Helmut Krätzls Erinnerungen an Kardinal Franz König
Zweites Vatikanisches KonzilWas fasziniert Sie im Rückblick an Kardinal Franz König, was war sozusagen „typisch“ König?
Helmut Krätzl: Für König war das Interesse an den Weltreligionen wichtig, weiters sein weltkirchlicher Blick und sicher auch das Verständnis, dass sich durch das Zweite Vatikanische Konzil vieles in der Kirche erneuern müsste. Und damit hat er sich auch verpflichtet gefühlt, einerseits am Konzil mitzuarbeiten als auch später, soweit es möglich war, die Konzils-Beschlüsse auch in seiner eigenen Diözese umzusetzen. König war aufgrund seiner Sprachenkenntnisse bestens geeignet für Begegnungen mit der Weltkirche. Und dann hatte er eine besondere Beziehung zum Osten. Dazu kam die geopolitische Lage der Erzdiözese Wien, weil König damals von Wien aus die leichtesten Möglichkeiten hatte, durch den Eisernen Vorhang „zu gehen“. Das Verhältnis zum Osten hat sich dann niedergeschlagen in der Stiftung „Pro Oriente“, die er noch während des Konzils, vor der Verabschiedung des Ökumenismus-Dekrets, gegründet hat.
Welche Bedeutung hatte das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) für den Konzilsvater Franz König?
Beim Konzil ist König besonders wirksam geworden beim Kapitel über die Juden in „Nostra Aetate“, gemeinsam mit dem Prälaten Johannes Österreicher. Weiters hat er mitgewirkt bei der Beschreibung des Atheismus in der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“. Diese Tätigkeit hat ihm wahrscheinlich auch die Beauftragung zum Präsidenten des „Sekretariats für die Nicht-Glaubenden“ durch Papst Paul VI. eingebracht. Nicht zuletzt das Engagement Königs im Gespräch mit den Atheisten hat Paul VI. dazu bewogen, König dieses Sekretariat anzuvertrauen. Und König hat sich für die Einfügung des Marien-Schemas in die Kirchen-Konstitution stark gemacht.
Kardinal König hat sehr viel gefragt und zugehört. Aber diese Fragen haben gezeigt, dass er etwas von dem Thema auch versteht.
Helmut Krätzl
König war auch ein genialer Zuhörer...
Kardinal König hatte prinzipiell eine große Neugier, Neues kennenzulernen. Das habe ich von ihm gelernt. Er hatte eine hervorragende Fähigkeit, mit Wissenschaftlern zu sprechen und auf sie zu hören. Jahrelang war ich bei ihm zu Tisch und da habe ich sehr viele Begegnungen mit großen Wissenschaftlern erlebt, und ich war erstaunt über seine Taktik des Dialogs: König hat sehr viel gefragt und zugehört. Aber diese Fragen haben gezeigt, dass er etwas von dem Thema auch versteht. Er hat es aber nie zu einer Kontroverse kommen lassen. Ihm war es wichtig, die Stellungnahme des jeweiligen Fachwissenschaftlers kennenzulernen. So war er etwa in Lindau bei einer Tagung der Nobelpreisträger. Diese Neugier und der Respekt vor der Meinung des anderen, also ein Dialog, der weitgehend aus dem Hinhören besteht, ein Hinhören, das voraussetzt, dass man von der Sache doch einiges weiß, das war typisch für ihn.
Wie sorgte Kardinal König für die Umsetzung des Zweiten Vatikanischen Konzils auf Diözesanebene?
Auf Diözesanebene durch die Diözesansynode von 1969 bis 1971. Die Ernennung von Erzbischof Jachym zum Präsidenten der Synode war eine sehr gute Entscheidung. Im Herbst 1969 hat König das Kabinett sozusagen ausgetauscht. Er machte Jachym zum Generalvikar und Jachym wollte mich als Kanzleidirektor. Auf diese Weise kehrte ich 1969 nach fünf Jahren als Pfarrer in Laa an der Thaya auf den Stephansplatz zurück, wo ich 1956 begonnen habe.
Dieses Mithereinnehmen und Mitbeteiligen der Basis hat erreicht, dass die Erneuerungen so schnell vonstatten gingen.
Helmut Krätzl
Was waren diözesan die markanten Punkte?
Es war die Erneuerung der Liturgie einerseits und andererseits die Mitverantwortung, die Mitsprache und Mitbestimmung der Laien (Kirche als das Volk Gottes), die sich ausgedrückt hat in den Pfarrgemeinderäten. Zuvor gab es Pfarrkirchenräte, die waren eine Gruppe von angesehenen Männern, die der jeweilige Pfarrer selbst ernannt hat. Und dann kam der Pfarrgemeinderat, der wurde gewählt. Wichtig war auch die Aufteilung der Erzdiözese in drei Vikariate, um noch besser als bisher auf die jeweilige seelsorgliche Situation eingehen zu können: der agrarische Norden, der industrielle Süden bis hin zur Buckligen Welt und die Großstadt Wien. Das waren sozusagen die großen Entscheidungen der Synode. Wichtig war auch, dass man damals die Basis mitberaten hat lassen. Ich war Pfarrer in Laa und habe dort erlebt, wie bei der Vorbereitung der Synode die Vorbereitungstexte der Synode in den kleinsten Pfarren beraten worden sind. Dieses Mithereinnehmen und Mitbeteiligen der Basis hat in kürzester Zeit erreicht, dass diese Erneuerungen so schnell vonstatten gingen.
