Kardinal Schönborn im Interview zu Weihnachten

Gemeinsame Sorge für die Menschen
Ausgabe Nr. 51
  • Wien und Niederösterreich
Autor:
Kardinal Christoph mit Weihnachtskrippe
Gefragt ist ein Kulturwandel: Es geht darum, wie man miteinander redet. ©Erzdiözese Wien/Stephan Schönlaub
Grüße von Kardinal Christoph Schönborn zu Weihnachten
Grüße von Kardinal Christoph Schönborn zu Weihnachten ©Christoph Kardinal Schönborn

Das Gespräch des SONNTAG mit Kardinal Christoph Schönborn vor Weihnachten ist bereits Tradition. Dieses Jahr sprachen wir mit unserem Erzbischof kurz nach dem Ad-limina-Besuch in Rom über die Veränderung in der Kommunikation im Vatikan und über die Nöte, die die Menschen bewegen. Für den Wiener Erzbischof ist dabei klar, dass in allen Fragen eine Kultur des Miteinander unerlässlich ist.

Herr Kardinal, Sie haben ein dichtes Jahr erlebt: Zunächst haben Sie eine Corona-Erkrankung gut überstanden, Ihre Mutter ist 101-jährig gestorben und jetzt im Endspurt ging es zum nachgeholten Ad-limina-Besuch nach Rom. Wie geht es Ihnen zum Jahresende 2022?

Kardinal Christoph Schönborn: Mir geht es persönlich sehr gut. Ich bin dankbar, ich habe die Gesundheit wiedergeschenkt bekommen. Was mich wirklich belastet ist der Krieg in der Ukraine. Ich komme davon nicht los, ich muss ständig an die Millionen Menschen denken, die in der Kälte und vielfach ohne Strom und ohne Wasser und vor allem ohne Frieden leben müssen. Das ist nebenan, das ist näher, als wenn ich nach Hause nach Schruns in Vorarlberg fahre. Warum gibt es nicht einen weltweiten Aufschrei gegen die himmelschreiende Ungerechtigkeit und Grausamkeit dieses Krieges? Warum gewöhnen wir uns so schnell daran? Das liegt leider in unserer menschlichen Natur: Wir gewöhnen uns an das Leid des Nachbarn. Und wir müssen ja weiterleben. Aber das biblische ‚Vergiss nicht!‘ beschäftigt mich in jeder Messe.

Ich vergesse auch Syrien nicht, das ich im vergangenen Oktober besucht habe. Die Not in Syrien ist mir sehr präsent durch eine Kleinigkeit, die meinen Alltag sehr prägt: Ich habe in Homs vom syrisch-orthodoxen Metropoliten ein Geschenk bekommen, einen vergoldeten, silbernen Kelch – eine sehr schöne syrische Handarbeit. Und dieser Kelch hat eine besondere Geschichte: Ein Moslem hat ihn auf dem Schwarzmarkt gefunden. Er hat gleich erkannt, dass das ein christlicher Gegenstand ist, hat diesen Kelch gekauft und dem Bischof von Homs gebracht und gesagt: ‚Das gehört doch sicher zu euch.‘ Diesen Kelch hat mir der Metropolit geschenkt, und ich feiere fast jeden Tag damit die Messe. Das Volk von Syrien ist mir damit immer präsent.

Natürlich gibt es noch viele andere Krisenorte auf der Welt – diese beiden sind mir aber besonders nahe. Das Leiden dieser Länder ist die Folge einer schlechten Politik, dem Gegenteil einer friedensorientierten und an den Menschen orientierten Politik. Mich erschüttert, dass es den großen Mächten der Welt nicht gelingt, den Menschen ein friedvolles Zusammenleben zu ermöglichen.

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Krisen beschäftigen uns aber im Alltag viel mehr außerhalb der Kirche. Da gibt es den noch immer andauernden Krieg in der Ukraine und eine der Folgen ist die Energiekrise mit einer hohen Inflation. Wie ermutigen Sie Menschen, denen es schlicht und einfach nicht gut geht? Haben Sie Anregungen, wie wir Mitmenschen motivieren und ihnen helfen können?

