Kann man merken, dass Sie gläubig sind?
Politik und Glauben1. Sie bekennen sich als katholische Gläubige. Welchen Auftrag sehen Sie aufgrund Ihres Glaubens in Ihrer beruflichen Arbeit in der Politik und woran kann man das in Ihrer Arbeit merken?
Arlamovsky: Die Gemeinsamkeit von Politikern und Gläubigen ist, dass man die Verantwortung spürt, etwas zum Guten zu verändern, was über den privaten Bereich hinausgeht. Wie in der Kirche nicht nur die geweihten Ämter Engagement darstellen, sind es in der Politik nicht nur die gesetzgebenden Körperschaften, sondern auch zivilgesellschaftliches Engagement kann politisch sein.
Man könnte meinen Glauben auch an meinem Abstimmungsverhalten merken. Wobei, man kann auch aus anderen Motivationen oder einem anderen Weltbild als einem religiösen zu einem gleichen Abstimmungsverhalten kommen. Man kann aber auch daraus sehen, ob das, was ich sage, wertschätzend ist und ob das stimmt, was und wie ich es sage.
Feichtinger: Mein Glaube stärkt mich tagtäglich und gibt mir die Gewissheit, dass dieser verbindet. Die Zusammenarbeit zwischen den Fraktionen beispielsweise erscheint dann in einem anderen Licht. Werte aus der Bibel wie Nächstenliebe sind für mich in der Politik gleichbedeutend mit Solidarität und sozialer Gerechtigkeit. Danach richte ich meine Politik aus. Im Nationalrat bin ich Sprecherin für Freiwilligen- und Einsatzorganisationen. In dieser Position setze ich mich für Menschen ein, die ihre Zeit und Energie zum Wohle anderer verwenden. Außerdem unterstütze ich das internationale Gebetsfrühstück in Wien und nehme am Abgeordnetengebet vor den Plenarsitzungen teil. In meiner Gemeinde haben für mich als Vizebürgermeisterin Themen wie Vernetzungstreffen für Flüchtlinge, Sammelaktionen für Bedürftige oder unser Sozialflohmarkt oberste Priorität. Seit Anfang März leben mehrere ukrainische Flüchtlinge im Kreise unserer Familie.
Kugler: Ich bin Katholikin, sehe mich aber nicht als Repräsentantin einer Konfession oder Religion. Ich versuche, das christliche Menschenbild in die Politik einzubringen, was man auch gut finden kann, wenn man kein Christ ist: Menschenwürde, Freiheit, Verantwortung, Solidarität. Die katholische Soziallehre ist grundvernünftig und mehr eine Philosophie als ein Glaubensgrundsatz. Auch dann daran festzuhalten, wenn man sich dabei unbeliebt macht, verstehe ich als Teil meiner Verantwortung. Als Christ in der Politik zu wirken, ist aber nicht nur eine Frage der Inhalte, sondern auch eine Frage des Stils: mich mit ganzer Kraft dieser Berufung zu widmen, dem Gegenüber immer mit Liebe zu begegnen, Ehrlichkeit – auch wenn es etwas kostet. Es heißt für mich auch, jedem Menschen mit der Frage zu begegnen: „Was kann ich für dich tun?“
Karl-Arthur Arlamovsky
Bundesrat, NEOS
Geboren 1972. Seine politischen Schwerpunkte sind die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und Transparenz, Wahlrecht und Staatsbürgerschaft. Der promovierte Jurist begann sein politisches Engagement als Student in der Österreichischen Hochschülerschaft und war bei der Gründung seiner Partei 2012 aktiv beteiligt. Arlamovsky hat außerdem ein Physikstudium in Wien abgeschlossen. Der Rechtsanwalt ist verheiratet und Vater einer Tochter und eines Sohnes.
2. Manche Entscheidungen der Politik werden von den christlichen Kirchen, auch von Vertreterinnen und Vertretern der katholischen Kirche und ihrer Organisationen, heftig kritisiert. Wie verantworten Sie, hinter politischen Vorgaben zu stehen oder sie auch mitzubestimmen, die nicht den Vorgaben des Evangeliums, der Kirche oder auch Ihrem Gewissen als gläubigen Menschen entsprechen?
Arlamovsky: In einer Partei, die keinen Klubzwang hat, geht es einfacher, wenn man aufgrund der eigenen Überzeugung zu einem anderen Ergebnis kommt bei einer Abstimmung. Aber wenn man etwas ausverhandelt, sind es politische Kompromisse.
Feichtinger: Politik wie Kirche wird von Menschen gestaltet und Meinungen sind unterschiedlich. Im Nachhinein ist es oft einfach zu wissen, ob eine Entscheidung richtig oder falsch war. Grundsätzlich bin ich der Meinung, man soll zu Fehlentscheidungen stehen und daraus lernen.
