Ministrant aus Leidenschaft
Gernot Liebhard ist rekordverdächtigEr hatte einen schweren Start ins Leben. Sieben Wochen zu früh kam Gernot Liebhard zur Welt. Sein Zwillingsbruder Gunther war dafür schon bereit, Gernot aber konnte noch nicht atmen und musste über eine Sonde ernährt werden. Einmal wurde die Sonde versehentlich in seine Luftröhre statt in die Speiseröhre eingeführt. Der folgende Atemstillstand hat einen Teil seines Gehirns geschädigt und seine Merkfähigkeit beeinträchtigt.
Heute ist Gernot 33 Jahre alt. Er lebt mit seinen Eltern in Wien-Hietzing und arbeitet als Grünraumpfleger in Floridsdorf. Um 5.30 Uhr verlässt er das Haus, mäht Rasen, zupft Unkraut, sticht Beete um und kehrt zwölf Stunden später wieder heim. Dann spielt er Schlagzeug oder Fußball, vertieft sich in seinen Computer, hört Musik oder singt im Kirchenchor. Sein Highlight sind die Wochenenden. Zum einen, weil da seine beiden Brüder Gunther und Wolfram mit ihren Familien zu Besuch kommen. Zum anderen, weil er am Samstag und am Sonntag das tut, was seit 26 Jahren ein wichtiger Teil seines Lebens ist: Ministrant sein.
Ministrant sein heißt etwas ganz Besonderes leisten
Schon mit sieben Jahren durften Gernot und sein Zwillingsbruder in ihrer Heimatpfarre Lainz-Speising ministrieren. „Sie waren so klein, dass sie eigene Messgewänder bekommen haben“, erinnert sich die Mutter der beiden, Anna Liebhard. Es hat gedauert, sagt sie, bis Gernot sich alles gemerkt hat. Tatkräftig unterstützt haben ihn in dieser ersten Zeit vor allem sein Bruder Gunther und die engagierte Pfarrmitarbeiterin Christa Fury. Durchzuhalten hat sich ausgezahlt, sagt Gernot Liebhards Mutter Anna: „Ich möchte allen Eltern von Kindern wie Gernot Mut machen, nicht zu schnell aufzugeben. Weil auch diese Kinder können etwas ganz Besonderes leisten.“
Lieber zu früh als zu spät
Gernot Liebhard ist zu einer großen Stütze seiner Gemeinde geworden, ohne ihn gäbe es in drei Messen keinen Ministranten. Er ist immer da, immer verlässlich und immer pünktlich. Meistens kommt er schon viel früher in die Kirche. „Lieber zu früh als zu spät“, sagt er, dann bleibt ihm nämlich Zeit zu kontrollieren, ob auch alles da ist: „Hostien, Kelch, Wein, Wasser, Lavabo und Desinfektionsmittel“, zählt er auf, was in Corona-Zeiten für die Messfeier gebraucht wird. Im Mittelpunkt steht Gernot Liebhard gar nicht gerne, bei den großen Feiern zieht er sich deshalb zurück, die „normalen“ Sonntagsmessen sind ihm die liebsten. Warum er so gerne ministriert, kann er gar nicht recht in Worte fassen. „Mir gefällt’s einfach“, meint er. In der Kirche und auch zuhause, wenn es ihm gut und genauso wenn es ihm schlecht geht, kann er Gottes Gegenwart spüren. „Ich glaub‘, Gott ist immer da.“
Sich ein Bild machen
Wenn er nach seinem Messdienst nachhause geht, denkt Ministrant Gernot Liebhard oft über das nach, was er gerade gehört hat. „Es heißt, man soll sich kein Bild von Gott machen. Ich verstehe nicht, warum es dann doch gemacht wird“, sagt er dann zum Beispiel. Besonders bewegt ihn das Schicksal Josefs: „Nachdem Jesus zwölf Jahre alt geworden ist, kommt Josef nicht mehr vor. Maria bleibt, aber der Erdenvater, Josef, ist weg. Man weiß nicht, ob er gestorben ist, krank war oder noch gelebt hat. Das möchte ich gerne wissen.“ Einmal hat er einen Priester danach gefragt, an die Antwort kann er sich nicht erinnern. Vielleicht wird er noch einmal fragen. Gelegenheit dazu hat er ja genug. An jedem Samstag und Sonntag. Noch ein paar tausend Messen lang.
Ministrant Gernot Liebhard
Alter: 33
Wohnort: Wien
Beruf: Grünraumpfleger
Lebensmotto: Jeder hat einen Platz und kann etwas für die Gemeinschaft tun.
Gott ist für mich: Mein Freund, der immer für mich da ist.
Sonntag ist für mich: Der Tag, an dem ich ministrieren darf, und an dem meine Brüder mit ihren Familien zu uns kommen.