„Lebensglück hängt nicht vom Gehen ab“
PassionswegeRollstuhl-Tennisprofi Nico Langmann (27) aus Wien im Interview mit Marlene Groihofer.
Nach Autounfall im Rollstuhl
Nico Langmann, Sie sind seit einem Autounfall im Alter von zwei Jahren querschnittgelähmt. Ihre Familie hat ab dem Unfallzeitpunkt alles versucht, um rückgängig zu machen, was geschehen ist.
Nico Langmann: Meine Eltern sind in einer Zeit aufgewachsen, als das Thema Behinderung nicht präsent war. Plötzlich aber wurde ihnen gesagt, dass ihr Sohn nun eine Behinderung hat und man nichts mehr für sie tun kann. Sie aber wollten das Allerbeste für mich und mich wieder gehen lassen.
Das Ziel des Wieder-gehen-Könnens war für Sie lange omnipräsent. Und etwas, für das Sie viel tun mussten. Wie sehr hat die Suche nach dem Wunder der Heilung Ihr Leben als Kind und Jugendlicher bestimmt?
Mein Alltag war geprägt von physischen Therapien wie Stromstimulation, Akkupunktur, Physiotherapie und teils verrückten Ansätzen von Heilern. Dazu gab es auch mentale Therapien, etwa Meditation. Ich sollte mir auch vorstellen, dass ich wieder gehe: Denn wenn das Gehirn es glaubt, dann wird es irgendwann wieder so sein.
Von Gurus und Heilern
Medizinisch gesehen ist Ihre Querschnittlähmung unheilbar. Ihre Eltern haben sich daher deshalb auch alternativen Methoden zugewendet, zum Beispiel Gurus oder Heilern. Sie haben auf der ganzen Welt nach Unterstützung gesucht. Auch in Indien, Russland oder Brasilien.
Links und rechts der Medizin gab es viele, die versprochen haben, sie könnten mich heilen. Meine Eltern waren aus Verzweiflung bereit, alles zu tun. Das ist eigentlich schön – nur sind sie dabei vielen Leuten auch auf den Leim gegangen.
Was haben Sie zum Beispiel erlebt?
Wir hatten die komischsten Geräte daheim, die zum Beispiel durch Magnetfeldstrahlung die Lähmung wegmachen sollten. Oder ich war bei Therapien, wo ein Heiler so fest auf mein Bein drückte, dass die Muskeln vor Schmerz kontrahierten. Dann hat er gesagt, seht, Nico kann die Beine wegen mir bewegen, kommt noch drei Mal zu mir und er kann wieder gehen!
„Wir hatten die komischsten Geräte daheim. Sie sollten etwa durch Magnetfeldstrahlung die Lähmung wegmachen.“
Nico Langmann
Sie wollten Ihr Umfeld nicht enttäuschen und haben Fortschritte dann teilweise vorgespielt, auch die Gurus und Heiler getäuscht. Welche Tricks haben Sie da angewendet?
Es gab einen österreichischen Heiler, der mich zum Beispiel mit Farblicht behandelt hat. Danach hat er mich getestet und gefragt: Wo berühre ich dich? Ich lag am Bauch und habe meine Beine nicht im Blick gehabt. Aber in einem alten Röhrenfernseher habe ich mein Spiegelbild gesehen und es ihm dadurch genau richtig sagen können. Alle waren begeistert: Er spürt etwas!
Irgendwann wurde der Druck zu groß.Ich habe immer wieder Fragen bekommen: Wann ist es jetzt so weit, dass du wieder gehen kannst? Alle rundherum stecken so viel Zeit und Energie hinein. Nun bist du langsam ausgewachsen. Glaubst du noch daran, tust du noch genug dafür? Daran bin ich nach und nach zerbrochen.
„Für mich war klar: Ich will mich so akzeptieren, wie ich bin. Ich musste es nur noch den anderen sagen.“
Nico Langmann
17 Jahre alt waren Sie, als Sie Ihren Eltern und Ihrem Bruder gesagt haben: Ich will gar nicht mehr gehen können. Welcher innere Prozess ist da davor in Ihnen abgelaufen?
Ich habe Reflexion gelernt. Und mir überlegt: Wenn ich morgen plötzlich aufstehen und gehen könnte, was wäre groß anders? Ich würde von A nach B nicht mehr rollen, sondern gehen. Ich komme aber im Rollstuhl auch bei B an, wie alle anderen. Und der Druck wäre weg. Für mich ist klar geworden, ich will mich so akzeptieren, wie ich bin. Das habe ich mehr erkannt als beschlossen. Ich musste es nur noch den anderen sagen.
Biographie des Rollstuhl-Tennis-Profis
Diese innere Erkenntnis und die Aussprachen, die Sie später mit Ihrer Familie hatten, haben dazu geführt, dass Sie ein „Leben gewonnen“ haben – wie Sie es auch in Ihrer Biographie beschreiben.
Als Erstes habe ich es damals meinem Bruder gesagt. Er war ziemlich überrascht, weil auch er nie wirklich hinterfragt hatte: Muss der Nico eigentlich wieder gehen können? Er war sehr gerührt und hat gesagt, cool, dass du das so siehst.
Rollstuhl-Tennis als Begleiter
Heute feuert Ihre gesamte Familie Sie bei Rollstuhl-Tennisturnieren an. Sie waren von klein auf ein sportliches Kind, das den Wettbewerb geliebt hat. Mittlerweile zählen Sie zu den besten Rollstuhl-Tennisspielern der Welt und haben bereits drei Mal an Paralympischen Spielen teilgenommen. Welche Bedeutung hat der Tennissport für Ihren inneren Weg gehabt?
Rollstuhl-Tennis war mir ein guter Begleiter in meinem Aufwachsen. Bei den Turnieren habe ich zum ersten Mal ganz viele andere Menschen im Rollstuhl gesehen. Ich weiß noch, wie perplex ich war bei dem ungewöhnlichen Anblick. Zum ersten Mal habe ich „sich selbst mögende Menschen“ im Rollstuhl kennengelernt, die ein cooles Leben führen. Da wurde mir gezeigt: Das Lebensglück muss nicht davon abhängen, ob man rollt oder geht!

Zur Person
Nico Langmann (27) aus Wien ist einer der besten Rollstuhl-Tennisspieler der Welt.
Er ist aufgrund eines Autounfalls querschnittgelähmt. „Nur deshalb bezahlte mir die Versicherung des Unfallverursachers die Sportgeräte, die jeweils mindestens rund 5.000 Euro kosteten“, sagt er. Heute will er selbst mobilitätseingeschränkten Kindern dabei helfen, damit sie Sportarten ausüben können. Er gründete die Nico Langmann Foundation. Darüber werden Familien in Österreich unterstützt, die sich für ihre Kinder Sportrollstühle und Sportgeräte nicht leisten können.
▶ nico-langmann.at

Buchtipp
Zur BuchbestellungNico Langmann, Wie man einen Traum aufgibt, um ein Leben zu gewinnen, Brandstätter Verlag, ISBN: 978-3-7106-0687-8, 208 Seiten, EUR 25,00
Die Einnahmen aus dem Buch fließen in die Nico Langmann Foundation.

Passionswege auf radio klassik Stephansdom
Am Samstag, 15. März, ist Nico Langmann in einer Porträtsendung auf radio klassik Stephansdom zu hören. Marlene Groihofer hat den Rollstuhl-Tennisspieler für die Serie „Passionswege“ getroffen. Beginn: 19 Uhr. Wiederholt wird die Sendung am Mittwoch, 19. März um 21 Uhr. ▶ radioklassik.at