Karpfen: Fischzucht im Stift Geras

Sommer-Reise: Niederösterreich II
Ausgabe Nr. 32
  • Wien und Niederösterreich
Autor:
Prälat Conrad Müller o. praem. (rechts vorne) arbeitet mit, wenn die lebenden Karpfen nach alter Tradition aus dem Teich in den Fischhälter gebracht werden.
Prälat Conrad Müller o. praem. (rechts vorne) arbeitet mit, wenn die lebenden Karpfen nach alter Tradition aus dem Teich in den Fischhälter gebracht werden. ©Margit_Perzy_Stift_Geras
Prälat Conrad leitet seit vier Jahren das Stift Geras im nördlichen Waldviertel.
Prälat Conrad leitet seit vier Jahren das Stift Geras im nördlichen Waldviertel. ©Stefanie Jeller
Oberförster Markus Philipp ist neben dem Forst auch für 14 Karpfenteiche verantwortlich.
Oberförster Markus Philipp ist neben dem Forst auch für 14 Karpfenteiche verantwortlich. ©Stefanie Jeller

Im hohen Norden Österreichs, nur wenige Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt, liegt das Stift Geras. Hier leben die Prämonstratenser-Chorherren. In den Stiftsteichen wächst heran, was zu Weihnachten auf den Tisch kommt: der Karpfen.

 

Normalerweise trägt der Herr Prälat Weiß. Sein langes Ordenskleid flattert, wenn er mit schnellem Schritt über den Klosterhof geht. Conrad Müller ist gebürtiger Rheinländer. Als junger Mann ist er im Stift Geras im nördlichen Waldviertel ins Kloster eingetreten, war später mehrere Jahre in Deutschland und ist mittlerweile der Ordensobere des Stiftes. „Als ich damals zurückgekehrt bin, habe ich beschlossen: Ich will nicht nur in der Kirche beim Beten und als Seelsorger bei den Leuten sein, sondern in allen Bereichen meines Klosters“, erzählt er. Seither steigt er jedes Jahr beim großen Abfischen in den schlammigen Karpfenteich – und erlebt Momente des Staunens.

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Es braucht schlechtes Wetter für den Karpfen

Die Fischzucht hat im Stift Geras seit dem Mittelalter eine ununterbrochene Tradition. Im Sommer ist es ruhig, die Fische wachsen in 14 Teichen mit einer Gesamtfläche von 22 Hektar heran. Im Schlamm am Grunde der Teiche finden sie reichlich Nahrung. Im Spätherbst wird „abgefischt“: Die lebenden Karpfen werden in einen anderen Teich gebracht. Prälat Conrad tauscht dann sein weißes Ordensgewand gegen eine Wathose, die ihm bis zur Brust reicht. Der Wasserstand ist in den Tagen zuvor langsam abgesenkt worden. Rund 15 starke Helfer, meistens Männer, sind im Einsatz. Sie ziehen schwere Netze voll mit Fischen ans Ufer. Ständig müssen sie in Bewegung bleiben, sonst würden sie im Schlamm einsinken. Ein paar Sekunden könnten zu viel sein, wenn man am falschen Grund steht. „Mir kann das nicht passieren“, sagt Prälat Conrad. Denn er steht beim Sortierbrett, einer Art Holzrutsche. 

Karpfen der Größe nach sortiert

Er hilft mit, die Fische nach Größe zu sortieren. „Das ist eine schmutzige Arbeit.“ Es ist kalt und meistens regnerisch. „Ich bin permanent angespannt, schließlich habe ich es mit lebenden Tieren zu tun.“ Für die Fische sei schlechtes Wetter am besten. Würde die Sonne scheinen, könnte es zu Sauerstoffmangel kommen. „Die Fische bewegen sich heftig“, beschreibt er die anspruchsvolle Arbeit, „sie schlagen wild um sich, in kürzester Zeit ist mein Gesicht voll mit Schlamm – aber das gehört dazu.“
 

Die glitschige Schönheit des Karpfen

Einmal hat Prälat Conrad versucht, ohne Handschuhe zu arbeiten, aber das war zu kalt. „Man muss die Fische anpacken, sie sind glitschig, und manchmal entwischt einer“, schildert er. Die Arbeit geht von 5 Uhr in der Früh bis zum Abend. Ab und zu hat er Zeit für einen längeren Blick auf einen Fisch. „Dann sehe ich mir an, wie er geformt ist, wie er sein Maul bewegt. Ich sehe sein wunderschönes Schuppengeflecht und das Farbenspiel von Grau und Gold bis Blau und Grün.“ Die Schöpfung – „wie sie uns der Herrgott anvertraut hat“, denkt der Theologe und ergänzt: „Auch die Apostel waren Fischer!“
 