Kugler: In einer pluralistischen Gesellschaft sind Kompromisse manchmal notwendig. Es gibt aber Themen, wie zum Beispiel Schutz der Familie, Elternrechte, Schutz vor Ausbeutung, Religionsfreiheit, Schutz des Lebens am Anfang und am Ende u. s. w., wo die Kirche eindeutige rote Linien kennt, ohne Spielraum. Ich habe für mich ganz klar entschieden, dass ich keine unethischen Kompromisse eingehe und mich bisher immer daran gehalten. Das erfordert natürlich oft viel Mut und viel Überzeugungsarbeit bei der Mitgestaltung von Beschlüssen.
Elisabeth Feichtinger
Abgeordnete zum Nationalrat, SPÖ
Geboren 1987. Sie ist Bereichssprecherin für Freiwilligen- und Einsatzorganisationen und war Bürgermeisterin ihrer Heimatgemeinde Altmünster, seit 2021 ist sie Vizebürgermeisterin im Ort. Die ausgebildete Volksschul- und Sonderschul- sowie Religionspädagogin unterrichtete als Integrationslehrerin und studierte Slawistik sowie Kommunikationswissenschaften. Feichtinger ist verheiratete Mutter von vier Töchtern, davon sind zwei Pflegekinder.
3. Welche Berufung muss man mitbringen, um als gläubiger Mensch in der Politik mit völlig anderen Gesetzmäßigkeiten zu bestehen? Wie rüsten Sie sich für den politischen Alltag?
Arlamovsky: Man muss sehr resilient sein, man muss viel Kritik, auch ungerechte Kritik, aushalten können, man darf sich keine Dankbarkeit erwarten. Man braucht ein gewisses Sendungsbewusstsein. Man darf nicht schüchtern sein, man muss Reden vor einem nicht wohlwollenden Publikum halten und man muss Wettbewerb und Gegenwind aushalten. Ein Spagat ist es als Politiker und Gläubigem, wie sehr man es an die große Glocke hängt, wenn man Gutes tut. Denn wenn man alles im Stillen macht, wird man nicht gewählt.
Es ist als Gläubiger gut, wenn man seine Positionen im Diskurs mit Nichtgläubigen schärft. Ich habe mich schon in der Hochschülerschaft abgehärtet. Natürlich hilft es einem als Gläubigen mit einem Fundament, zu wissen, wo die Prioritäten sind, worauf es jetzt wirklich ankommt.
Feichtinger: Meine Familie ist für mich die Basis meines politischen Schaffens und schenkt mir Freude, Widerstandsfähigkeit und Resilienz. Der Glaube ist für mich eine unerschöpfliche Kraftquelle in guten und in schwierigen Zeiten.
Kugler: Politiker haben ein schlechtes Image: Das ist ungerecht, auch wenn es schwarze Schafe gibt. Politik ist die Kunst des Machbaren, und das ist eine hohe Kunst. Viel Gutes in unserer Gesellschaft verdanken wir gewissenhaften Politikern. Für Christen ist es doppelt schwierig, weil ihre Anliegen derzeit kaum verstanden werden: Anstatt einer redlichen Diskussion erleben wir Cancel Culture, Angriffe unter der Gürtellinie, Kontaktschuld u. s. w. Am meisten hilft mir das Motto: Tu’ jeden Tag unverdrossen das Gute. Von der Kraft des gemeinsamen Gebetes bin ich immer mehr überzeugt: Deshalb organisiere ich ein Morgengebet für Abgeordnete vor den Nationalratssitzungen. Wir treffen weitreichende Beschlüsse – da brauchen wir dringend Gottes Segen.
Ein Vorbild ist für mich die selige Hildegard Burjan. Gelebtes Christentum in der Politik, gepaart mit tätiger Liebe im Sozialbereich – das ist ein guter Weg. Im Stephansdom „besuche“ ich sie oft bei ihrem Standbild. Da fühle ich mich sehr verstanden.
Gudrun Kugler
Abgeordnete zum Nationalrat, ÖVP
Geboren 1976. Ihre Arbeitsbereiche sind Menschenrechte, Vertriebene, Soziales, christliche Werte und Förderung der Familie. Außerdem ist sie Bezirksparteiobfrau der ÖVP-Donaustadt. Kugler ist Österreichverantwortliche der Europäischen Bürgerinitiative „One of Us“, Organisatorin des parlamentarischen Gebetsfrühstücks und Initiatorin der Bürgerinitiative „An der Hand“. Die Juristin, Theologin und Unternehmerin ist Familienmutter von vier Kindern.