Konzil von Nizäa: Der Streit um Jesus
1.700 Jahre Konzil von NizäaDekanin Uta Heil ist seit 2015 Professorin für Kirchengeschichte an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Ihre Forschungen befassen sich vor allem mit der Spätantike, also der Entwicklung des Christentums im Römischen Reich.
Was waren die Gründe, dass der damals noch nicht getaufte Kaiser Konstantin für 325 ein Konzil in Nizäa einberufen hat?
UTA HEIL: Wir wissen aufgrund mangelnder Quellen nicht genau, warum Konstantin das Konzil einberufen hat und ob es überhaupt ursprünglich seine Idee gewesen ist. Es ist auch möglich, dass er ein Konzil, dessen Planungen schon länger vorausgegangen waren, eigentlich nur nach Nizäa verlegt hat. Eines seiner Anliegen war es, den sogenannten Arianischen Streit, also den Streit, den der Presbyter Arius in Alexandrien angestoßen hat, bei dem es um die Frage der Gottheit des Sohnes Jesus Christus geht, hier auf die Tagesordnung eines Konzils zu setzen, um die Gemüter zu beruhigen und zu einem Konsens zu kommen. Nizäa muss man gleichsam zweigleisig sehen – einerseits als eine große Feier der Reichseinheit von Kaiser Konstantin, der 324 Alleinherrscher geworden war, und andererseits auch als Versuch, die Streitfragen, die inzwischen aufgetaucht waren, in Angriff zu nehmen und zu lösen.
Wenig Teilnehmer beim Konzil von Nizäa
Warum war die Zahl der westlichen Teilnehmer so gering? Wie viele nahmen 325 an dieser Reichssynode teil?
Es waren deshalb so viele Bischöfe aus dem griechischen Osten dabei, weil es ein Streit war, der vor allem den griechischen Osten betraf. Hinzu kommt ein ganz praktischer Grund: Aufgrund der sehr kurzfristigen Planung konnten nicht mehr Bischöfe aus dem Westen anreisen. Der Begriff „Ökumenisches Konzil“ ist so zu verstehen, dass die lateinischen Bischöfe im Westen die Beschlüsse des Konzils akzeptierten, ohne dass sie selbst in Nizäa Konzilsteilnehmer waren. Wir haben Unterschriftenlisten, die besagen, dass ungefähr 250 bis 280 Bischöfe in Nizäa gewesen sind. Dass ein Kaiser zu einem Konzil einlädt, das hat es bis dahin noch gar nicht gegeben. Es gab zwar auf regionaler Ebene Synoden, aber bis dahin keine reichsweite Veranstaltung. Und so musste man auch erst einen Modus vivendi finden. Wie agiert man zusammen? Wo liegen die Kompetenzen des Kaisers? Wie wird das organisiert? Wie lange wird das dauern? Wie redet man miteinander? Gibt es Kommissionen oder nicht? Wie werden Gespräche organisiert?
Die Lehre des Arius und die Häretischen Schriften
Wie lässt sich die Theologie oder Lehre des Arius beschreiben?
Die Lehre des Arius ist nur ungefähr greifbar, weil wir nicht so viele Quellen haben. Das liegt daran, dass in der Überlieferung die Schriften, Traktate, Kommentare oder Briefe von Häretikern einfach nicht weitertradiert wurden. Häretische Schriften schreibt man nicht ab und bewahrt sie nicht. Sie sind daher nur in einem geringen Ausmaß überliefert, sofern sie später bei anderen zitiert wurden, um sie zu widerlegen. An vorderster Stelle steht ein Brief des Arius und einer Gruppe seiner Anhänger, den Arius an seinen Bischof in Alexandrien namens Alexander gerichtet hatte ‒ aus der Zeit vor Nizäa. Darin legt er seinen Glauben dar, indem er die Probleme oder Unterschiede beschreibt, die er zwischen seinem Verständnis von Gott und der Gottheit Jesu Christi und den Ansichten seines Bischofs Alexander sieht.