König-Mitarbeiter von 1956 bis 1985
Im Juni 1956 trat Franz König sein Amt als Erzbischof von Wien an, schon zwei Monate später wurde ihm der junge Priester Helmut Krätzl als Zeremoniär zugeteilt. 1959 promovierte Krätzl an der Universität Wien zum Doktor der Theologie. 1960 verunglückten König und Krätzl auf der Fahrt zum Begräbnis von Kardinal Stepinac in Jugoslawien.
Krätzl lag daraufhin ein halbes Jahr im Spital. „Dieser Unfall wurde für mich zur Wende meines Lebens. Sonst wäre ich nicht nach Rom gekommen und zum Konzil“, sagt Krätzl zum SONNTAG. Denn nach der Genesung schickte ihn König zum Kirchenrechts-Studium nach Rom. Krätzl wurde außerdem Konzils-Stenograph und erlebte so das Konzil hautnah mit. Im Hinblick auf das Zweite Vatikanische Konzil fühlt sich Krätzl bis heute als „Zeitzeuge und Erbe von Kardinal Franz König“. An der päpstlichen Universität Gregoriana in Rom erwarb er 1964 sein zweites Doktorat in Kirchenrecht.
Von 1964 bis 1969 war Krätzl dann Pfarrer in Laa an der Thaya und hernach ab 1. September 1969 Ordinariatskanzler. Bei der Wiener Diözesansynode 1969-1971 ebnete Krätzl mit seinem Referat über die pastoralen Gremien den Weg für eine Verständigung zwischen jenen Synodalen, die eine totale Gremialisierung der Kirche befürchteten, und den Anhängern einer Demokratisierung auf allen Ebenen.
In seiner Funktion als Ordinariatskanzler, die er bis 1980 innehatte, bemühte sich Krätzl vor allem um eine „praxisorientierte Handhabung“ der kirchenrechtlichen Vorschriften und um die Förderung einer erneuerten Sakramentenpastoral nach den Leitlinien des Zweiten Vatikanischen Konzils.
Papst Paul VI. ernannte Krätzl am 30. September 1977 zum Titularbischof von Heraclea Pontica und Weihbischof für die Erzdiözese Wien. Kardinal König weihte Krätzl – dessen Wahlspruch „In der Kraft Gottes“ lautet – gemeinsam mit Florian Kuntner (gestorben 1994) am 20. November 1977 im Stephansdom zum Bischof. Von 1981 bis 1985 übte Bischof Krätzl die Funktion des Generalvikars der Erzdiözese Wien aus. Nach dem Rücktritt von Kardinal König als Erzbischof von Wien wurde Krätzl im September 1985 vom Wiener Domkapitel zum Diözesanadministrator der Erzdiözese Wien gewählt, eine Funktion, die er bis zum Amtsantritt des neuen Erzbischofs Hans Hermann Groër am 14. September 1986 innehatte.
Kardinal König hat oft nach dem Konzil davon gesprochen, dass die Gläubigen immer wieder die Konzilstexte lesen sollen. Ist sein Appell erhört worden?
Nein. Die heutige Polarisierung in der Kirche hat ihren Hauptgrund nach wie vor in einem Streit über die Interpretation der Konzilstexte. Ob das Konzil etwas Neues wollte oder nur das Alte mit neuen Worten sagte. So ist etwa das Dekret über die Juden total neu, auch das Dekret über die Religionsfreiheit ...
Sie verstehen sich als Erbe von Kardinal König im Hinblick auf das Konzil: Was meinen Sie damit?
Da braucht man nur meine Bücher zu lesen, angefangen von „Im Sprung gehemmt“, das mir damals in Rom eine große Rüge eingetragen hat, aber auch „Das Konzil, ein Sprung vorwärts“. Auch in meinem Eucharistie-Buch kommt die Lehre des Konzils zum Tragen. Ich fühle mich verpflichtet aufzuzeigen, welchen Fortschritt das Konzil notwendigerweise bringen wollte und wie wenig das Konzil doch erfüllt worden ist.
1985 trat König zurück, Sie wurden Diözesanadministrator, 1986 kam Königs Nachfolger ...
Die große Leistung von Kardinal König wurde damals von Rom nicht nur nicht berücksichtigt, die Ernennung von P. Hans Hermann Groër OSB war eine Gegenbewegung, ein Schlag gegen die Linie König. Groër war immer einer, der König kritisiert hat, als zu politisch, als zu wenig spirituell. Ich schrieb damals dem Nuntius, er sollte doch eine neue Liste machen. Es gab dann 1986 eine große Enttäuschung in der Erzdiözese.