Ist die Kirche zu leise geworden?
HirtenhundErinnern Sie sich noch an die Bikini-Werbung auf der Fassade der Votivkirche? Vor 13 Jahren brachte ein überlebensgroßes, sich am Strand räkelndes Supermodel das Blut der demütigen Beter in Wallung. Im „Falter“ antwortete Baudirektor Gnilsen auf die Frage, ob Katholiken knappe Bikinis mögen, unüberbietbar lässig: „Jeder freut sich doch über einen schönen Strand.“ Damals waren wir sexy, ein Aufreger und Hingucker. Und heute? Prangt ein alternder, grau bebarteter George Clooney auf der Südseite des Stephansdomes und trinkt Kaffee. Im katholischsten aller Kleidungsstücke: dem brav zugeknöpften Pyjama. Keine Aktivisten, die sich ob der Kapsel-Kaffee-Causa anketten oder ankleben, kein Dompfarrer, der über seine persönliche Schlafmode Auskunft gibt. Wir sind als katholische Kirche in der Regionalliga angekommen. Alte weiße Männer werben um alte weiße Männer. Sex-Appeal ade. Lauwarmer Kaffeeersatz statt Piña Colada.
Katholiken und Kirche im Wahlkampf
Das ging mir durch den Kopf, als ich durch die Nachrichten rund um die anstehende Nationalratswahl und das Wahlverhalten der Katholiken surfte. Da gibt es grob gesagt zwei Fraktionen: Jene, die sich aktiv in die Schlacht um Meinungen und Aufmerksamkeit werfen. Die Wahlprogramme analysieren und etwa mit der Katholischen Soziallehre kontrastieren. Die also das tun, was man in reifen Demokratien tun sollte: sich informieren und andere über diese Dinge in Kenntnis setzen. Marktschreierisch laut, bunt, bemüht um medialen Sex-Appeal wie Gisele Bündchen auf der Votivkirche. Und dann gibt es die George Clooneys. Die brav die immer gleichen Fragen an die Parteien aussenden und die immer gleichen, von den PR-Abteilungen glattfrisierten Antworten auf ungeklickten Websites abbilden. Demokratische Meinungsbildung mit dem Pyjama. Nicht unelegant, nicht falsch, aber halt ein bissi langweilig.
Kirche: Zwischen politischer Realität und idealistischer Vision
Papst Franziskus riet im Übrigen kürzlich: „Man muss das geringere Übel wählen“. Eine Haltung, die gut klingen mag, deren Crux aber im Kleingedruckten liegt: Denn wer nach diesem Prinzip wählt, kultiviert eine gewisse politische Verbitterung und sagt Ja zur Korruption des eigenen Herzens. Ein Übel bleibt ein Übel, ob es groß ist oder klein; und wer nach dem Guten oder dem guten Leben fragt, sollte sich nicht am diplomatisch Machbaren orientieren, sondern Politik als Kunst des Unmöglichen verstehen. Das sage leider nicht ich, sondern Václav Havel.
Demokratie jenseits des Wahlrechts
Alter weißer Mann, aber mit der Attitüde eines demokratischen Supermodels. Mit diesen Gedanken überlasse ich Sie jetzt Ihrer Bürgerpflicht. Als Hund habe ich schließlich kein Wahlrecht. Ebenso wenig wie Gisele Bündchen und George Clooney, mit denen ich jetzt auf einen Filter-Kaffee gehe …