Ist die Welt so verrückt?
Nobelpreisträger Anton ZeilingerNobelpreis-Vortrag an der Universität Wien: Eine Reise durch die wunderbare Welt der Quanten
Herr Professor Zeilinger, 2022 ging für Sie sehr gut zu Ende: In Stockholm haben Sie, gemeinsam mit zwei anderen Physikern, den Nobelpreis übernommen. Vor der Verleihung würdigten Sie Ihre Lehrer und Ihre Kollegenschaft. Was bedeutet Teamwork für Sie?
Anton Zeilinger: Meine Forschung funktioniert nur im Team: Man hat eine Idee – die kommt oft aus dem Team oder auch von mir. Aber dann diskutiert man, und die Ideen werden dadurch unglaublich geschärft. Ideen haben eine hohe Säuglingssterblichkeit, aber man muss sich zuerst einmal mit den Ideen auseinandersetzen. Jede Idee wird bei uns grundsätzlich positiv aufgenommen.
Wie setzt sich eine Idee dann durch? Und wem verdanken Sie den Erfolg Ihrer Ideen?
Zuallererst den österreichischen Steuerzahlern und Steuerzahlerinnen. Ohne die öffentlichen Gelder wäre es nicht gegangen. Es gehört dazu Neugier, sicher auch eine Begabung für Wissenschaft, und dann braucht es das Umfeld dazu, das die Begabung, die man hat, entfaltet.
Gibt es in Österreich genug Geld für die nächste Generation in der Wissenschaft?
Das Wichtigste wäre, dass man bei der Vergabe der Gelder nicht verlangt, bereits zu Beginn einer Arbeit genau zu sagen, was man damit machen wird. Das wurde in den letzten Jahren immer üblicher. Bei der Arbeit, die zum Nobelpreis geführt hat, hätte ich das nicht sagen können. Und genauso wenig soll man verlangen, mit welchen Methoden, mit welchen wissenschaftlichen Verfahren, mit welchen Geräten man das machen will. Auch das hätte ich nicht sagen können. Das wird immer mehr verlangt, auch auf europäischer Ebene. Da versuche ich Überzeugungsarbeit zu leisten. Meine etwas harte Aussage ist: Wenn ihr wollt, dass es wieder lange dauert, bis es einen österreichischen Nobelpreisträger gibt, dann fahrt den Trend zur Bürokratisierung fort.
Du kannst Ideen haben!
Die Rede von Anton Zeilinger, Nobelpreisträger für Physik, in Stockholm am 8. Dezember 2022
Quantenphysik klingt einerseits widersprüchlich, andererseits auch romantisch: Die Quanten (also Teilchen) können miteinander in Verbindung stehen, auch wenn sie nicht miteinander verbunden sind! Und das sogar, wenn sie Lichtjahre voneinander entfernt sind. Mit dem Beweis, dass es tatsächlich keine messbare Verbindung zwischen solch verschränkten Teilchen gibt, haben Sie eine These Albert Einsteins widerlegt. Wie hat die Beschäftigung mit der Mikrowelt Ihr persönliches Weltbild geformt?
Ich möchte zuerst Einstein verteidigen. Er hat eine korrekte mathematische Vorhersage gemacht, nur wollte er sie selbst nicht glauben. Er hat gemeint, die Welt kann nicht so verrückt sein. Aber die Welt ist so verrückt! Was bedeutet das? Einerseits, dass es einen reinen Zufall gibt. Der Zufall kann vielleicht manchmal so stark sein, dass nicht einmal Gott weiß, was herauskommen wird. Dann werde ich immer gefragt: Gott ist doch allwissend. Meine Antwort darauf: Ja. Vielleicht hat er die Welt so geschaffen, dass es den Zufall gibt. Was gibt dir das Recht, die Allmacht Gottes einzuschränken? Der zweite Punkt, der mir ganz wichtig ist: In gewissen Fällen können wir nicht davon sprechen, dass das, was wir beobachten, bereits vor der Beobachtung existiert hat. Das ist etwas, was unserem Weltbild total widerspricht.
Gott hat vielleicht den Zufall erschaffen, sagen Sie als Katholik. Sind Sie als gläubiger Physiker ein Exot?
Ich kenne einige Kollegen, auch Nobelpreisträger, die gläubig sind. Es gibt auch andere, nichtchristliche Glaubensrichtungen unter den Physikern, da gibt es keinen Widerspruch. Den Widerspruch zwischen Religion und Naturwissenschaften gibt es nur, wenn die Religion etwas sagt, wo sie eigentlich nicht zuständig ist, oder wenn die Naturwissenschaft etwas sagt, wo sie eigentlich nicht zuständig ist.
Wer hat die Naturgesetze festgelegt? Das, hat Einstein gemeint, wäre eine Rolle Gottes.
Anton Zeilinger
Wo verläuft die Grenze zwischen dem Bereich der Religion und dem der Wissenschaft?
