Enkelin von Engelbert Dollfuß erzählt

Erinnerung
Ausgabe Nr. 29
  • History
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Claudia Tancsits ist historisch interessiert und stellt sich immer wieder Fragen zu ihrem Großvater Engelbert Dollfuß.
Claudia Tancsits ist historisch interessiert und stellt sich immer wieder Fragen zu ihrem Großvater Engelbert Dollfuß. ©Der Sonntag

Claudia Tancsits hat ihren Großvater nicht kennengelernt. Wie beschäftigt sich die Wiener Juristin mit Engelbert Dollfuß und wie erinnert sich die Familie an den Großvater?

Die Enkelin von Engelbert Dollfuß, Claudia Tancsits, erzählt im Interview mit dem SONNTAG über ihren Großvater. 

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Frau Dr. Tancsits, Ihr Großvater wurde vor 90 Jahren von nationalsozialistischen Putschisten ermordet. Ihre Mutter war damals ein kleines Kind. Wie hat sie Ihnen von diesen Ereignissen erzählt?

Claudia Tancsits: Ich muss damit anfangen, dass meine Mutter mir zwar schon auch von diesen Ereignissen erzählt hat, aber wenn meine Mutter von meinem Großvater, von ihrem Vater, erzählt hat, dann hat sie eigentlich meistens über sein Leben oder irgendwelche Alltagsgeschichten, vor allem natürlich mit ihr als Kind, erzählt und nicht so sehr von seinem Sterben.

Die Erinnerungen an Großvater Dollfuß

Welche Erinnerungen hat Ihre Mutter denn gehabt?

Da gibt es eine sehr persönliche Erinnerung. Meine Großmutter Alwine und die beiden Kinder, meine Mutter Eva und mein Onkel Rudy waren ja in Italien und mein Großvater sollte nachkommen. Dazu ist es nicht gekommen, da er gestorben ist. Und meine Mutter hat geträumt, dass ihr Vater in den Himmel kommt. Sie war damals noch nicht sechs Jahre alt.

Das ist eine sehr berührende Erinnerung. Ihr Onkel Rudy lebt ja noch immer über 90-jährig in Kanada. Er hat eine sehr nette Geschichte erzählt, dass die Kinder mit dem Vater gespielt haben am Fußboden.

Ja, wie das halt ist in einer Familie. Also jedenfalls habe ich das immer von meiner Mutter gehört, dass mein Großvater kein abwesender Vater war und sich Zeit genommen hat trotz seines Arbeitspensums. Es ist doch eigentlich gar nicht uninteressant, dass er sich die Zeit trotzdem irgendwie genommen hat. 

Ambivalentes Bild von Dollfuß in der Öffentlichkeit

Das öffentliche Bild Ihres Großvaters ist durchaus ambivalent. In manchen Kreisen sagt man, er ist der Heldenkanzler, er ist ein Politiker, der sein Leben dafür gegeben hat, dass Österreich unabhängig bleibt und nicht in das NS-Regime einverleibt wird. Andere sagen, er ist ein Faschist und Diktator gewesen, der einen Schießbefehl auf sozialistische Arbeiter gegeben hat. 

Er hat sich in meinen Augen für Österreich eingesetzt gegen den Nationalsozialismus. Dass er ermordet wurde, ist eine Sache, aber er und seine Mitarbeiter haben sich nicht nur voll gegen den Nationalsozialismus engagiert, sondern auch für ein unabhängiges Österreich. Dass Österreich nicht lebensfähig ist, war vor allem auch in sozialdemokratischen Kreisen weit verbreitet. Bei meinem Großvater liest man, dass er an Österreich geglaubt hat.
 

„Mein Großvater war bereit, sein Leben zu riskieren gegen die unmenschliche Ideologie des Nationalsozialismus.“

Dollfuß-Museum in Texing

Ich möchte zur Aufarbeitung kommen des Dollfußmuseums in Texing, das war die Heimat Ihres Großvaters. Wie stehen Sie zu diesem Museum und der Präsentation, die es ja gar nicht mehr gibt? 

Es hat der Verein MERKwürdig die Aufgabe bekommen, diese zeitgemäß zu überarbeiten. Und so wurde am Ende diese Aufgabe umgedeutet, in einen Auftrag, das Museum aufzulösen. Wir waren eingeladen, unsere Meinung abzugeben. Ich habe es aber leider nicht so erlebt, dass unsere Meinung berücksichtigt wurde. 
 

Wie würden Sie sich dann eine Aufarbeitung oder eine Präsentation wünschen? 

Ich hätte mir gewünscht, dass das Museum möglichst so bleibt, wie es ist. Wenn sich ein anderes Projekt ergibt, bin ich grundsätzlich bereit, mitzumachen. Ich glaube aber, es ist gar nicht notwendig, dass ich etwas in die Richtung initiiere.

Dollfuß habe gewusst, dass er ein Sünder ist

Was befürworten Sie am Einsatz Ihres Großvaters? Und auf der anderen Seite, wo sehen Sie Schwächen?

Ich bin voreingenommen zu seinen Gunsten. Aber jeder Mensch hat Schwächen und mein Großvater war ein Christ und als solcher hat er gewusst, dass er ein Sünder ist. Er hat gesagt, dass die Tage im Februar 1934 die traurigste Woche seines Lebens waren. Es hat ihm, glaube ich, nicht an Selbstkritik gemangelt. Sein Kampf war für ein unabhängiges Österreich, der Kampf eines Patrioten für sein Land, seinen Glauben und die Bereitschaft, sein Leben dafür zu riskieren für das, woran er glaubt und vor allem gegen die unmenschliche Ideologie des Nationalsozialismus.
 

Man sagt in der Geschichte, dass es immer zwei Generationen braucht, um familiäre Themen aufzuarbeiten. Sie haben einen erwachsenen Sohn. Wie erklären Sie ihm diesen Ansatz seines Urgroßvaters?

Mein Sohn Michael meint, ich hätte versucht zu erklären, dass mein Großvater in einer unfassbar schwierigen Zeit politisch tätig war, in der Österreich im Inneren völlig zerstritten war. Also diese innenpolitische Situation und von außen die Bedrohung durch den übermächtigen Nationalsozialismus. Und dass sein politisches Wirken zum Ziel hatte, ein freies, unabhängiges Österreich zu bewahren und dass er als überzeugter Katholik eine tiefe Abneigung gegenüber dem Nationalsozialismus hatte, den er als Österreicher als Gefahr wahrgenommen und bekämpft hat. Und seine Bemühungen waren leider am Ende des Tages nicht erfolgreich. Engelbert Dollfuß bleibt, das meint mein Sohn, bis heute eine sehr umstrittene Persönlichkeit. 

Schlagwörter
Autor:
  • Sophie Lauringer
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