„Jetzt weiß ich, wer ich bin“
Identität als MenschenrechtZwei Dinge gibt es, die Pianist Albert Frantz in seinem Zuhause in Wien wichtig sind. Sein Bösendorfer-Imperial-Flügel, der die Hälfte des Wohnzimmers füllt. Und ein Familienalbum, das gut sichtbar im Regal platziert ist. „Auf alles andere könnte ich verzichten“, sagt der 48-jährige US-Amerikaner. Den Flügel hat er sich gekauft. Das Familienalbum hat er geschenkt bekommen. Von jemandem, den er eigentlich nie kennenlernen sollte – seinem leiblichen Vater.
Traumatische Kindheit
Albert Frantz wächst im US-Bundesstaat Pennsylvania auf. Er hat einen gewalttätigen Vater und eine Mutter, die den Vater schützt. Er hat drei Adoptivgeschwister. „Ich war sein bevorzugtes Opfer“, sagt Albert Frantz, „mein Vater hat mich so schwer misshandelt, dass ich manchmal bis zu einer Woche lang nicht in die Schule gehen konnte.“
Mit späten 17 Jahren entdeckt Albert Frantz das Klavierspiel für sich. Eine innere Flucht. Die Musik als Rettungsanker. Der Vater steht mit der Stoppuhr neben dem klavierübenden Sohn. „Wenn ich nur eine Sekunde länger gespielt habe, als von ihm erlaubt, hat er mich verprügelt. Das Klavierspiel war ein Verbrechen.“
Dennoch folgt Albert Frantz seiner Berufung, bezahlt sich den Klavierunterricht mit Jobs neben der Schule selbst, später auch das Studium. Die Lehrer fördern sein außergewöhnliches Talent. Der Vater verkauft das Klavier. Er will verhindern, dass der Sohn Pianist werden kann. „Hätten meine Lehrer nicht an mich geglaubt, wäre nichts aus mir geworden.“
Albert Frantz ist fast dreißig Jahre alt, als er von Bekannten erfährt: Jener Mann, der ihn seine gesamte Kindheit hindurch misshandelt hat, ist nicht sein Vater. Albert Frantz ist mithilfe einer Samenspende entstanden. „Irgendwann hatte ich bereits angefangen zu vermuten, dass er nicht mein Vater ist“, sagt Albert Frantz rückblickend, „doch an Zeugungsunfähigkeit, an eine Samenspende hatte ich nie gedacht.“ Wäre es nach den Eltern gegangen – Albert Frantz hätte die Wahrheit nie erfahren sollen.
2018 als Schicksalsjahr
Was folgt, sind ein Gentest nach dem anderen, viele Rückschläge und 14 Jahre Suche. Was folgt, ist der Kontaktabbruch zu seiner Herkunftsfamilie und ein beinahe unglaubliches Happy End. 2018 findet Albert Frantz via DNA-Datenbank seinen leiblichen Vater. Zufällig hat er denselben Gentest gemacht. Wenige Wochen später stehen Vater und Sohn sich in Albert Frantz’ Wahlheimat Wien gegenüber. „Es war der glücklichste Tag meines Lebens. Man denkt, man sucht einen Elternteil. Aber in Wirklichkeit sucht man sich selbst.“
Optisch sind sich die beiden unverkennbar ähnlich. Auch charakterlich. Und erstmals im Leben weiß der 48-Jährige heute, wo er hingehört. „Mein leiblicher Vater, seine Frau und ihre beiden Kinder haben mich in ihre Familie aufgenommen.“ Auch zwei Schwestern, die wie er via Samenspende seines Vaters gezeugt worden sind, hat er gefunden. Und er ist auf die Wurzeln seines Klaviertalents gestoßen: Denn seine Großmutter väterlicherseits – sie war Pianistin.
Heute engagiert sich Albert Frantz für Kinder, die wie er selbst aus einer Samenspende entstanden sind. Er spricht als Aktivist vor internationalen Gremien wie der UNO – über die eigene Identität als Menschenrecht. Denn in den USA ist die anonyme Samenspende nach wie vor erlaubt. In Österreich hat das Kind erst nach dem 14. Geburtstag, ein Recht darauf, die Identität des Spenders zu erfahren: „Jeder sollte von Anfang an seine ganze Familie kennen.“