Es gibt Dinge, die sich außerhalb der wissenschaftlichen Beweisbarkeit befinden. Zum Beispiel, was am Beginn des Universums war. Wer hat die Naturgesetze festgelegt? Das, hat Einstein gemeint, wäre eine Rolle Gottes.
Ob Gott oder ein Zufall der Grund für unsere Welt ist, wird oft diskutiert. Ihre Aussage, dass Gott vielleicht den Zufall erschaffen hat, hebt diesen Widerspruch auf.
Ja, es gibt Kollegen, Physiker, die der Meinung sind, dass der einzelne zufällige Prozess ein elementarer Schöpfungsakt ist. Auch diese Position kann man haben. Ich sage, das muss nicht so sein. Aber man hat die Freiheit, das mit oder ohne eine Rolle Gottes zu sehen. Das ist dann letztlich eine persönliche Sache.
Der Nobelpreis und Österreich
Einen Preis zu bekommen, ist für den Quantenphysiker Anton Zeilinger nichts Neues. Dutzende internationale Auszeichnungen wurden dem früheren Präsidenten der Akademie der Wissenschaften bereits verliehen. Dass er, neben anderen Wissenschaftlern, 2022 den Nobelpreis für Physik zugesprochen bekam, war nicht überraschend. Dennoch ist der Preis etwas ganz Besonderes.
Seit 1901 wird er jährlich auf Wunsch des Preisstifters Alfred Nobel an jene Personen verliehen, „die im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben“ – und zwar in den Gebieten Physik, Chemie, Medizin, Literatur und Friedensbemühungen.
Liest man die Liste der in Österreich geborenen Ausgezeichnten, fällt auf: Viele von ihnen mussten Österreich in der Zeit des Nationalsozialismus verlassen. Nur sechs von ihnen wurden für Leistungen geehrt, die sie an österreichischen Universitäten erbracht hatten. Einer von ihnen ist – Anton Zeilinger, geboren 1945 in Ried im Innkreis.
Die Tätigkeit als Naturwissenschaftler muss prinzipiell agnostisch sein.
Anton Zeilinger
Diskutieren Sie mit jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über existenzielle Fragen?
Die Tätigkeit als Naturwissenschaftler muss prinzipiell agnostisch sein. Sie ist völlig unabhängig von der Frage, ob es einen Gott gibt oder nicht. Ich diskutiere gelegentlich mit jungen Leuten, aber unabhängig von unserer Forschungstätigkeit.
Sie haben sich auch intensiv mit dem Dalai-Lama ausgetauscht.
Ja, ich habe mit ihm zweimal sehr lange diskutiert, zwei Wochen bei ihm in der Residenz. Er hat auch mein Labor in Innsbruck besucht. Wir haben uns irrsinnig gut verstanden. Er hat ein klares, naturwissenschaftliches Denken.
Wenn Sie als Katholik etwas verändern könnten in der Kirche, was wäre das?
Zwei Dinge. Das eine ist banal, aber das ist das unsägliche Thema der Kirchensteuer. Sie erzeugt ein schlechtes Bild nach außen. Ich habe schon in Ländern gelebt, wo es keinen Kirchenbeitrag gibt und wo die Kirche auch lebt. Zweitens: Die Kirche sollte wieder stärker die Verkündigung der Frohbotschaft zu den Nicht-Christen übernehmen. Ich weiß, missionieren ist heute sehr unpopulär, aber die Kirche hat die Aufgabe, die Frohe Botschaft zu verkünden. Es wäre gut, wenn man das macht – auch in unserer Gesellschaft.
In einem ehemaligen Kloster am Traunsee haben Sie die Internationale Akademie Traunkirchen gegründet. Mit welchem Ziel?
Die Akademie verfolgt das Ziel, Hochbegabte zu fördern. Es geht um Vernetzung – dass besonders gescheite junge Menschen andere sehen und erkennen: ‚Moment, es gibt auch andere wie mich!‘ In der normalen Schulumgebung sind sie die Ausnahme, möglicherweise auch sozial isoliert. Im Schulsystem haben wir ein großes Manko: dass wir nicht von der Volksschule an identifizieren, wer hochbegabt ist.
Es erinnert mich an das Thema Frauen in den Naturwissenschaften. Bei einer Evaluierung der britischen Universitäten stellten wir fest: Das einzige Mittel, das wirklich wirkt, sind Rollenbilder. Die jungen Frauen müssen andere Frauen sehen, die Top-Positionen haben. Wenn Sie die Übertragung der Nobelpreisverleihung im österreichischen Fernsehen gesehen haben: Die Verleihung an die Physiker, an drei Männer, wurde gezeigt. Als Nächstes war eine Chemikerin an der Reihe. Das wurde nicht mehr gezeigt, und das wäre ein wichtiges Rollen-Vorbild gewesen.
Motiviert Ihr Beispiel junge Leute?
Das hoffe ich sehr. Ich sage jungen Menschen immer: ‚Interessiert dich etwas, dann mach es!‘