Krisenbewältigung bei ungewollter Schwangerschaft

50 Jahre Fristenregelung
Ausgabe Nr. 35
  • Soziales
Autor:
Frau hält Schwangerschaftstest
Der Idealfall: wenn eine Schwangerschaft nicht Sorgen und Ängste, sondern Freude auslöst. ©ilona titova
Paar bei der Schwangerschaftsberatung
Eine Schwangerschaft bringt meist viele Fragen mit sich. Gut, wenn es einen Ort gibt, an dem man sie alle stellen kann und darf. ©People Images

Erfahre, wie die Schwangerenberatungsstelle der aktion leben Frauen in Krisensituationen umfassende Unterstützung und Beratung bietet, um sie in schwierigen Schwangerschaftssituationen zu entlasten.

Mit der Fristenregelung wurden Mitte der 1970er-Jahre auch „flankierende Maßnahmen“ beschlossen. Sie sollten dafür sorgen, dass das Gesetz so hinfällig wie nur irgendwie möglich wird und sie sollten Frauen – auch in einer ungewollten, ungeplanten – Schwangerschaft so unterstützen, dass sie sich ein Leben mit Kind zutrauen. Doch was eben diese Maßnahmen betrifft, ist heute, 50 Jahre später, immer noch „viel Luft nach oben“, wie Martina Kronthaler, Generalsekretärin der aktion leben Österreich im Gespräch mit dem SONNTAG betont.

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Hilfe in schwierigen Situationen

Die Schwangerenberatungsstelle der aktion leben Österreich in der Diefenbachgasse im 15. Wiener Gemeindebezirk: Wer hierher kommt, hat meist schon viele schlaflose Nächte hinter sich. „Zu uns kommen schwangere Frauen, die alleine sind, Familien in prekären Situationen, Frauen nach vorangegangenen problematischen Schwangerschaften oder Paare, die mit einem auffälligen Befund im Zuge einer Schwangerschaft konfrontiert sind“, sagt Martina Kronthaler, Generalsekretärin von aktion leben Österreich. „Eine Schwangerschaft kann sehr viel Freude auslösen, aber auch Unsicherheiten und Ängste bereiten und verstärken.“

Ängste und Sorgen ernst nehmen

Dass eine ungeplante und ungewollte Schwangerschaft viele Frauen in eine tiefe Krise stoße, sei immer wieder traurig, in vielen Fällen aber auch nachvollziehbar, so Martina Kronthaler. „Frauen kommen mit der Angst zu uns, dass sie den Alltag mit einem Baby nicht schaffen können. Bei uns in der Beratungsstelle hören wir ihnen zuerst einmal zu, dann schauen wir gemeinsam, wo das Problem liegt.“ Die Beraterinnen der aktion leben haben ein umfassendes Wissen rund um das Thema Schwangerschaft und Geburt, wissen etwa, auf welche Leistungen man als Mutter, als Familie Anspruch hat, können Informationen zu sozialrechtlichen Fragen geben, unterstützen bei Behördenwegen und vieles mehr.

Entlastung und Perspektiven

„Das ist die große Stärke einer Beratungsstelle wie der unseren“, sagt Martina Kronthaler. „Die Frauen, die zu uns kommen, erleben die Informationen, die wir ihnen geben, als große Entlastung. Sie können bei uns allen Gefühlen Raum geben, alle Fragen stellen, die ihnen in den Sinn kommen, Optionen durchdenken. Nur so können unsere Beraterinnen mit unseren Klientinnen tragfähige Perspektiven entwickeln.“

Beratung macht den Unterschied 


Seit 70 Jahren engagiert sich die aktion leben für schwangere Frauen in schwierigen Situationen. Zigtausende erhielten hier in den vergangenen Jahrzehnten kostenlose Informationen, Unterstützung und Antworten auf alle Fragen, die sich während einer Schwangerschaft oder wenn man ungewollt oder ungeplant schwanger wird, ergeben. Viele Zusatz­angebote wie Baby-Care-Beratung, vorgeburtliche Beziehungsförderung oder psychologische Beratung gewährleisten zudem eine umfassende Begleitung der werdenden Mütter. Die Beratung ist kostenlos und ergebnisoffen. 

Finanzierung und Notwendigkeit

Finanziert wird sie zum Teil durch eine Förderung des Bundesministeriums für Familien, der weitaus größere Teil, nämlich 90 Prozent, wird durch private Spenden abgedeckt. „Allein die Zahl der Beratungen bestätigt, wie notwendig auf Schwangerschaft und Geburt spezialisierte Beratungsstellen sind“, sagt Martina Kronthaler. 

