Kardinal: "Alle sprechen vom Abschied“
Interview über seine Amtszeit"Alle sprechen vom Abschied“, meinte der Wiener Erzbischof bei der Begrüßung anlässlich des Interviews. Das Wort haben wir daher im Gespräch bewusst nicht gewählt und Kardinal Christoph Schönborn zunächst eine persönliche Frage gestellt:
Wie geht es Ihnen angesichts der kommenden zehn Jahre? Es sind wohl zum ersten Mal in Ihrem Leben Jahre ohne klare Aufgabe.
Kardinal Christoph Schönborn: Ich habe bewusst keine Pläne. Ich möchte die neue Situation auf mich zukommen lassen und sie dann gestalten. Und deshalb habe auf Pläne verzichtet.
Wie kann man sich Ihren Alltag vorstellen oder was stellen Sie sich für Ihren Alltag dann vor?
Er wird in vieler Hinsicht sehr ähnlich bleiben, mit viel Korrespondenz und Telefonieren, aber auch mit mehr Zeit für persönliche Begegnungen und, ich sage es auch unumwunden, mit mehr Zeit fürs Gebet.
Kardinal Schönborn: "Ich habe es einfach gerne gemacht"
Sie haben jetzt jahrzehntelang Ihre Aufgabe als Erzbischof von Wien mit vielen zusätzlichen Verantwortlichkeiten gelebt. Wie haben Sie das geschafft?
Es ist gegangen. Es war viel, ja. Es ist ein sehr, sehr dichtes Leben, aber das Elixier ist natürlich, dass ich die Arbeit für sinnvoll halte. Die Aufgabe hat mir im Großen und Ganzen und im Wesentlichen immer Freude gemacht hat. Ich habe es einfach gerne gemacht.
Im Dom-Verlag erscheint zu Ihrem 80. Geburtstag ein neues Buch: „Meine Augen haben das Heil gesehen. Auf Jesus schauen mit Helmut Michael Berger“. Warum widmen Sie sich diesem Künstler?
In der Wiener Kirche „Cyrill und Method“ wurde ein Kreuz von Helmut Michael Berger als zu schockierend empfunden. Das war meine erste Begegnung mit dem Künstler, nicht mit der Persönlichkeit. Und daraus wurde dann eine persönliche Begegnung. In meinen Büroräumlichkeiten steht ein Flügelaltar von ihm. Dazu kam dann die Bekanntschaft mit seinem Schwiegersohn Primarius Johannes Fellinger bei den Barmherzigen Brüdern in Linz. Mit ihm habe ich das Buch gemeinsam entwickelt.
„Das Elixier ist, dass ich die Arbeit für sinnvoll halte."
Kardinal Christoph Schönborn
Der Kardinal über Freundschaft und Vertrauen
Sie haben das Talent, mit exponierten Persönlichkeiten ins Gespräch zu kommen, mit ihnen eine Vertrauensbasis zu schaffen. Wir denken da an Peter Turrini. Wie gelingt Ihnen das?
Die Begegnung mit Peter Turrini passierte eigentlich vor allem dadurch, dass er sich in Retz niedergelassen hat und wir sozusagen Nachbarn geworden sind und ins Gespräch gekommen sind. Und daraus wurde sehr bald eine Freundschaft. Und dann hat er Theaterstücke bei uns im Kloster geschrieben. Um Ruhe zu haben, hat er sich das Zimmer 13 gemietet und dort Theaterstücke geschrieben, von denen er auch Erstlesungen bei uns im Refektorium vom Kloster gehalten hat. Kurz bevor ich Weihbischof von Wien wurde, habe ich in der „Furche“ eine flammende Verteidigung seines Stücks „Tod und Teufel“ geschrieben, das gerade von den österreichischen Bischöfen heftig kritisiert worden war. Das war dann für die Medien interessant, der Übergang von dem Professor in Fribourg zum Weihbischof von Wien.
Ihnen sind Menschen in schwierigen Situationen ein Anliegen. Welche Not berührt den Wiener Erzbischof?
Es sind immer Begegnungen. Als ich ein junger Dominikaner war, um die 21 Jahre, steht ein Obdachloser vor der Klosterpforte. Mit einem anderen Mitbruder hören wir uns seine Geschichte an. Und haben uns dann sehr, sehr engagiert dafür, dass er im Kloster eine Zeit lang aufgenommen wurde, damit er eine Herberge hat. Das war sicher eine sehr markierende Begegnung. Einfach das Schicksal eines Menschen, der aus guter Position, man würde sagen „abgesandelt“ ist. Es ist mir immer wichtig gewesen, hinzuschauen und den Menschen zu begegnen mit ihren Schicksalen, die sehr oft nicht lösbar sind. Aber eine Nähe zu ihnen ist möglich.
Kardinal Christoph Schönborn über Trauer und Tod
Ihnen ist persönliches Leid nicht fremd. Wir erinnern an den Tod Ihres Neffen. Sie haben das sehr offen thematisiert. Wie haben Sie denn die Trauer erlebt und durchlitten?
