„Glaube hat mit einer freien Entscheidung zu tun“
Diözesanadministrator Josef GrünwidlAm 22. Jänner wurde Josef Grünwidl, bisher verantwortlich für das Südvikariat, zum Administrator der Erzdiözese Wien bestellt. Der gebürtige Weinviertler war 25 Jahre lang mit großer Freude Pfarrer. Jetzt warten ganz andere Aufgaben auf ihn, erzählte er im ersten Interview zwei Tage nach seiner Ernennung. Wer ist also der „Neue“, dem wir übrigens an dieser Stelle zum Geburtstag am 31. Jänner herzlich gratulieren?
Grünwidl übernimmt als Administrator
Wie ist es Ihnen gegangen, als Sie von Ihrer Ernennung zum Administrator der Erzdiözese Wien erfahren haben?
Es war so bei mir, dass mich der Herr Kardinal am Wochenende (Anmerkung: am 19. Jänner) informiert hat, dass das auf mich zukommt, und wir haben das besprochen und er hat mich auch sehr gebeten, ich solle zusagen und diese Aufgabe übernehmen. Am Montag hat mir dann Herr Nuntius Erzbischof López das Ernennungsdekret überreicht.
Sie werden begleitet durch das Erzbischöfliche Sekretariat.
Der Übergang wurde sehr gut vorbereitet! Nur, ich habe festgestellt, es gibt 70 Dossiers. Es sind also so viele Bereiche, für die der Erzbischof auch zuständig ist. Hier werde ich jetzt keine großen Entscheidungen treffen. Aber es geht jetzt darum, in all diesen Bereichen einmal Kontakt aufzunehmen mit den Verantwortlichen und zu schauen: Braucht ihr etwas, gibt es Probleme, gibt es Fragen? Also, ich bin für sehr viel mehr zuständig, als mir bewusst war.
Sie haben den Herrn Generalvikar Krasa und die Bischofsvikare Turnovszky und Schutzki gebeten, im Amt zu bleiben. Sie selbst sind aber auch Bischofsvikar. Geht sich das aus?
Ich habe am Anfang gemeint, ich könnte das mit meinem Sekretär, Diakon Manfred Weißbriacher, mitbetreuen. Es zeigt sich aber schon in den ersten Tagen, das wird nicht möglich sein. Deswegen ist jetzt mein Plan, dass ich einen Stellvertreter ernenne.
Grünwidl über Kirche und Politik
Wir haben aktuell auch in der Politik einen geschäftsführenden Bundeskanzler, Alexander Schallenberg. Sie führen die Geschäfte der Erzdiözese. Kann man das miteinander vergleichen?
Ja, ich glaube, man kann es miteinander vergleichen. Nicht nur jetzt, was die interimistische Geschäftsführung betrifft, sondern auch, was das Leben betrifft. Das politische Leben, der Alltag in Österreich muss weitergehen. Auch nach dem 80. Geburtstag und dem Rücktritt von Kardinal Schönborn taufen wir weiter Kinder, wir machen Erstkommunionvorbereitung, Firmvorbereitung, wir feiern Gottesdienste, das pfarrliche Leben und das Leben in den kirchlichen Gemeinschaften geht weiter. Die Kirche kann in den Pfarrgemeinden auch gut eine Zeit lang ohne Erzbischof leben. Auf Dauer ist das kein Zustand. Aber ich stehe dafür, dass dieser Alltag in der Kirche und in der Diözese, die alltäglichen Dinge und Geschäfte gut weitergeführt werden können.
Wenn man es jetzt ein wenig legerer formuliert, dann spricht man ja immer von der Herde, die ein Hirte betreut. Sind Sie Schäfer?
Der Hirte, der eine Herde betreut, das ist oft das Bild: Einer geht voran und zeigt den Weg. Ich bin vom Hirtenbild nicht so ganz überzeugt. Ich denke mir, es gibt in der Kirche einen guten Hirten und das ist Jesus Christus. Und der geht voraus und zeigt uns den Weg. Wir helfen dem guten Hirten. Aber ich sehe mich jetzt nicht als der Hirte, der vorangeht und der Herde sagt, wo es langgeht. Ich habe mir sagen lassen, dass ein Hirte manchmal auch hinter der Herde geht, weil die Tiere auch instinktiv spüren, wo gibt es Wasser oder wo gibt es eine gute Weide. Also: Jesus Christus ist der gute Hirte und ich vertraue darauf, dass er uns auch in diesen stürmischen oder bewegten Kirchenzeiten, in denen wir jetzt leben, nicht im Stich lässt und uns weiter führt und begleitet.
Sie waren selbst 25 Jahre Pfarrer, das war Ihnen sehr wichtig. Es ist auch bekannt, dass Sie der Pfarrerinitiative nicht immer ferngestanden haben. Nehmen Sie da etwas mit in Ihre Tätigkeit?