Kein Hecht im Karpfenteich

„Der Karpfen braucht Platz“, erklärt Oberförster Markus Philipp. Er ist nicht nur für den Wald, sondern auch für die Teichwirtschaft im Stift Geras zuständig, und das seit 25 Jahren. „Massenhaltung ist nicht möglich, Gott sei Dank!“ Man rechnet 500 ausgewachsene Fische pro Hektar Teichfläche. Das ergibt einen Ertrag von knapp 7.000 Speisekarpfen pro Jahr. „Das ist wirklich wenig“, betont Markus Philipp.Die Fische bekommen keine Medikamente und keinen Mais. Gefüttert werden sie nur mit Weizen und Gerste aus der Region. Zur Hälfte ernährt sich der Karpfen ohnehin von Naturnahrung aus dem Teich, von Plankton und Kleinstlebewesen. Einen sprichwörtlichen Hecht im Karpfenteich gibt es hier nicht. Nur der Zander leistet dem Karpfen Gesellschaft. „Wenn er klein ist, tut er unserem Karpfen nichts, hält aber den Teich frei von Futterkonkurrenten.“ Ab und zu holt sich ein Seeadler oder ein Fischotter einen Karpfen. „Die Natur soll ihren Anteil haben“, sagt Oberförster Philipp. Nicht so großzügig ist er beim Kormoran. „Wenn ein Schwarm Kormorane in den Teich fliegt, dann tut sich was! Wir haben 30 bis 40 Prozent Ausfall durch Fischfresser.“
 

„Der Karpfen braucht Platz“

Probleme bei der Zucht von Karpfen: Klimawandel und Wassermangel

Am meisten Sorgen macht dem Oberförster die Klimaveränderung. Das nördliche Waldviertel leidet unter Wassermangel. „Wir haben reine Himmelteiche. Das heißt, es gibt keine Wasserzufuhr außer Regen.“ Früher drohten die Teiche im Sommer überzugehen, erinnert sich Markus Philipp. Seit zehn Jahren ist der Wasserstand aber einen Meter zu tief. Beim Abfischen „wandert“ auch das Wasser von einem Teich in den nächsten, beginnend beim obersten. „Wir haben eine Teichkette. So können wir das Wasser ein zweites Mal verwenden“, erklärt Oberförster Philipp. Vom untersten Teich aber fließt es in die Thaya und dann in die Donau. Es gäbe zwar Überlegungen, das Wasser zurückzupumpen, aber das sei noch zu teuer.
 

Der Karpfen: Traditionelles Wintergericht

Dass sein Chef, der Herr Prälat, beim Abfischen mithilft, freut ihn: „Ein traumhafter Anblick, man erkennt ihn fast nicht!“ Nach dem Abfischen werden die dreijährigen Karpfen in den Fischhälter gebracht. „Wir haben den ältesten Fischhälter Mitteleuropas.“ Stolz zeigt der Oberförster auf einen Stein an der Wand, in den die Jahreszahl 1664 gemeißelt ist. In vier Becken schwimmen die Karpfen in den Wochen vor der Schlachtung im Frischwasser. Sie bekommen dort keine Nahrung mehr und verlieren so ihren schlammigen Geschmack, das sogenannte Lettln. „Der Karpfen macht eine Entschlackungskur“, erklärt Philipp. Im Winter frisst der Karpfen ohnehin nichts und kann lange Zeit im Fischhälter verbringen. Der Volksmund sagt daher: Karpfen soll man nur in den Monaten mit einem „R“ essen, also von September bis April. Ein paar Fische tummeln sich aber auch im Sommer im Fischhälter – und werden in kleinen Mengen, zu ausgewählten Terminen, auch im Sommer verkauft.
 

Was den Karpfen ausmacht: Viel Eiweiß, wenig Fett

Verkauft wird der Karpfen nur frisch geschlachtet. „Der Kunde kann sich vorher einen aussuchen“, sagt Oberförster Philipp. Der fertige Speisefisch wiegt 2 bis 2,5 Kilo. „Wir haben keine tiefgefroren und wir verkaufen nicht an den Großhandel“, das ist ihm wichtig. Erhältlich ist der Geraser Karpfen auch auf Adventmärkten, etwa in Stift Heiligenkreuz, im Amtshaus Wien-Meidling oder im Klosterladen im Wiener Schottenstift. Prälat Conrad betont: „Unser Karpfen ist gesund.“ Durch die naturnahe Haltung enthalte er viel Eiweiß und nur 4 bis 6 Prozent Fett. Auch in seinem Kloster kommt er gelegentlich auf den Teller. „Nicht alle, aber die meisten Mitbruder sind Fischfreunde“, erzählt er. „Ich hab‘ ihn am liebsten naturgebraten mit ein bisschen Kräuterbutter.“

"Wir haben den ältesten Fischhälter Mitteleuropas.“

Oberförster Markus Philipp
 

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Prämonstratenser- Chorherren­stift Geras Diözese St. Pölten

Jede Woche ein anderes Kloster! In Gedanken quer durch Österreich und Südtirol reisen und von klösterlichen Köstlichkeiten naschen ...Teil 8/10

Autor:
  • Portraitfoto von Stefanie Jeller
    Stefanie Jeller
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