Es gibt in diesen Situationen keine Rezepte. Es gibt das Elementare, dass wir aufeinander schauen, dass wir füreinander sorgen, dass wir miteinander durch die Krise gehen. So einfach ist es. Wach und aufmerksam sein, ist jederzeit möglich. Wir können nicht die Weltpolitik ändern, aber was wir tun können, ist aufmerksam sein, nicht wegschauen, wenn wir auf Not stoßen.

Wie sehen Sie die Asylfrage, die jedes Jahr vor Weihnachten aufkommt? Welche Möglichkeiten haben Sie als Kardinal, um hier auf die Politik einzuwirken?

Ich denke, das sind zwei Dimensionen zu unterscheiden: Migration und Flucht. Das eine ist die globale Situation der Migration, die haben wir nicht in der Hand, die ist eine Gegebenheit. Es gibt einen gewaltigen Migrationsdruck, der mit der Armut zu tun hat, mit dem Klimanotstand, mit den Kriegen, mit sozialer Ungerechtigkeit, mit Hungersnöten. Solche Migrationsströme kann man nicht mit Zäunen eindämmen. Die hat es immer in der Geschichte gegeben. Was wir Germanen nennen, waren Völker in Asien, die sich unter dem Druck der Gegebenheiten und Hoffnung auf ein besseres Leben auf den Weg gemacht haben. Wir selber sind in unserem Land das Ergebnis von Migration. Die USA sind aus riesigen Migrationsbewegungen entstanden. Darum ist das Thema der Migrationspolitik ein anderes als die Flüchtlingsfrage. Österreich braucht dringend Migration. Da lade ich ein: Schauen Sie sich auf Schwerarbeitsstellen um oder dort, wo es um Reinigung und um Pflege geht! Ohne die Migration könnte Österreich überhaupt nicht funktionieren.

Es gibt auch Überschneidungen zwischen Migrations- und Flüchtlingspolitik. Denken Sie an den Bosnienkrieg, wo Tausende Menschen als Kriegsflüchtlinge gekommen sind. Sie wurden sehr großherzig aufgenommen und haben hier ihre neue Heimat gefunden und sind heute bestens integriert.

Ich bin kein Fachmann und gebe deshalb der Politik keine weisen Ratschläge. Zu bedenken gebe ich aber, ob das möglich wäre, was auch der Wiener Bürgermeister sagt: die Menschen schneller in den Arbeitsprozess zu integrieren. Aus Flüchtlingen werden Mitbürgerinnen und Mitbürger, wenn sie am Leben teilnehmen. Ich werde mich hüten, der Regierung zu sagen, was sie zu tun hat. Aber wir brauchen Migration, ganz Europa braucht Migration. Und ich hoffe: Es muss eine solidarische europäische und gemeinsame Flüchtlingspolitik geben.

Ich erwarte mir vor allem eine Veränderung des Kirchenbildes. 

Kardinal Christoph Schönborn

Bleiben wir in Europa und gehen nach Rom zum Ad-limina-Besuch. Welches Erlebnis hat Sie am meisten beeindruckt bei den vielen Terminen und Besprechungen?

Die Begegnung mit dem Heiligen Vater, die zwei Stunden eines besonders offenen, herzlichen Gesprächs - ein brüderlicher Austausch. Er hat uns sehr einfach und berührend seine Sicht gesagt und im Grunde ist es die Sicht des Evangeliums: ‚Seid den Menschen nahe!‘ Ganz klar gibt es Prinzipien, die immer die Norm sein müssen. Die zehn Gebote, die kann man nicht ändern. Aber wir alle sind Menschen mit unserer persönlichen Geschichte. Sehr deutlich hat der Papst gesagt: ‚Seid Hirten!‘ Sehr gerne hat er das Bild des Hirten, der der Herde vorangeht, aber auch in der Mitte der Herde sein muss, und der auch manchmal hinten ist, wenn die Herde vorangeht. Dieses Bild hat er uns sehr eindrücklich ans Herz gelegt.

