Kommune 1 Jerusalem
Hätte ich einen Wunsch frei, ich wäre gern Hirtenhund gewesen zur Zeit des Urchristentums. Wo die Jünger Jesu lebten wie in einer guten Studenten-WG. „Und alle, die glaubten, waren an demselben Ort und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und teilten davon allen zu, jedem so viel, wie er nötig hatte.“ So berichtet die Apostelgeschichte in der Lesung dieses Sonntags. Berichte über WG-übliche Abwasch-Streitereien und Putzpläne sind zwar nicht überliefert, ich stelle mir aber den „ungläubigen Thomas“ als so einen frühchristlichen WG-Bewohner vor, der mit seinem ungechillten Dauernörgeln die Gemeinschaft auf eine ordentliche Probe stellte. Die anderen lungerten derweil auf Sofas herum, zupften ein wenig die Kithara und warteten auf die Wiederkunft des Herrn. Kommune 1 Jerusalem.
Ob sich Kardinal Schönborn in dieser Szenerie sah – quasi ein frühchristlicher John Christoph Lennon –, als er in der ORF-Pressestunde jüngst bekannte: „Ich bin ein Alt-68er“? Was ich aber beachtlich finde, ist die Verve, mit der die selbsternannten Politwächter am rechten Rand Schönborn daraufhin gemaßregelt haben. Der Kardinal verwendete den 68er-Vergleich als Hinweis darauf, dass er die Klimaproteste junger Menschen nachvollziehen könne. Damals sei es ebenfalls um lebensbedrohende Themen wie die Atom-Gefahr gegangen. „Das hat uns junge Menschen extrem besorgt. Deshalb sind wir auf die Straßen gegangen.“ Heute sei dies der Klimawandel, der verständliche Sorgen und Wut auslöse.
„Schönborn liegt inhaltlich falsch und entfremdet die Kirche noch ein Stück mehr von den Menschen“, raunte daraufhin der Weltallesverklärer Andreas Unterberger. Zum einen sei 68 das Siegel des Bösen schlechthin: kommunistische, maoistische, trotzkistische, linkssozialistische Jugendliche im Kampf gegen Demokratie und Rechtsstaat. Und außerdem ignoriere der Kardinal damit, was angeblich „tausende Naturwissenschaftler“ sagen: dass es keinen Beweis gibt, dass der Klimawandel menschengemacht ist.
Wer die 68er verteufelt, der hat nichts verstanden von dem, was ihnen wichtig war. Eine nachholende Revolution des Geistes, eine Politisierung des Lebens, ein Durchbrechen des Schweigens über die dunkelbraunen Jahre, ein Wachsen in die Mündigkeit des Bürgers hinein, in ein nicht nur fromm nickendes, sondern bewusst wählendes, selbstbewusst denkendes und katholisches Volk. Genau solche Gläubigen braucht es im synodalen Prozess und in einer zukunftsfähigen Kirche. Denn nur wer aufrecht geht, kann auch freiwillig knien.