Liebe zwischen Mann und Frau
SommerbriefÜber die Liebe haben sich schon viele Menschen Gedanken gemacht. Auch Hildegard von Bingen hat zu dem Thema etwas verfasst: Aus dem 12. Kapitel der „Heilkunde“ („Causae et Curae“). Die geschlechtliche Gemeinschaft des Mannes und der Frau wird als „himmlisch“ gepriesen, man blickt „in den Himmel hinein“
Die große Liebe im Schlaf
Als Gott den Adam schuf, hatte Adam eine große Liebe in seinem Schlafe, den Gott über ihn sandte. Und Gott gab der Liebe des Mannes Gestalt, und so ist die Frau die Liebe des Mannes. Sowie nun die Frau gebildet ward, gab Gott dem Manne jene Schöpferkraft, dass er aus seiner Liebe, welche die Frau ist, Kinder erzeugen könne.
Liebe auf den ersten Blick
Als nämlich Adam Eva zum ersten Mal erblickte, war er ganz von Weisheit erfüllt, da er in ihr die Mutter seiner Kinde erkannte. Als aber Eva Adam ansah, schaute sie ihn so an, als blickte sie in den Himmel hinein und als richtete sie ihre Seele empor, die den Himmel ersehnt: War doch ihre Hoffnung auf den Mann gerichtet.
Die einzige Liebe
Und darum wird eine einzige Liebe sein, und nur so sollte es sein in der Liebe zwischen Mann und Frau und nicht anders. Die Liebe des Mannes ist im Brand seiner Leidenschaft wie das Feuer brennender Berge, das kaum einzudämmen ist, die Liebe der Frau gleicht dagegen der Flamme in einem Holzstoß, die man leicht wieder auslöscht.
Liebe dem Manne gegenüber
Ihre Liebe ist dem Manne gegenüber wie die ausgeglichene Wärme der Sonnenglut, die fruchtbringend wirkt im Vergleich zu jener ungeheuerlich entfachten Flamme der brennenden Wälder. Deshalb vermag die Frau auf eine angenehmere Weise ihre Frucht auszutragen. Jene gewaltige Liebesglut aber, die in Adam aufkam, als Eva aus ihm hervorging, und die Süßigkeit jenes Schlafes, in welchen er damals gefallen war, ist durch sein Vergehen in eine Süßigkeit entgegengesetzter Natur verkehrt worden.
Liebe: Der Mann spürt einen "starken süßen Drang", die Frau fühlt sich "von wuchtigen Schlägen erschüttert"
Gleichwohl spürt auch jetzt noch der Mann jenen starken süßen Drang in sich, und wie sich der Hirsch nach der frischen Quelle sehnt, so eilt auch heute noch hurtig der Mann zum Weibe hin. Die Frau aber verhält sich ihm gegenüber mehr wie eine Getreidetenne, die von wuchtigen Schlägen erschüttert wird und die, so wie die Körner in ihr zerschlagen werden, sich tüchtig dabei erhitzt.
Quelle: Gisbert Greshake/Josef Weismayer, Quellen geistlichen Lebens, Band II, Das Mittelalter