Es hat viele gute Gesprächsmomente gegeben, und es ist dem Papst gelungen, einen Kulturwandel zu bewirken. Und zwar so, dass wir wirklich das Gefühl hatten, wir begegnen einander in der gemeinsamen Sorge um die Menschen. Da waren nicht die Behörde, die kontrolliert, und die Bischöfe, die Ermahnungen erhalten, sondern es war ein gemeinsames Hinschauen auf unseren Auftrag. Von allen meinen Ad-limina-Besuchen war es eindeutig der beste.

25. 12. 2022 LIVE: Pontifikalamt am Christtag mit Kardinal Christoph Schönborn

Kann man in einer Woche eigentlich alles besprechen, was in den dieses Mal vergangenen sieben Jahren passiert ist?

Dazu ein paar technische Hinweise. Jede Diözese muss alle fünf Jahre einen Bericht schicken. Die Berichte werden tatsächlich gelesen. Da funktioniert die Kurie sehr gut. In jedem Dikasterium gibt es deutschsprachige Mitarbeiter, die sich gut auskennen. Der Informationsstand ist in Rom sehr ausgeprägt. Und wir haben zusätzlich vor dem Ad-limina-Besuch unsere Themen eingesandt. Das ermöglicht einen intensiven Dialog.

Während Ihres Besuchs hatte der Papst Geburtstag. Wie kann man sich das vorstellen, wenn der Papst Geburtstag hat?

Ich weiß nicht, wie er sonst Geburtstag feiert. Wir waren am Vortag bei ihm und haben halbwegs zweistimmig „Viel Glück und viel Segen“ gesungen und ihm eine Sachertorte geschenkt. Aber wir haben nicht gemeinsam gejausnet.

Eine Frage müssen wir stellen, die unsere Leserinnen und Leser natürlich interessiert: Gibt es in der Frage Ihre Nachfolge Neuigkeiten?

Nicht dass ich wüsste. Der Papst hat eine Bemerkung gemacht, dass er meine Mitarbeit schätzt. Er hat noch nicht von meinem Nachfolger gesprochen, aber es wird ihn sicher geben.

31. 12. 2022 LIVE: Jahresschlussandacht zu Silvester mit Kardinal Christoph Schönborn

Gebe es ein innerkirchliches Wort des Jahres, dann wäre es wohl der sperrige Begriff des „Synodalen Weges“. Wie geht es hier weiter? Worauf muss oder soll sich die Kirche in Österreich einstellen?

Es geht mehr um einen Kulturwandel als um dieses oder jene Thema. Ich glaube, wir dürfen nicht erwarten, dass viele Einzelfragen gelöst werden, sondern es geht darum, wie die Kultur des Miteinander aussieht. Und da gibt es ziemlich viel zu bearbeiten. Da gibt es die Frage Klerus und Laien, der Peripherien und des Intensivsegements in der Kirche, die Frage der Zugehörigkeit zur Kirche, das Thema der Männer und Frauen in der Verantwortung der Kirche, das ist weltweit ganz stark präsent. In diesem Prozess wird es nicht um Rezepte gehen, sondern um einen Kulturwandel.

Warum haben wir den Ad-limina-Besuch anders erlebt als meinen ersten in den 1990er-Jahren? Es hat sich etwas verändert. Und so erwarte ich mir vor allem eine Veränderung des Kirchenbildes. Wie sich das konkret ausgestaltet in der Organisation, das ist eine zweite Frage. Es geht darum, wie man miteinander redet. Ein sehr schönes Beispiel des Papstes ist, dass Gesprächsrunden nicht gleich mit Gespräch beginnen, sondern, dass jeder und jede einmal persönlich sagt, wie sie das sehen, dann schweigt man und lässt es stehen, und erst in einer dritten Runde wird diskutiert. Das verändert viel.

In unserem Nachbarland Deutschland klappt das nicht so gut. Die vielen Diskussionen zum Synodalen Weg führen zu einer Krise. Wie erleben Sie diese Form der Kommunikation der deutschen Bischöfe nach innen und auch nach außen?