Für Arius ist es ganz wichtig, die Gottheit und absolute Priorität des Vaters zu betonen, der erst zu einem späteren Zeitpunkt den Sohn ins Dasein gerufen habe, um durch ihn als Schöpfungsmittler die Welt zu schaffen, und so habe der Sohn einen Anfang. Auch die Art und Weise der Entstehung des Sohnes aus dem Vater sei genauer zu beschreiben, und da sieht er besondere Probleme in der Terminologie, die sich durch den Begriff „Sohn“ ergeben, wenn Jesus Christus der Sohn Gottes ist. Diese Vorstellung laufe Gefahr, eher körperliche, materialistische Vorstellungen auf Gott zu projizieren. Wenn Gott als Vater einen Sohn hat, dann ist man gedanklich bei einer menschlichen Zeugung, und das sei natürlich in Bezug auf Gott zu vermeiden ‒ aber wie soll man dann die Entstehung des Sohnes aus dem Vater beschreiben?
Sohn sei Gott und aus dem Vater
So versucht Arius das Problem auf eine Art abstrakte Ebene zu heben. Er meint zwar, der Sohn sei ein Gott und er sei auch irgendwie aus dem Vater, aber nicht gezeugt, weil er dann ein Teil Gottes in sich habe oder wie aus dem Vater abgeschnitten zu verstehen sei. Das lehnt er ab. Aber trotzdem ist der Sohn eine Gottheit, auch schon in seinem vorweltlichen Dasein. Denn es geht bei dem Streit nicht um die irdische Zeugung, um Weihnachten, um die Zeugung der Geburt aus Maria, sondern um die Zeugung des Sohnes vor seinem weltlichen Dasein aus Gott dem Vater. Arius fürchtet, dass sein Bischof – Alexander ‒ nicht mehr sauber zwischen Sohn und Vater unterscheide, sodass sie irgendwie unterschiedslos eins sind. Und wenn Alexander den Sohn so eng mit dem Vater verbindet und an ihn heranrückt, dann müsse man zwei gleichursprüngliche Wesen annehmen; aber der Vater habe natürlich eine Priorität vor dem Sohn. Für Arius ist es daher selbstverständlich, dass der Sohn erst einmal aus dem Vater entstanden und der Vater der Urheber seiner Existenz sei.
Arius hatte ein Netzwerk, das im syropalästinensischen Raum lag und bis hin nach Kleinasien reichte, sodass der Streit aus Ägypten und Alexandrien herauskatapultiert wurde und größere Kreise zog. Fast jeder Bischof im Osten war damals herausgefordert, sich zu positionieren ‒ für Arius, gegen Arius, für Alexander, gegen Alexander ‒, so dass es zu einer Zerrissenheit gekommen ist im griechischen Osten.
Was meint für heutige Ohren „gleich wesentlich mit dem Vater“? Warum ist das mehr als eine theologische Spitzfindigkeit?
Man muss sich mit den Debatten der damaligen Zeit des vierten Jahrhunderts beschäftigen, um zu verstehen, was damit eigentlich gemeint war. In Nizäa haben wir als Beschluss nicht nur die Verurteilung des Arius, sondern in erster Linie auch die Fixierung des sogenannten Nizänums, des Glaubensbekenntnisses von Nizäa. Und in diesem Nizänum wird festgelegt, dass der Sohn mit dem Vater eines oder gleichen Wesens ist, ausgedrückt durch das berühmte griechische Wort „Homoousios“. Voran geht die Beschreibung, dass der Sohn aus dem Vater, das heißt aus dem Wesen des Vaters gezeugt wurde.