Lücken in der Versorgung

Problematisch sei allerdings zum einen, dass es viel zu wenig Beratungsstellen gebe, einmal mehr am Land. Zum anderen, dass die Informationen über Schwangerenberatung viel zu dünn gesät seien. „Selbst Ärztinnen und Ärzte, medizinisches Personal oder Apothekerinnen und Apotheker haben zu wenig Wissen darüber“, so Martina Kronthaler. „Es braucht dringend bundesweite Information darüber, dass es spezialisierte Beratungsstellen wie die unsere überhaupt gibt.  Und jede Frau sollte wissen, dass es Hilfe gibt, wenn sie ungeplant oder ungewollt schwanger und in einer Notlage ist.“

Dringender Bedarf an öffentlicher Unterstützung

Dass es zudem zu wenig öffentliche Gelder für Schwangerenberatung gibt, mache die Situation nicht einfacher. „Im Grunde bräuchten wir und auch alle anderen Beratungsstellen mehr finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand. Schwangerenberatung muss finanziell gesichert in ganz Österreich ermöglicht werden, denn wir wissen aus unserem Beratungsalltag, dass eine gute Beratung einen Unterschied macht. Eben auch bei der Frage Schwangerschaftsabbruch.“

Beratung als entscheidende Maßnahme


Beratungsstellen als flankierende Maßnahme dem Gesetz zur Fristenregelung zur Seite zu stellen war und ist also sinnvoll? „Ja, keine Frage. Ich bin davon überzeugt, dass Schwangerenberatung uns alle, als Gesellschaft, einen großen Schritt weiterbringt und eben auch einen relevanten Unterschied im Hinblick auf das Thema Schwangerschaftsabbruch macht. Wir können damit Perspektiven entwickeln, sodass die Entscheidung auf einer breiteren Basis steht.“

Luft nach oben

Und die anderen „flankierenden Maßnahmen“ zur Fristenregelung? Wo steht Österreich da? „Die Dinge, die damals beschlossen wurden, halte ich prinzipiell für gut“, sagt Martina Kronthaler. „Neben der Bewerbung und dem flächendeckenden Ausbau von Beratungsstellen wollte man damals ja auch eine bessere und fundiertere Sexualerziehung. Auch sozialpolitische Maßnahmen wie die Erhöhung der Geburtenbeihilfe und des Karenzgeldes, die ein gutes Leben mit Kindern fördern, wurden da gelistet. In der Umsetzung ist aber nicht nur beim Thema Beratungsstellen Luft nach oben.“ 

Kinder als großes Glück 


Traurig sei in jedem Fall, dass „es unsere Gesellschaft und auch die Politik in den Jahrzehnten seit Inkrafttreten der Fristenregelung nicht geschafft haben, ein Leben mit Kindern so attraktiv zu machen, dass sich junge Frauen und Männer das nicht nur vorstellen können, sondern wünschen und ihr Leben dann auch rund um diesen Wunsch gestalten“, so Martina Kronthaler. „Untersuchungen zeigen, dass vor allem auch Männer mit dem Gedanken, Vater zu werden, oft ein massives Problem haben, dass immer weniger Freude an einer Familiengründung da ist, dass die Gründung einer Familie vielmehr als nicht stemmbar gesehen wird.“ Entsprechend gehe auch die Geburtenrate dramatisch zurück. „Das kann uns eigentlich – auch als Gesellschaft – nicht egal sein. Die Fragen der Betreuung von Kindern, der partnerschaftlichen Aufteilung des Familienalltags und mehr müssen dringend gelöst werden!“  

Anonyme Statistik 


Notwendig, wenn auch nicht Teil der flankierenden Maßnahmen, sei zudem endlich eine anonyme Statistik zum Thema Schwangerschaftsabbrüche, die verlässliche Daten liefere. „Solche statistischen Informationen sind zum Beispiel auch für die Prävention enorm wichtig“, sagt Martina Kronthaler. „Wir müssen natürlich nicht wissen, wer genau eine Abtreibung machen lässt, aber es ist von Interesse, in welchem Alter, ob in Ausbildung oder in welcher beruflichen Phase zum Beispiel Abbrüche passieren. Gesicherte Infos wären ein Handlungsauftrag für die Politik, die Umstände zu verbessern. Ebenso braucht es mehr Wissen über Fruchtbarkeit und Methoden der Verhütung.“

Über alles muss geredet werden 


In jedem Fall wünscht sich Martina Kronthaler, dass die öffentliche Debatte zum Thema Schwangerschaftsabbruch weniger emotional geführt wird. Die grundsätzliche Komplexität bei dem Thema war immer und sei es immer noch, „dass es um das Leben eines Kindes geht. Darüber kann letzten Endes nur die Frau entscheiden. Aber wir können gemeinsam das Umfeld gestalten! Und, man muss ehrlich sein, es wird in einer vielfältigen Gesellschaft wie der unseren immer um einen Kompromiss auch im Recht gehen. Wer nicht anerkennen kann, dass es auch um ein anderes Leben geht oder wer kein Verständnis für Frauen in dieser Situation aufbringt, wird nie zu 100 Prozent zufriedenzustellen sein“, sagt Martina Kronthaler. 

Offener Dialog notwendig

50 Jahre nach Inkrafttreten der Fristenregelung sei es endlich an der Zeit, dass sich alle Gruppen, die das Thema bewegt, zusammensetzen und reden. „Und dass dabei auch über alles geredet werden darf – ohne Vorwürfe. Ich denke, dass wir dann auch schneller so weit wären, alles in die Wege zu leiten, was es braucht, damit Frauen möglichst gar nicht in die Situation einer ungewollten Schwangerschaft kommen.“

Autor:
  • Portraitfoto von Andrea Harringer
    Andrea Harringer
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