Jesus verurteilt Ehebruch nicht
Was wir der Kirche verdankenDie Erzählung von Jesus und der Ehebrecherin passt aus vielen Gründen nicht in das Johannesevangelium. Trotzdem gehört sie seit dem fünften Jahrhundert in die Bibel der Westkirche.
Hätten sich nicht theologische Autoritäten der Westkirche wie Augustinus (354–430) oder Hieronymus (348/349–420) mit seiner lateinischen Bibelübersetzung, der Vulgata, für die Aufnahme der Erzählung von Jesus und der Ehebrecherin in das Johannesevangelium (8,1–11) ausgesprochen, so wüssten wir heute kaum mehr von dieser faszinierenden Erzählung. Denn sie findet sich nicht in den Bibel-Handschriften der ersten Jahrhunderte und hat schon damals viele irritiert; manche Ostkirchen tun sich bis heute schwer damit. Ein geflügeltes Wort wurde der Jesus-Satz: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie.“
Als Jesus zwei Mal auf die Erde schrieb
Worum geht es in dieser Erzählung, die in der Version der Einheitsübersetzung 2016 so lautet:
„Jesus aber ging zum Ölberg. Am frühen Morgen begab er sich wieder in den Tempel. Alles Volk kam zu ihm. Er setzte sich und lehrte es. Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war. Sie stellten sie in die Mitte und sagten zu ihm: Meister, diese Frau wurde beim Ehebruch auf frischer Tat ertappt. Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du? Mit diesen Worten wollten sie ihn auf die Probe stellen, um einen Grund zu haben, ihn anzuklagen. Jesus aber bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie. Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. Als sie das gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten. Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die noch in der Mitte stand. Er richtete sich auf und sagte zu ihr: Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt? Sie antwortete: Keiner, Herr. Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“
Wo bleibt der Ehebrecher?
Im Falle des Ehebruchs war damals vorgesehen: „Ein Mann, der mit der Frau seines Nächsten die Ehe bricht, wird mit dem Tod bestraft, der Ehebrecher samt der Ehebrecherin“ (Levitikus 20,10; vgl. Deuteronomium 22,22). „Bevorzugt“ wurde die Steinigung, diskutiert wurde aber auch eine Erdrosselung, die im Gegensatz zur öffentlichen Steinigung im Verborgenen durchgeführt werden konnte. Interessant ist der Umstand, dass in der Erzählung der Mann nie genannt wird, gehören doch zum Ehebruch immer zwei. Bemerkenswert ist die Position von Jesus: Er verurteilt nicht, spricht aber auch nicht frei. Er sendet die Frau fort („Geh“), verbunden mit dem Auftrag, von jetzt an nicht mehr zu sündigen. Der hl. Augustinus bringt das Thema ganz biblisch-jesuanisch auf den Punkt: „Nur zwei blieben zurück, die des Erbarmens Würdige und die Barmherzigkeit“ („misera et misericordia“).