Königin Ester – eine der schönsten biblischen Gestalten
Die Wandlung einer KöniginAgnethe Siquans ist Professorin für Altes Testament an der Universität Wien. Sie forscht auf den Gebieten der feministischen Bibelauslegung, der innerbiblischen Auslegung und befasst sich auch mit der frühchristlichen und frühjüdischen Rezeptionsgeschichte. Wir sprechen mit Frau Professor Siquans über die biblische Gestalt von Königin Ester, deren Glaubensmut bis heute fasziniert.
Was fasziniert Sie als Bibelwissenschaftlerin am Buch Ester?
Agnethe Siquans: Das Ester-Buch ist eines der wenigen biblischen Bücher, das nach einer Frau benannt ist und in dem eine Frau eine Hauptrolle spielt. Die Hauptpersonen sind Ester und ihr Kusin Mordechai. Das Buch ist eine literarisch wunderschön gestaltete Erzählung mit einem sehr spannenden und auch aktuellen Thema, wo es einerseits um die Bedrohung des jüdischen Volkes geht und um seine Rettung. Es geht auch um die Frage wie man als religiöse Minderheit in einer Gesellschaft mit anderer Kultur, mit anderer Religion leben kann. Das finde ich sehr spannend.
Wie kam es dazu, dass es das Buch in verschiedenen Überlieferungen gibt, zum einen hebräisch, zum anderen griechisch?
Agnethe Siquans: Das ist nicht ganz geklärt. Es gibt eine hebräische Fassung und zwei griechische. Man kann vermuten, dass es eine mündliche Tradition gegeben hat, die in verschiedenen Traditionen auch überliefert worden ist. In der längeren griechischen Fassung gibt es einige Zusätze, in denen besonders der religiöse Aspekt hervorgehoben wird. Das fehlt im hebräischen Text. Dort wird Gott kaum oder gar nicht genannt – das kommt auf die Interpretation an. Dort wirkt Gott durch die Handlungen der Menschen und ist selber nicht so sichtbar. Im griechischen Text wird das wieder stärker betont und sichtbar gemacht.
Königin Ester
Der Name Ester bedeutet „Stern“ und ist persisch.
- In der Literatur:
Lope de Vega: „La hermosa Ester“ („Die schöne Ester“, 1611)
- In der Malerei:
Lippi, Tintoretto, Rembrandt...
Da der Gottesname im hebräischen Esterbuch nicht vorkommt, ist die Esterrolle nicht von Illustrations-Beschränkungen betroffen.
- Im Film:
Ein beliebter Filmstoff, z. B. „Das Schwert von Persien“, Regie: Raoul Walsh, 1960, mit Joan Collins
- In der Musik:
Händel: Oratorium „Esther“ (1714)
Was weiß man über den historischen Hintergrund des Buches Ester?
Agnethe Siquans: Man merkt, dass die Erzählung sehr märchenhafte Züge hat, andererseits gibt viele Details, die zeigen, dass der Erzähler schon einiges an historischem Wissen hatte. Eine persische Königin mit Namen Ester ist nicht nachgewiesen. Ester ist eher die Gestalt einer Erzählung. Das Buch ist eine Erzählung, die die Botschaft vermittelt: Gott rettet sein Volk aus der Bedrohung. Es wird eine typische Situation der Judenfeindschaft geschildert. Das heißt, es kommt nicht so sehr darauf an, ob das alles wirklich so passiert ist, sondern es soll eine beispielhafte Erzählung gegeben werden, die in Verfolgungssituationen Mut machen soll. Das Buch ist wahrscheinlich in hellenistischer Zeit im 3. Jahrhundert v. Chr. entstanden. Da hatten die griechischen Historiker wie zum Beispiel Herodot schon einiges an Wissen zusammengetragen über die Perserzeit. Der im Buch genannte Perserkönig Artaxerxes ist eigentlich König Xerxes, der im 5. Jahrhundert v. Chr. lebte.
Was für eine Frau ist Königin Ester?
Agnethe Siquans: Sie erscheint zunächst als sehr normal so wie die anderen Frauen in ihrer Umgebung. Was besonders hervorgehoben wird, ist ihre Schönheit – dafür ist sie berühmt. Sie kommt mit vielen anderen jungen Frauen an den persischen Königshof, wo diese lange Schönheitspflege durchgeführt wird. Da ist sie eigentlich sehr angepasst und verhält sich genauso wie alle anderen Frauen am Königshof. Ihr Vormund und Kusin Mordechai sagt ihr, dass sie sich am Königshof nicht als Jüdin zu erkennen geben soll. Spannend ist, dass es eine Entwicklung bei ihr gibt. In der Krisensituation, in der das Dekret zur Vernichtung der Juden veröffentlicht wird, wird ihr das bekannt. Sie fühlt sich zunächst in Sicherheit und will nicht eingreifen, weil niemand zum König gehen darf, ohne gerufen worden zu sein. Mordechai macht ihr klar, dass sie auch am Königshof nicht sicher ist. Das bewirkt in ihr eine Wende, so dass sie sich dann ganz mutig für ihr Volk einsetzt und zum König geht und ihn um das Leben ihres Volkes bittet. Sie macht es sich nicht bequem als Königin, sondern sie setzt sich für ihr Volk ein.