Ja, ich war eine Zeit lang bei der Pfarrerinitiative, habe mich dort aber vor vielen Jahren wieder abgemeldet. Warum? Weil ich draufgekommen bin, dass ein Aufruf zum Ungehorsam, auch dem Erzbischof gegenüber, kein guter Weg ist, Reformen oder Veränderungen in unserer Kirche und in der Erzdiözese Wien anzustoßen. Was ich mitnehme aus dieser Zeit, und das habe ich mehrmals auch mit dem Herrn Erzbischof besprochen, was jetzt auch Papst Franziskus von den Bischöfen fordert: Sagt mutig, was ihr denkt, macht mutig Vorschläge. Kardinal Schönborn hat öfter darüber geklagt, dass es in seiner Führungsposition schwierig ist, Menschen zu finden, die ihm ehrlich die Meinung sagen. Und er hat immer gesagt, auch im Priesterrat, bitte sagt, was ihr denkt, widersprecht mir auch, wenn ihr anderer Meinung seid. Ich will wissen, woran ich bin. Es gibt in der Kirche keinen Kadavergehorsam. Es gibt einen kritischen Gehorsam, auch mit einem offenen Wort einem Vorgesetzten gegenüber. Und ich denke, das ehrliche, offene Gespräch in der Kirche ist noch ausbaufähig.
Das ist auch etwas, was Sie selbst aushalten.
Das hoffe ich sehr, dass ich das aushalte. Wobei: Natürlich ist Kritik immer auch eine Herausforderung für den, der mit Kritik konfrontiert wird. Aber ich denke mir, es ist sicher wichtiger, ehrliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu haben, die ihre Meinung sagen, als Ja-Sager, die dann hinterrücks mauscheln oder sich beschweren.
Grünwidl über die Rolle der Kirche
Jetzt haben wir viele Herausforderungen in der Kirche in Europa. Ihnen ist missionarisches Wirken sehr wichtig. Was stellen Sie sich denn darunter vor?
Wir sollten als Kirche nicht ständig mit uns selbst beschäftigt sein. Also, Kirche ist kein Selbstzweck und Kirche ist kein Ziel, sondern Kirche ist ein Mittel – diese Gemeinschaft, die Christus gestiftet hat, damit das Reich Gottes wächst und Menschen zu Gott und zum Glauben an Christus finden. Mission in dem Sinn ist mir sehr wichtig. Kirche hat immer einen Auftrag für die Menschen, für die Welt, für die Gesellschaft. Und wenn ich noch anfügen darf, wenn die Statistiken stimmen, dass wir regelmäßig am Sonntag 5 bis maximal 10 Prozent der Katholiken erreichen, dann müsste ich mich als Pfarrer schon fragen: Was ist mit den 90 Prozent der Katholiken in meiner Pfarre, die ich nicht regelmäßig erreiche? Und ich müsste mich auch noch einmal fragen: Und was ist mit den anderen, die nicht einmal getauft sind? Und für alle sollen wir da sein. Das sehe ich als Mission. Und das fordert auch ein Umdenken, denn wir dürfen ja nicht vergessen, wir haben in Österreich ja jahrhundertelang in einem Land gelebt mit einer katholischen Staatskirche. Es war nicht notwendig, hinauszugehen oder hinauszuschauen. Diesen Zustand wünsche ich mir nicht zurück. Glaube hat immer etwas zu tun mit einer freien, persönlichen Entscheidung. Und deswegen sind wir heute auf einem sehr bunten, vielfältigen, religiösen Markt. Und wir sind gefordert, hinauszugehen, weil ich überzeugt bin, wir haben mit dem Evangelium eine Botschaft, die den Menschen hilft und die die Welt braucht.
Hinausgehen, das wäre das eine, aber wie schafft man es denn, dass dann die Menschen auch ihre Türen öffnen für das Angebot?
Ich bin überzeugt, Gott braucht keine Menschen, die überzeugen, sondern Gott braucht Zeugen und Zeuginnen. Und dort, wo der Glaube authentisch gelebt wird, wo Menschen ihr Christsein, ihren Glauben, ihre Werte nicht verstecken, da vertraue ich darauf, dass dann auch der Geist wirkt und dass das auch begeisternd wirkt für andere.
Grünwidl über offene Gespräche in der Kirche
Wir wissen auch nicht, wie es politisch in Österreich weitergeht. Könnte nicht die Kirche Mahnerin sein und darauf hinweisen, was wichtig ist, und sich auch gesellschaftlich einbringen?
