"In einem anderen Licht"

Österliche Gedanken - Teil 2
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Der Auferstandene. Glasfenster von Wolf-Dieter Kohler. Michaelskapelle in Friedrichsthal/Schwarzwald.
Der Auferstandene. Glasfenster von Wolf-Dieter Kohler. Michaelskapelle in Friedrichsthal/Schwarzwald. ©Stanislaus Klemm

Exklusiv auf dersonntag.at bringen wir eine Serie von "Österliche Gedanken von Stanislaus Klemm". In dieser Folge geht es um die Auferstehung und das Licht.

Es gibt für jeden von uns Ereignisse oder Erlebnisse, die uns zwingen oder noch besser gesagt: geradezu überzeugen, Dinge in unserem Leben plötzlich ganz anders zu sehen. In der Arbeit einer Beratungsstelle kommt es häufig vor, dass der oder die Ratsuchende im Laufe des gemeinsamen Gesprächs plötzlich bekennt: "So habe ich allerdings mein Problem noch nie betrachtet. Das wirft ja ein völlig neues Licht auf mein altes Problem!" So könnte auch das Osterfest, nämlich die Gewissheit, dass die Liebe stärker ist als der Tod, ein helles Licht werfen auf die dunklen Stunden unseres Alltags.

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Die Dinge in einem anderen Licht sehen

Wer könnte dem buddhistischen Weisen Nagarjuna widersprechen, wenn er meint: "Es gibt nur eine falsche Sicht der Dinge, nämlich der Glaube, dass meine Sicht die einzig Richtige sei." Wir wissen ja alle, dass unsere Hör- und Sehfähigkeit keine objektive Größe darstellt, sondern häufig von vielen subjektiven Gegebenheiten bestimmt wird. Wie oft könnten wir zum Beispiel der Meinung sein: "Wie, das soll ich gesagt haben?" Oder: "Siehst du das wirklich so?" Vorurteile, Gefühle und vor allem unsere Erwartungen vermögen dem, was wir hören und sehen, was wir meinen und glauben, eine ganz bestimmte "Farbe" beizumengen. 1965 zeigte ein berühmtes sozialpsychologisches Experiment des amerikanischen Professors Robert Rosenthal (man nennt es auch den "Rosenthal-Effekt"), welche enorme Rolle bei der Beurteilung von Kindern eine ganz bestimmte Erwartung von Lehrern an diese Schüler spielen kann.

"es ist Eure Ahnungslosigkeit!"

Ob das diesjährige Osterfest für uns einen ganz besonderen Stellenwert bekommen könnte, liegt vielleicht auch und gerade in dem begründet, welche speziellen Erwartungen wir mit diesem Fest verbinden. Liegt es noch in unserem Erwarten, dass in der Auferstehung die Liebe die Hoffnungslosigkeit und Mutlosigkeit endgültig überwunden hat? Wenn ja, dann würde sich ganz konkret unser alltäglicher Umgang mit einander verändern? Dann würde Ostern ganz sicher ein neues Licht auf unser Leben werfen. Eine interessante Geschichte von Antony de Mello, die ein helles Licht auf diese Zusammenhänge werfen kann, könnte uns Mut machen, auch das Ostergeschehen wieder einmal ganz besonders sehen zu lernen.

Zu einem Heiligen im Himalaja kam einmal unerwarteter Besuch: Der Abt eines berühmten Klosters höchstpersönlich. Der klagte in der Höhle des Gurus sein Leid. Es ginge bergab mit seinem Kloster. Der Gesang der Novizen in den Gängen werde spärlicher, weil es kaum mehr Nachwuchs gäbe, die Menschen schienen kaum mehr geistliche Nahrung zu brauchen, im Gotteshaus herrsche gähnende Leere. "Ist es unsere Sünde, die diesen Verfall bewirkt?" - "Ja", murmelte der Weise, und unterbricht nur widerwillig seine Meditation: "Ja, eure Sünde der Ahnungslosigkeit ist es!" Der Abt staunt: "Ahnungslosigkeit?" - "Ja", bekräftigte der Guru und sieht kurz auf zum Abt, "denn einer von euch ist - natürlich verborgen - der kommende Herr!" - "Der Messias?" Versunken in sein Gebet hörte der Heilige den erstaunten Ausruf des Abtes nicht mehr... Höchst nachdenklich machte sich der Abt auf die beschwerliche Heimreise. Seine Gedanken überschlugen sich, sein Herz pochte wild: Der Messias in unserem Kloster? Hinter wem mochte er sich verbergen? Ist es der Bruder Koch? Oder der Bruder Messdiener? Oder Bruder Gärtner? Vielleicht gar der Ordensoberste? Recht besehen hatte doch aber jeder von ihnen Fehler!? Der eine trank, der andere hatte Fleischesgelüste, jener den puren Jähzorn... Aber vielleicht sind ja gerade das die Verkleidungen des Herrn? Im Kloster angekommen versammelte der Abt sofort alle Brüder und eröffnete ihnen die Erkenntnis des Höhlenheiligen. Fast brach ein Tumult aus. "Der Messias?" "Christus selbst?" "Bei uns?" "Bist du's?" "Ist er's?"" "Nein, niemals!" "Der vielleicht?" Endlich war man sich einig: Christus werde sich zu seiner Zeit offenbaren und jeder könne der Messias sein. Also begegneten sie sich von nun an mit größerem Respekt. Wer wollte schon den Herrn selbst schlecht behandeln? Und plötzlich breitete sich eine Liebe aus unter den Mönchen, eine fröhliche Zuversicht, eine selbstverständliche Hilfsbereitschaft, kurz ein frischer, guter, liebevoller Geist durchwehte das alte Gemäuer. Und täglich klopften Novizen an die Pforte, und das Gotteshaus füllte sich, und die Menschen nahmen den frohen Gesang der Brüder mit auf den Weg. Ostern brach in ihrer Seele aus: Hoffnung, Mut und Kraft. Ostern erschien plötzlich in einem ganz anderen, neuen Licht.

