichten verbreitet. Das Radioprogramm erscheint auch in deutscher Sprache. Die österreichische Journalistin Gudrun Sailer berichtet seit 20 Jahren aus Rom.
(9) Generalaudienz auf dem Petersplatz
In sieben Sprachen hören Tausende die Kurzlesung und Ansprache. Schon ab 7:30 Uhr sammeln sich die Gläubigen, um oftmals das einzige Mal in ihrem Leben den Papst zu sehen. Der kommt segnend im Papamobil und begrüßt auch nach dem offiziellen Teil verschiedenste Gruppen und Pilger.Es wird gesungen, geklatscht und viel fotografiert.
(10) Staatssekretariat
(Apostolischer Palast)
Der Einsatz für Religionsfreiheit ist ein Hauptanliegen des Heiligen Stuhls. Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin ist die offizielle Nummer Zwei im Vatikan. „Religionsfreiheit muss grundsätzlich für alle Menschen gelten, die einen Glauben haben und diesen leben und ausdrücken wollen“, sagt der Kardinal. Er denkt an alle Konflikte von der Ukraine über China bis Nigeria, von Verfolgten bis zu Bootsflüchtlingen.
(11) Santa Maria dell'Anima
(Via della Pace)
Der Rektor der deutschsprachigen Pfarr- und Pilgerseelsorge sowie des Priesterkollegs gleich hinter der Piazza Navona ist mit vielen Stellen im Vatikan vertraut. Der Salzburger Michael Max ist in Rom gut vernetzt und begleitete die Pressetermine.
Tipp: Der Besuch der Kirche ist ein Muss für alle, die die „Ewige Stadt“ erkunden.