Gottes Weisheit

Sechster Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr A, 12. Februar 2023
Ausgabe Nr. 6
  • Sonntag
Autor:
Bild einer aufgeschlagenen Bibel
Das Licht leuchtet vor den Menschen. ©ZION HILL/ADOBE STOCK

Kommentar zur 2. Lesung von Reinhard Stiksel, promovierter Theologe und Leiter des Bibelwerks Linz.

Die Bibel ist ein Buch der Vielfalt. In ihr prallen Gottesbilder, Meinungen und Haltungen aufeinander, so verschieden wie die Menschen und Kulturen, in denen sie verfasst wurden. Besonders deutlich wird dies in den Stellen des Neuen Testaments, die uns seit einigen Sonntagen begleiten. Zum einen das Matthäusevangelium, in dem mit Enthusiasmus versucht wird, das Gesetz Israels so zu aktualisieren, dass es den Anforderungen der Ethik Jesu entspricht. Die frühen Christengemeinden  können damit weiterhin auf der Basis der heiligen Schriften Israels leben.

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Schlüssel zum lebendigen Glauben

Zum anderen hören wir in der zweiten Lesung die Perspektive des Paulus. Er eröffnet den griechischen Christ:innen in Korínth einen Horizont, in dem lebendiger Glauben auch ohne das penible Einhalten von Vorschriften möglich wird. Ankerpunkt für Paulus ist die Erfahrung Gottes in Jesus Christus. Diese steht grundsätzlich allen Menschen offen – egal ob sie Heid:innen sind oder aus dem Judentum stammen. Für sie braucht es lediglich die grundlegende Bereitschaft des Bekenntnisses zu Christus; das Einhalten kultischer Regelungen oder Speisevorschriften aus den Gesetzen Israels spielt nun ebenso wenig eine Rolle wie hochstehende Bildung. Gottes Weisheit zeigt sich eben nicht in komplexen theologischen oder philosophischen Schlussfolgerungen, genauso wenig in Form von Machtstrukturen – alles, was in unserem Weltgefüge vorrangig und wichtig erscheint, tritt durch das Bekenntnis zu Christus, dem Gekreuzigten, in den Hintergrund. Stattdessen geht es um lebendige Gottesbeziehung, die weit über den Horizont des sinnlich Wahrnehmbaren hinausreicht und dazu drängt, darüber zu sprechen.

Jesus Sirach 15,15–20 (16–21)

Leben heißt, sich entscheiden: Es liegt in unseren Händen, welchen Weg wir einschlagen und wohin wir uns wenden. Gott gibt uns dazu die Freiheit und ermutigt uns, in seiner Fülle zu leben.

Gott gab den Menschen seine Gebote und Vorschriften. Wenn du willst, wirst du die Gebote bewahren und die Treue, um wohlgefällig zu handeln. Er hat dir Feuer und Wasser vorgelegt, was immer du erstrebst, danach wirst du deine Hand ­ausstrecken.

Vor den Menschen liegen Leben und Tod, was immer ihm gefällt, wird ihm gegeben. Denn groß ist die Weisheit des Herrn, stark an Kraft ist er und sieht alles. Seine Augen sind auf denen, die ihn fürchten und er kennt jede Tat des Menschen. Keinem befahl er, gottlos zu sein und er erlaubte keinem zu sündigen.

 

2. Lesung 1. Korínther 2,6–10

Die Weisheit Gottes ist keine unergründliche Philosophie oder ließe sich durch Macht erreichen; sie wird vielmehr in der Begegnung mit Christus erfahrbar, dem Gekreuzigten und Auferweckten.

Schwestern und Brüder! Wir verkünden Weisheit unter den Vollkommenen, aber nicht Weisheit dieser Welt oder der Machthaber dieser Welt, die einst entmachtet werden. Vielmehr verkünden wir das Geheimnis der verborgenen Weisheit Gottes, die Gott vor allen Zeiten vorausbestimmt hat zu unserer Verherrlichung. Keiner der Machthaber dieser Welt hat sie erkannt; denn hätten sie die Weisheit Gottes erkannt, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. Nein, wir verkünden, wie es in der Schrift steht, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was in keines Menschen Herz gedrungen ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben. Uns aber hat es Gott enthüllt durch den Geist. Der Geist ergründet nämlich alles, auch die Tiefen Gottes.

 

 

 

 

Evangelium Matthäus 5,20–22a.27–28.33–34a.37

Jesus erklärt die Schrift, um sie für seine Hörer:innen zu aktualisieren: Gerechtigkeit ist mehr als gesetzeskonformes Handeln; sie verlangt nach Beziehung und gegenseitiger Verantwortung.

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten; wer aber jemanden tötet, soll dem Gericht verfallen sein. Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein. Ihr habt gehört,

dass gesagt worden ist: Du sollst nicht die Ehe brechen. Ich aber sage euch: Jeder, der eine Frau ansieht, um sie zu begehren, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen.
Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst keinen Meineid schwören und: Du sollst halten, was du dem Herrn geschworen hast. Ich aber sage euch: Schwört überhaupt nicht. Eure Rede sei: Ja ja, nein nein; was darüber hinausgeht, stammt vom Bösen.

 

 

 

 

Quelle: Lektionar für die Bistümer des deutschen Sprachgebiets. Authentische Ausgabe für den liturgischen Gebrauch. Band I: Die Sonntage und Festtage im Lesejahr A, Freiburg u. a. 2019. © staeko.net

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  • Portrait von Rainhard Stiksel
    Reinhard Stiksel
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