„Kirche belebt die Demokratie“
Österreichische PastoraltagungAuftrag Zukunft. Christin und Christ sein für eine demokratische Gesellschaft“: So lautet das Thema der Österreichischen Pastoraltagung vom 9. Jänner bis zum 11. Jänner im Bildungszentrum Sankt Virgil in Salzburg. Die Österreichische Pastoraltagung ist seit Jahrzehnten – jeweils im Jänner – ein wichtiger Begegnungsort für hunderte pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirche in Österreich. Gegenüber dem SONNTAG skizziert einer der Referenten der heurigen Pastoraltagung, der Gießener Universitätsprofessor Ansgar Kreutzer, das Verhältnis von Religion, Kirche, Seelsorge und Demokratie.
Kirche und Demokratie
Welche Bedeutung hat Religion für die Zivilgesellschaft?
ANSGAR KREUTZER: Die Zivilgesellschaft ist zunächst einmal wichtig für eine funktionsfähige Demokratie. Sie ist der politische Bereich, der jenseits von Staat und Markt liegt und zwischen der Privatsphäre und den politischen Instanzen vermittelt. In der Zivilgesellschaft, beispielsweise in NGOs, Vereinen, kirchlichen Gruppen, wird Meinungsbildung betrieben, werden politische Interessen formuliert, wird auch Protest artikuliert. Die Zivilgesellschaft ist somit der Ort von Religionsgemeinschaften, wenn sie sich in das politische Geschehen einmischen – was sie sollten. Von den zivilgesellschaftlich eingebrachten Beiträgen der Religionsgemeinschaften zu gutem und gerechtem Leben profitiert so auch die Politik.
Wie kann also das Christentum zu einem guten und gerechten Leben beitragen?
Auf verschiedene Weisen: Das Christentum ist wie alle der Aufklärung zugänglichen Religionen ein Speicher von Vorstellungen von gutem Leben und gerechten Strukturen. Auf diese Beiträge können Gesellschaft und Politik nur zu ihrem Schaden verzichten. Religiöse Menschen speisen Ideen für gutes Leben und Vorstellungen von Gemeinwohl in den gesellschaftlichen Diskurs ein. Christinnen und Christen sind aus ihrer humanistischen Ethik heraus motiviert, sich für andere und für eine lebenswerte Gesellschaft einzusetzen. Schließlich haben religiöse Traditionen auch eine hohe Symbolkompetenz, die sie in die Öffentlichkeit einbringen, beispielsweise über Riten oder über die Teilnahme an Kundgebungen bis hin zu friedlichen Protesten gegen Unrecht und Ausbeutung der Natur.
Demokratie und die Verstrickung von Politik und Theologie
Inwieweit ist Theologie immer auch in Politik verstrickt, also politisch?
Die Richtung der sogenannten politischen Theologien, die aus den 1960er-Jahren stammt, hat dafür zwei Argumente angeführt. Erstens: Theologie als wissenschaftliche Erörterung, die nach Wahrheit strebt, ist auf gesellschaftliche und politische Bedingungen angewiesen, die dies ermöglichen, in denen also beispielsweise Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und Wissenschaftsfreiheit herrschen. Für solche demokratischen Basics muss sich Theologie schon um ihrer selbst willen einsetzen. Tut sie es nicht, handelt sie – in einem negativen Sinne als Unterlassung – auch politisch. Und zweitens lassen sich, wie der bekannte politische Theologe Johann Baptist Metz (1928–2019) gesagt hat, die zentralen Verheißungen der jüdisch-christlichen Tradition, Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit, Versöhnung, nicht privatisieren, sie haben aus sich heraus schon politische Dimensionen.
Gefährdung der Demokratie
Nicht wenige beklagen gegenwärtig die Gefährdung der Demokratie. Wo sehen Sie hier die Aufgabe der Kirche?
Die Aufgabe der Kirche ist es, auf der Seite der Demokratie zu stehen, ihre Strukturen und Kulturen zu verteidigen und zu beleben. Denn Kirche teilt aus dem christlichen Glauben heraus die Grundwerte der Demokratie, die Ermöglichung menschlicher Freiheit und die gleiche Würde aller Menschen. Zentral ist es aus meiner Sicht auch, dass sich die Kirchen für eine sozial ausgeglichene und integrativ ausgerichtete Gesellschaft einsetzen. Denn Gesellschaftsstrukturen, die soziale Absicherung und ein menschenwürdiges Mit-einbezogen-Sein gewährleisten, sind der Nährboden für eine funktionierende Demokratie.
Zur Person:
Ansgar Kreutzer ist Universitätsprofessor und lehrt Systematische Theologie an der Justus-Liebig- Universität Gießen in Deutschland.