In memoriam Sportreporterlegende Sigi Bergmann
Stephansdom: das Haus meines Lebens„Diese Tragödie begleitet mich bis heute“, schildert Sigi Bergmann. Der damals Siebenjährige war dabei, als seine Mutter im April 1945 durch eine verirrte Kugel der Kämpfe zwischen Deutschen und Russen in Vorau getötet wurde. Während in Wien der Krieg vorbei war, zog die russische Rote Armee durch die Steiermark und traf auf deutsche Truppen, die nicht aufgegeben hatten. Sigi, seine Mutter und die Großmutter flüchteten auf einen Berg, dort gerieten sie in einen Kugelhagel der Kriegsparteien. Eine Kugel traf die schützend neben Sigi liegende geliebte Mutter in den Bauch. „Sie hat mir noch ein Kreuzzeichen auf die Stirn gemacht“, weiß der 79-Jährige. „Mein Vater kämpfte in deutschen Truppen, durch eine deutsche Kugel starb meine Mutter. Damit tue ich mir bis heute sehr schwer“, bekennt er.
Im Herbst 1945 kam Sigi nach Wien, denn der Bruder der verstorbenen Mutter, Josef Streidt, ist Ordinariatskanzler der Erzdiözese Wien. Sigi zieht in seine Wohnung in der Wollzeile ein. Langsam kann er auch wieder lachen und ein Spitzbub sein. Beim Gespräch mit dem SONNTAG im Hof des Wiener Erzbischöflichen Palais erinnert sich Sigi Bergmann: „Ich habe hier mit meinen Freunden Fußball gespielt, die Innenbögen dienten uns als Tore.“ Als Sigi einmal drinnen auf Geheiß von Kardinal Innitzer den Fußball in die Höhe schießt und einen Luster zu Bruch gehen lässt, will ihn die Haushälterin bestrafen. Kardinal Theodor Innitzer behauptet aber, selbst der Übeltäter gewesen zu sein. „Ich war ganz stolz, dass der Kardinal für mich gelogen hat“, schmunzelt Sigi Bergmann.
Wie war die Situation, als Sie im Jahr 1945 am Stephansplatz einzogen?
Sigi Bergmann: Der Stephansdom war ein Bombenmeer. Mein Onkel zele-brierte die Heilige Messe in der Sakristei. Das war der einzige Platz, wo nicht nach oben hin alles offen war. Der Dom war völlig eingestürzt. Wir sind in der Früh oft bei „Gatsch durch den Dom gehatscht“.
Sie haben im und um den Stephansdom in dieser Zeit viel erlebt?
Ja, das stimmt. Mein bester Freund war Toni Schrei, der Sohn des Mesners. Wir waren in der Nacht oft im Dom, weil er einen Schlüssel hatte. Da sind wir auch in die Katakomben hinein. Dort haben wir bemerkt, dass es unterirdische Verbindungen zu den Straßen rundherum gibt.
Der Stephansdom prägt Sie bis heute?
Wenn ich eine Krise habe, dann gehe ich in den Stephansdom und zünde eine Kerze an. Ich bin im Stephansdom gefirmt worden, habe dort auch geheiratet. Der Stephansdom ist das Haus meines Lebens.
Wo sind Sie zur Schule gegangen?
Bei den Ursulinen in die 3. und 4. Volksschulklasse. Dann bin ich in die Lehrerbildungsanstalt in der Kundmanngasse im 3. Bezirk. Ich war Volksschullehrer, habe in Vorau und in Niederösterreich jeweils ein Jahr unterrichtet. Eigentlich wollte ich Opernsänger werden. Die Oper ist auch heute noch mein liebster Aufenthaltsplatz. Ich gehe nach wie vor auf den Stehplatz.
Sie haben im Chor von St. Stephan gesungen?
Ich war habe in verschiedenen Chören gesungen. Im Domchor, in der Augustinerkirche, Karlskirche und in der Hofburgkapelle. Solist war ich in der Stiftskirche Vorau. Mein Vater, der spät aus dem Krieg heimkam, war dort Dirigent.
Sie haben Geschichte studiert, Ihre Dissertation hat einen kirchlichen Bezug?
Es geht um die Religionspolitik und die kirchlichen Reformversuche Ferdinands I. Basis dafür waren Unterlagen, die ich am Dachboden des Erzbischöflichen Palais fand.
Wie entstand Ihre Vorliebe für den Boxsport?
Ich bin an der Uni Wien boxen gegangen. Davon habe ich mein praktisches Wissen über den Boxsport.
Das brachte Sie dann auch zum ORF-Sport?
Ja, ich habe an die 3.500 Boxkämpfe kommentiert und war bei 20 Olympischen Spielen im Einsatz. Zuletzt 2016 in Rio de Janeiro.
Durch den Boxsport entstand auch eine tiefe Freundschaft mit dem österreichischen Boxstar Hans Orsolics?
Er hat immer ein wildes Leben geführt. Dass er heuer 70 wird, ist für mich ein Wunder.
Diese Woche macht der Alpine Schiweltcup in Kitzbühel Station. Wie haben Sie als Reporter die Rennen in Kitz erlebt?
Die „Streif“ ist eine der schwierigsten Abfahrten der Welt. Toni Sailer hat zwei Mal gewonnen, Franz Klammer vier Mal. Die „Streif“ ist etwas Grandioses. Was da los ist und wie die Sieger gefeiert werden, das ist unvorstellbar.
Seit mehr als vier Jahrzehnten leben Sie mit Diabetes. Wie geht es Ihnen dabei?
Ich trage immer eine Bauchtasche mit Insulin und Messgeräten bei mir. Ich war 32-mal in Las Vegas wegen Boxkämpfen und auch da habe ich es geschafft, damit umzugehen, trotz Zeitumstellung. Achtmal täglich spritze ich mir Insulin. Aufpassen muss ich beim Essen, auch beim Alkohol. Man muss sich zurücknehmen. Ich gehe zweimal wöchentlich ins Fitnesscenter. Das ist für die Durchblutung sehr wichtig.
Wenn Sie dem Stephansdom so lange sehr nahe waren, sind Sie gläubig?
Ja, ich bin ein gläubiger Mensch. Ich bedanke mich jeden Tag dafür, dass ich lebe und dass ich mit meiner Krankheit so gut umgehen kann. Ich bin nicht der Paradekatholik, der jeden Sonntag in die Messe geht, was bis zu meinem 30. Lebensjahr so war. Aber ich fühle mich dem Herrgott verpflichtet, dass ich jeden Tag Danke sage.
Sigi Bergmann
- wurde im steirischen Vorau geboren.
- Seine Mutter wurde in den letzten Kriegstagen vor den Augen des damals Siebenjährigen erschossen.
- Sigi kam zum Onkel nach Wien, Josef Streidt, Ordinariatskanzler und späterer Generalvikar und Weihbischof.
- Bergmann wurde Volksschullehrer, studierte Geschichte und Gesang.
- Beim ORF moderierte er „Sport am Montag“ und Tausende Boxkämpfe.
- Er war über 40 Jahre verheiratet und ist Vater zweier Töchter.