Wie wurde Königin Ester im Christentum wahrgenommen?
Agnethe Siquans: Bei den Kirchenvätern wird sie als Vorbild für Glaubensmut gesehen, auch als ein Vorausbild und Typus der Kirche und für Maria. Man hebt ihren Mut hervor, ihre Glaubensstärke, ihr Gottvertrauen. In der Neuzeit ist das Esterbuch im Christentum eher negativ gesehen worden, weil man es sehr stark als jüdisches Buch gesehen hat und man den Blick auf die Gewalt gelenkt hat, die Juden hier gegen Ende des Buches ausüben. In den letzten Jahrzehnten wurde die Gestalt der Erster wieder deutlich positiver gezeichnet.
Was erzählt das Buch über Antisemitismus?
Agnethe Siquans: Die Erzählung des Buches zeigt deutlich, dass es Verfolgungen von jüdischen Menschen schon vor vielen Jahrhunderten gegeben hat. Wenn man sich ansieht, welche Argumente Haman gegen die Juden vorbringt, dann sind das Argumente, die sich jahrhundertelang gehalten haben: Die Juden sonderten sich ab, sie hätten eigene Gesetze und hielten sich nicht an die Gesetze des Landes, sie seien asozial. Haman stellt sie als Gefahr für die Allgemeinheit und für die anderen Völker hin. Er fordert ihre Vernichtung und zwar des ganzen Volkes. In der Auslegung des Buches findet man dieses Denken weiter. Im letzten Teil des Buches wehren sich die Juden gegen ihre Feinde auch mit Gewalt, das ist durchaus problematisch. Das wird ihnen zum Vorwurf gemacht. Was dabei ausgeblendet wird ist, dass sie es sind, die bedroht sind und die sich gegen Angriffe wehren. In der Auslegung hat man den Juden diese Gewalt zum Vorwurf gemacht.
Welche Rolle spielt Ester heute im Judentum?
Agnethe Siquans: Das Buch Ester begründete das Purimfest, das bis heute im Februar oder März als Karnevalsfest mit Essen, Trinken und Verkleiden gefeiert wird. Da wird auch das Esterbuch gelesen. Wichtig ist hier die Umkehrung der Verhältnisse: Die Unterdrückten werden zu den Gewinnern und sie werden gerettet. Das ist die Botschaft des Ester-Buches, die bis heute aktuell ist, dass man selbst in schlimmsten Bedrohungssituationen hoffen darf, dass sich alles zum Guten wendet.
Die Königin Ester in der Heiligen Schrift
Kapitel 2, Verse 15: Eines Tages war Ester, die Tochter Abihajils, des Onkels Mordechais, der sie als seine Tochter angenommen hatte, an der Reihe, zum König zu gehen. Sie wollte nichts mitnehmen, außer was der königliche Kämmerer Hegai, der Aufseher der Frauen, ihr nahelegte. Ester aber gefiel allen, die sie sahen.
Kapitel 4, Verse 13-16: Mordechai ließ Ester erwidern: Glaub ja nicht, weil du im Königspalast lebst, könntest du dich als Einzige von allen Juden retten.
Wenn du in diesen Tagen schweigst, dann wird den Juden anderswoher Hilfe und Rettung kommen. Du aber und das Haus deines Vaters werden untergehen. Wer weiß, ob du nicht gerade dafür in dieser Zeit Königin geworden bist?
Ester ließ Mordechai antworten:
Geh und ruf alle Juden zusammen, die in Susa leben. Fastet für mich! Esst und trinkt drei Tage und Nächte lang nichts! Auch ich und meine Dienerinnen wollen ebenso fasten. Dann will ich zum König gehen, obwohl es gegen das Gesetz verstößt. Wenn ich umkomme, komme ich eben um.
Kapitel 8, Verse 7-9: Da sagte König Artaxerxes zu Königin Ester und zu dem Juden Mordechai: Ich habe Ester das Haus Hamans übergeben, den man am Galgen aufgehängt hat, weil er seine Hand gegen die Juden erhob.
Jetzt aber sollt ihr im Namen des Königs einen schriftlichen Erlass zugunsten der Juden herausgeben, wie er euch richtig erscheint. Siegelt ihn mit dem königlichen Siegelring; denn ein Schreiben, das im Namen des Königs verfasst und mit dem königlichen Siegelring gesiegelt ist, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden.
Da rief man die königlichen Schreiber; es war der dreiundzwanzigste Tag im dritten Monat, dem Monat Siwan. Und so, wie es Mordechai befahl, wurde zugunsten der Juden ein schriftlicher Erlass herausgegeben und an die Satrapen, Statthalter und Fürsten der hundertsiebenundzwanzig Provinzen von Indien bis Kusch geschickt, für jede einzelne Provinz in ihrer eigenen Schrift und für jedes einzelne Volk in seiner eigenen Sprache.
Kapitel 9, Verse 23; 26: So wurde bei den Juden das, was sie damals zum ersten Mal taten und was Mordechai ihnen vorschrieb, zu einem festen Brauch.
Darum nennt man diese Tage das Purimfest, nach dem Wort Pur.