Ich wünsche mir keine Kirche, die ständig zur Tagespolitik mit dem Zeigefinger Stellung nimmt. Aber ich denke, es ist Aufgabe der Kirche, sich zu äußern zu gesellschaftspolitischen Veränderungen, wo es um Menschenwürde, um Gerechtigkeit geht, auch um Minderheiten, damit sie nicht unter die Räder kommen. Wir sind da mit der Caritas, glaube ich, auch ganz gut aufgestellt. Aber ich verstehe, dass manche Menschen in unserem Land sich gelegentlich auch von den Bischöfen ein klareres Wort erwarten oder erwartet haben. Was ich gelernt habe von der Weltsynode, wäre, sich daran zu orientieren, was Dialog heißt: Ich höre dir wirklich zu. Ich höre das Positive aus deinem Anliegen heraus, es ist wirklich ein Geben und Nehmen, ein gemeinsames Suchen, ein Überlegen, auch mit Phasen der Stille. Nicht nur ein Gegeneinander, sondern wirklich ein Miteinander im Gespräch, wo auch verschiedene Positionen sich einigen können auf ein gemeinsames Ziel. Ich denke, das wäre im politischen Diskurs etwas, was auch die Gesellschaft von der Kirche und vom synodalen Prozess lernen kann.
Der Mensch Grünwidl: Musik, Berge und Berufung
Uns interessiert auch der Mensch hinter dem Administrator. Können Sie uns ein bisschen mitnehmen, woher Sie kommen?
Ich komme aus dem Weinviertel, bin in Hollabrunn geboren und in Wullersdorf aufgewachsen. Meine Eltern waren Bauern, mein Bruder führt dort jetzt auch noch nebenbei die Landwirtschaft weiter. Ich war dann nach der Volksschule in der Pfarre schon als Ministrant tätig. Meine Heimatpfarre gehört zum Stift Melk. Und wir hatten damals einen Melker Benediktiner als Pfarrer, der es sehr gerne gesehen hätte, dass ich ins Stiftsgymnasium gehe. Nur ist das sehr weit weg von meiner Heimat und als Zehnjähriger wollte ich das eigentlich nicht. Und so ist es dann Hollabrunn geworden, dort das Gymnasium, auch das Seminar. Also, es war da immer schon bei mir als Kind eine Begeisterung für die Kirche, für das Ministrieren, für das Feiern von Festen. Bei mir ist dann als zweite Leidenschaft die Musik dazugekommen. Ich war dann sehr viel in der Musikschule um Klavier zu üben und bin dann auch noch umgestiegen auf die Orgel. Und bei der Matura war es so, dass ich eigentlich noch nicht ganz entschlossen war. Und dann habe ich beides gemacht. Ich habe mit dem Theologiestudium begonnen und bin ins Priesterseminar gegangen und habe an der Musikuniversität begonnen zu studieren. Im Auslandsjahr in Würzburg ist mir klar geworden, ich treffe jetzt die Entscheidung, dass Theologie meine Berufung ist und Musik mein Hobby.
Sie mögen die Orgel sehr gern. Haben Sie sich schon einmal an der Riesenorgel im Stephansdom versucht?
Ich habe mich einmal kurz an der Riesenorgel versucht und auch vorne an der Chororgel. Ich muss aber gestehen, ich komme jetzt eigentlich seit Jahren nicht mehr zum Orgelspielen, aber ich habe ein sehr gutes Klavier bei mir in der Wohnung und das ist schon auch eine Energiequelle für mich und oft auch sehr entspannend, mich dann am Abend oder in einer kurzen Freizeit ans Klavier zu setzen.
Welche Komponisten schätzen Sie?
Bach ist das Nonplusultra. Also, das ist einfach unerschöpflich. Mir ist völlig unbegreiflich, wie ein Mann ein so gewaltiges Werk schaffen konnte, allein nur wenn man daran denkt, dass er für jeden Sonntag eine Kantate komponiert hat. Und dazu kommen ja das Klavierwerk, das Orgelwerk, die Orchesterwerke. Es gibt also so eine Fülle. Ich bin aber nicht nur ein Bach-Fan: Ich würde sagen, Bach, Mozart, Schubert und Bruckner gehören sicher auch zu den ganz Großen.
Wir sind mitten im Ski-Zirkus im Winter. Ist Skifahren für Sie ein Thema?
Nein, überhaupt nicht. Also, ich bin kein sportlicher Typ. Ich gehe sehr gerne in die Berge. Die Rax ist mein Hausberg. Sehr gerne im Sommerurlaub bin ich in Osttirol in den Bergen. Das gehört für mich dazu. Aber sonst bin ich leider wie Winston Churchill: „No sports.“ Obwohl ich weiß, dass das nicht gesund ist. Und ich muss mir jetzt auch irgendwas überlegen, weil ich ja jetzt noch mehr sitze. Und ich bin ein bisschen allergisch gegen die sitzende Kirche. Da wäre es höchst an der Zeit, auch ein bisschen körperlich einen Ausgleich mit Bewegung zu schaffen. Ich gelobe Besserung.
Aber Sie sitzen für den Fortgang. Das ist wiederum das Positive.
Wenn man es so sieht, schaffe ich durch mein Sitzen hoffentlich Bewegung.
Radiotipp
Das Interview ist am 31.1., 17:30 Uhr auf radio klassik Stephansdom in der Sendung Perspektiven nachzuhören.