Eines kann ich sagen: In den römischen Dikasterien haben wir Österreicher einen positiven Eindruck hinterlassen. Man spürt, dass wir echte Gemeinschaft leben: ‚Ihr mögt einander, ihr redet miteinander.‘ Gut, wir sind weniger und wir haben eine etwas andere Kultur.

Behutsam will ich zu Deutschland sagen, da ich ja selber fünf Jahre im Land gelebt habe: Ich erlebe es als nicht sehr glücklich, dass in Deutschland versucht wird, alles gleich in gesetzliche Formen zu bringen. Das hat man in den 1990er-Jahren gesehen in der Frage der wiederverheiratet Geschiedenen. Einige wollten unbedingt eine neue Norm. Von Rom aus hat man mit Blockade reagiert. Franziskus hat mit Amoris Laetita einen anderen Weg gewählt: Die Norm ist nicht falsch, aber ihr müsst auf die Menschen sehen und ihren Weg, und dann ist zu entscheiden. Die Lösung ist also, die Menschen ernst zu nehmen.

Wir blicken auf Weihnachten: Bei aller vorweihnachtlicher Konsum- und Punschfreudigkeit bewegt das Weihnachtsfest auch viele Menschen, die nicht regelmäßig unsere Kirchen besuchen. Warum?

Heute im Tagesgebet vom 19. Dezember hören wir vom „unaussprechlichen Geheimnis“ der Menschwerdung Gottes. Ich glaube in dem vorweihnachtlichen Rummel gibt es einen tieferen Kern, der vielfach gar nicht bewusst, sondern gespürt wird: das Geheimnis der Menschwerdung. Gott hat ja auf eine Sehnsucht geantwortet mit einem Neugeborenen. Meine Sekretärin rief mich einmal: ‚Herr Kardinal, das müssen Sie sich anschauen!‘ Es war ein Video ihres erstgeborenen Enkelkindes. Das ist das wichtigste! Ein Kind ist uns geschenkt und die Verheißung, dass auf seinen Schultern die Weltverantwortung liegt. Dieses kleine Kind, das die große Hoffnung trägt!

6. 1. 2023 LIVE: Pontifikalamt zu Erscheinung des Herrn (Dreikönig) mit Kardinal Christoph Schönborn

Die Menschwerdung, die Inkarnation, ist das radikal Neue der neutestamentlichen Offenbarung. Gott ist um unseres Heiles willen Mensch geworden. Wie kann dieses „Wunder der Weihnacht“ heute so ausgelegt werden, dass es alle verstehen?

Erzbischof Lackner hat am Petrusgrab gepredigt, und ich zitiere ihn gerne: Auf die Frage Jesu: ‚Für wen haltet ihr mich?‘, hat Petrus geantwortet: Du bist der lebendige Sohn Gottes. Erzbischof Lackner hat gesagt: Petrus hat mehr bekannt, als er erkannt hat. Es übersteigt unser Begreifen und trotzdem bekennen wir es, ohne es voll erkennen zu können. Es ist ein unendlicher Trost in dem Bekenntnis, dass ER so nahe ist.

Zu Weihnachten hat auch die eigene Familie einen hohen Stellenwert. Wie sieht der Heilige Abend 2022 bei Ihnen aus? Sehen Sie Ihre Geschwister?

Ich war seit meiner Bischofsernennung und auch vorher als Dominikaner zu Weihnachten nie zu Hause. Die Familienbesuche kommen dann danach. Aber es gibt Familie in vielfacher Weise. Da gehört bei mir die Caritas-Gemeinde dazu, mit der ich seit vielen Jahren immer die Mette feiere, und die kleine Hausfamilie, die gemeinsam am Abend feiert. Ich nenne sie unsere „lonely hearts“, die niemanden haben, mit dem sie sonst Weihnachten feiern.

Gedanken von Kardinal Schönborn zum Weihnachtsevangelium

Autor:
  • Sophie Lauringer
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