dann wird sich alles verändern

Was wäre das für ein Osterfest, wenn wir tatsächlich in den Menschen neben uns, in den Menschen, die uns immer wieder neu begegnen, wirklich denjenigen leibhaft und konkret erwarten und sehen würden, den wir Jesus nennen, den Mensch ge-wordenen, auferstandenen Herrn. Wie viel Kraft und Energie flösse uns dann zu, alle unsere Anstrengungen in den Dienst seiner Nächstenliebe zu stellen. Wie oft , wie gerne würden wir dann gerade den Menschen unsere Hand reichen, mit denen wir bisher kein Wort mehr gesprochen haben? Unsere Tage würden getragen werden von dem Gefühl der Zusammengehörigkeit, von einem Miteinander und einer mitreißenden Solidarität. Wir würden für Hungrige und Durstige sorgen, Nackte  bekleiden, Fremde aufnehmen, Kranke und Gefangene besuchen, wo immer, wann immer und wie immer uns diese existentiellen Notsituationen im Leben begegnen mögen und unsere Barmherzigkeit bräuchten. Wir wären dann auf der Seite derer, denen einmal gesagt wird: "Das habt ihr für mich getan!" Matth 25, 35-37. Ein Osterfest, das eine solche Entwicklung anstoßen könnte, wäre wirklich etwas ganz Besonderes! Meinem Mit-menschen wieder ganz menschlich zu begegnen, würde bedeuten, ihn wieder in einem ganz neuen Licht zu sehen, in einem österlichen Licht, das uns hilft, mit unserer Angst hoffnungsvoll umzugehen.

wer bin ich für dich?

Einer der markantesten Sätze, die der Dichter Adalbert Stifter in seinem Leben schrieb, wirkt auf uns heute wie ein geistiges Erbe, wie ein kostbares Geschenk. Er schrieb: „Das Beste, was der Mensch für einen anderen tun kann, ist doch immer nur das, was er für ihn ist.“ Eigenartig, nicht das Haben und nicht das Tun scheint also maßgeblich oder entscheidend zu sein. Es ist also keineswegs von entscheidender Bedeutung, was ich habe: Geld, Macht, Weisheit, Fähigkeiten, gute Ratschläge... usw. von entscheidender Bedeutung für andere ist auch letzten Endes nicht das, was ich für ihn tue, gute Werke, große Aktionen und spektakuläre Handlungen. Lebensentscheidend für andere ist also am Ende nur das, was ich für ihn bin: bin ich für ihn wirklich ein Mensch, ein Mitmensch, ein Partner, ein Christ. Bin ich echt, ehrlich, redlich und mit-fühlend? Bin ich für den anderen wirklich da, einfach nur da, am rechten Ort, zur rechten Zeit? Was bin ich für ihn? Bin ich für ihn jemand, der wirklich neben ihm ist, mit ihm glaubt, zusammen mit ihm hofft, zusammen mit ihm die Osterbotschaft teile? Friedrich Schiller hat uns hier ein sehr treffendes Wort überliefert, wenn er sagt: „hast du etwas, so gib es her und ich zahle, was recht ist, bist du etwas, o dann lass uns die Seelen austauschen!“ Ein österlicher Wunsch!

©Privat

Zur Person

Der Autor Stanislaus Klemm ist Theologe und Psychologe und ehemaliger Mitarbeiter der Telefonseelsorge Saar und der Lebensberatung in Neunkirchen/Saar

Autor:
  • Stanislaus Klemm
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