Die Absicht dahinter war, erst einmal eine Begrifflichkeit zu finden, auf die sich die Mehrheit einigen konnte, um Arius herauszufordern. Und Arius hatte gerade diesen Begriff „Homoousios“, weseneins oder wesensähnlich, kritisiert und als untragbar für theologisches Reden markiert. Die Mehrheit der Bischöfe hat sich aber darauf verständigt, vielleicht auch ein bisschen durch Nachdruck von Kaiser Konstantin, diese zusätzlichen Begriffe in das Nizänum mithineinzunehmen, hauptsächlich um Arius auszugrenzen. Der Begriff gleichwesentlich oder wesenähnlich ist ein etwas schillernder Begriff. Das Einzige, was klar war, ist wirklich, die Entstehung des Sohnes aus dem Vater ganz deutlich zu markieren: Der Sohn ist aus dem Vater gezeugt, das heißt, aus dem Wesen des Vaters, und er ist auch gezeugt und nicht geschaffen worden. Das soll den Sohn so eng mit dem Vater verbinden, sodass sie in Bezug auf ihre Gottheit gleich sind und der Sohn genauso Gott ist oder göttliche Qualität hat wie der Vater selbst und nicht irgendwie dem Vater untergeordnet oder eine Gottheit zweiten Ranges ist. Der Begriff sollte auch vermeiden, dass die Sprache oder die Beschreibung vom Sohn Gottes dazu führt, irgendwie zwei Götter anzunehmen. Durch die Beschreibung, dass sie doch im Wesen übereinstimmen oder der Sohn aus dem Wesen des Vaters kommt, können wir trotzdem von einer Gottheit reden und uns nicht den Vorwurf des Polytheismus zuziehen.
Konzil von Nizäa: Aufregung um Jesus
Warum hat man sich darüber so in die Haare gekriegt und warum hat das so viel Aufregung erzeugt?
Im Kern geht es um die Frage, wer war, oder um es noch deutlicher zu sagen: Wer ist Jesus Christus? Jesus Christus als Gott zu beschreiben, das hebt ihn aus dem Kreis sonstiger Propheten oder anderer besonderer Menschen heraus und weist ihm göttliche Qualität zu. Und insofern Jesus Christus als der Erlöser verstanden wird, ist es ein Anliegen der Christen damals gewesen, sein Wesen als Gott zu beschreiben, weil nur Gott die Menschen vollends erlösen kann. Der Streit hängt also mit der christlichen Erlösungslehre zusammen. Nicht ein niedriger Gott und schon gar kein Mensch kann Menschen erlösen. Die Erlösung muss von Gott selber kommen. Und weil die Erlösung von Gott selbst kommen muss, und Christus der Erlöser ist, muss auch Christus von Gott selbst und direkt aus Gott kommen.
Gemäß der damaligen griechischen Denkwelt war der Ansatz, zunächst zu beschreiben oder zu erkennen, wer Jesus Christus ist, also sein Wesen, und dann in Ableitung daraus auch darüber zu reden oder nachzudenken, was Jesus getan hat und gesagt hat, inwiefern das eine Bedeutung für uns hat. Heute würden wir eher eine Art Christologie von unten skizzieren. Wir würden beispielsweise auf Jesu Worte in der Bergpredigt schauen, auf seine Gleichnisse, Heilungserzählungen, also was Jesus gesagt und getan hat in seinem irdischen Leben. Und dann daraus in einem zweiten Schritt ableiten, dass er ein besonderer Mensch war, oder dass er mehr war als ein besonderer Mensch und so weiter und von da an weiterdenken, wer Jesus Christus ist.
Auch im Jahr 2025 wäre gut, sich einmal den Text des Nizänums von 325 anzuschauen und sich davon ausgehend über die damaligen Debatten zu informieren. Es ist das zentrale Glaubensbekenntnis, das alle christlichen Gemeinschaften ökumenisch unterschreiben, und insofern ist das natürlich von höchster Relevanz für jeden Christen, jede Christin.
Termintipp:
Universitätsprofessorin Uta Heil (Evangelisch-Theologische Fakultät der Uni Wien) spricht am 17. Jänner bei den „Theologischen Kursen“ von 16:00 bis 18:00 Uhr zum Thema „Das Konzil von Nizäa (325). Vorgeschichte, Verlauf, Ergebnisse“. ▶ theologischekurse.at