Die Trauer ist geblieben und gleichzeitig ist sie verbunden mit einem ganz tiefen Trost und dem Wissen, dass Probleme nicht immer auf Erden lösbar sind. Meine Schwester hat das sehr schön in ein Wort geprägt. Als ich ihr die Nachricht geben musste, dass mein Neffe, ihr Sohn, den Drogentod gestorben ist, hat sie gesagt: „Wir haben uns um ihn bemüht, so gut wir konnten. Nun hat Jesus gesagt: ‚Jetzt kümmere ich mich um ihn.‘“
In diesen Tagen ist die Studie „Was glaubt Österreich?“ erschienen. Was können Sie erkennen?
Für mich geht es um die Hoffnung. Die Hoffnung ist eine andere Dimension als Pessimismus oder Optimismus. Weil sie damit rechnet oder darauf hofft, darauf vertraut, dass die Geschichte nicht nur von uns Menschen gemacht wird und geschrieben wird. Und das ist eigentlich der Kern meiner Diagnose. Ich glaube, Europa ist eindeutig im Abschwung. Wirtschaftlich, demographisch, kulturell und auch religiös. Es ist eine Zeit, die man durchaus diagnostizieren kann als eine Zeit des Niedergangs – ohne moralische Wertung. Die Christenheit Europas ist vorbei. Aber das Christentum ist nicht vorbei. Der Glaube ist nicht vorbei. Ich stelle einfach fest, dass das auch heute laufend passiert. Es kommen Menschen zum Glauben. Wer sind diese 13.000 Erwachsenen, die in Frankreich zu Ostern im letzten Jahr um die Taufe gebeten haben? Was passiert da? Letztlich vertraue ich darauf, dass Christus der Herr der Geschichte ist. Das kann ich nicht beweisen, aber das glaube ich.
„Das Christentum ist nicht vorbei."
Kardinal Christoph Schönborn
Ein Themenwechsel: Wie geht man als Erzbischof an politische Themen heran?
Meine Aufgabe ist es nicht, Politikern Ratschläge zu geben, außer wenn sie das erfragen. Und es ist schön, Menschen zu begegnen, die ihre politische Verantwortung ernst nehmen. Ich habe einen großen Respekt vor diesem Beruf bekommen. Es ist ein Glück, dass wir in einem Land leben, das rechtsstaatliche Prinzipien hat, eine gut funktionierende Justiz, eine öffentliche Sicherheit und bisher verfassungskonforme Parteien. Ich hoffe, dass das so bleibt.
Sie haben sich in Fragen der Gesellschaftspolitik immer wieder geäußert. Wo war für Sie eine rote Linie?
Die rote Linie war zum Beispiel, als ich eine sehr deutliche Distanzierung gefordert habe von den Überlegungen zu einem Gesetz der Sicherungshaft, also der Inhaftierung von Personen, die sich noch nichts haben zuschulden kommen lassen. Das wurde auch von manchen politischen Kreisen heftig kritisiert. Also rote Linien sind für mich dort gegeben, wo Grundrechte des Menschen in Gefahr sind.
Der Kardinal zum Thema Frauen
Wir stellen die Frauenfrage, aber andersherum. Seit wenigen Tagen haben wir mit Schwester Simona Brambilla die erste Leiterin einer Vatikanbehörde. Ihr Stellvertreter ist ein Kardinal, Ángel Artime. Wie wäre denn die Vorstellung für Sie, Stellvertreter einer Frau zu sein?
Sie ist absolut lebbar. Ich war es von zu Hause gewohnt. Meine Mutter war politisch tätig und in der Wirtschaft hatte sie eine führende Position. Ich habe erlebt, dass sie Chefin war. Das ist nicht etwas völlig Neues. Es ist sicher neu, dass ein Dikasterium in Rom von einer Frau geleitet werden kann. Das ist, glaube ich, eine gute und richtige Entwicklung.
Es kann noch ein wenig dauern, bis ein neuer Erzbischof von Wien ernannt wird. Was meinen Sie dazu?
Ernennungsverfahren können schnell oder langsam gehen. Es kann die Situation geben, dass Kandidaten ins Auge gefasst werden, diese aber abwinken oder dass sich neue Fragen ergeben auf dem Weg der Entscheidungsfindung. Ich sehe das jetzt nicht als etwas Außergewöhnliches. Ja, das gehört nicht in die Kategorie Drama.
Das Interview wurde in Zusammenarbeit mit Georg Pulling und Paul Wuthe von der kathpress geführt.
Wussten Sie, dass Kardinal Schönborn ...
▶ immer mehrere Bücher gleichzeitig liest? Sein Lieblingsroman ist „Die Verlobten“ von Alessandro Manzoni.
▶ seinen Wahlspruch als Bischof beim Evangelisten Johannes 15,15 gefunden hat? „Ich nenne euch nicht mehr Knechte, sondern Freunde.“
▶ die Musik von Franz Schubert und Anton Bruckner besonders gerne hört?
▶ in den zweiten Bezirk ziehen wird in das Kloster der Schwestern vom Lamm?
Perspektiven
Zum 80. Geburtstag von Kardinal Christoph Schönborn. Eine Sendung mit dem Jubilar. Gestaltung: Stefan Hauser
▶ radioklassik.at/perspektiven
Buchtipp:
Kardinalbuch: "Meine Augen haben das Heil gesehen"
Christoph Schönborn, Johannes Fellinger, Meine Augen haben das Heil gesehen, Wiener Dom-Verlag, 112 Seiten, ISBN: 978-3-85351-335-4, EUR 29,–