Gott „der Unsichtbare“
Österliche Gedanken - Teil 4
„Ich würde ja gerne mit Gott sprechen, wenn er denn existieren würde." Ein häufig ausgesprochener Satz. Natürlich wird es wohl jedem einsichtig sein: wissenschaftlich „beweisen“ lässt er sich nicht, seine Nichtexistenz aber auch nicht. Es gibt aber einige einleuchtende und überzeugende Gründe, die es mir sinnvoll erscheinen lassen, mit der Existenz Gottes rechnen zu dürfen.
Gott „beweisen“?
„Ich glaube nur an das, was ich wirklich sehen kann!“ Diesen Satz kann man oft hören. Aber was „sehen“ wir denn wirklich? Würden wir all das, was wir sehen können, auf einen Haufen zusammen werfen: den gesamten Sternenhaufen, dann wär diese Menge unvorstellbar. Und trotzdem wäre all dieses Unvorstellbare doch nur 5 % von dem, was im Kosmos wirklich existiert. Das heißt: 95 % von all dem, was existiert, ist eben nicht sichtbar, eben nicht „materiell“, ist ein unvorstellbares „Vakuum“, „dunkle Materie“ und „dunkle Energie“, wahrlich eine „Leere in Fülle“. Das ist Fakt der Naturwissenschaft! Es gibt eine große Zahl an Philosophen und Theologen, gerade die Mystiker, die sich auch diesem Thema gestellt haben, in ihrer Lehre der „Leere“. Das, was die Welt im Innersten zusammenhält ist nichts Stoffliches, Materielles, Sichtbares, sondern etwas Energetisches, Geistiges, Spirituelles. Auch über das buddhistische „Nirvana“ lässt sich nur sagen, was es nicht ist: ungeboren, ungeworden, unergründlich, unsagbar, formlos. Es ist sozusagen das „Nichts, das Alles ist“, ein „Sein im Nichtsein“.
Gott ist kein Ding
Das erste Vatikanische Konzil von 1869/70 sagt zwar ausdrücklich, dass Gott mit Hilfe der menschlichen Vernunft mit Gewissheit zwar erkannt werden "kann", aber nicht mit Zwangsläufigkeit erkannt werden "muss", im Sinne eines „Beweises“, obwohl dies im Laufe der Geschichte immer wieder mit mehr oder weniger Überzeugungskraft versucht wurde. Wie sollten wir denn auch Gott „beweisen“ wollen? Beweise sind überhaupt ein unbrauchbares Instrument, das bei dem, was wir „Gott“ nennen dürfen, einfach nicht greifen kann. Gott ist ja kein "Ding", kein Objekt, das sich einfach so auf den Tisch blättern lässt. Wenn es Gott gibt, dann ist er der Schöpfer aller Dinge, kann also selbst kein Ding sein, „über" das wir "objektiv" reden könnten. Er ist auch kein "Faktor" in irgend einer langen und komplizierten Formel. Gott ist auch kein "Begriff", denn alle unsere Begriffe stammen ja aus dem "Weltlichen", und wir können sie nicht einfach so auf Gott übertragen. Aussagen über Gott sind eher so etwas wie „Metaphern“, bildliche Übersetzungen, Übertragungen, um einen schwer vorstellbaren oder unbekannten Sachverhalt durch den Vergleich mit etwas Bekanntem zuzuordnen. Wenn wir also über Gott sprechen, dann nur in einer Sprache, die versuchen muss, das Nicht-Sagbare ins Sagbare, das Nicht-Aussprechbare ins Aussprech-bare, das schwer Vermittelbare ins Vermittelbare, das Unsichtbare ins das Sichtbare und das Unbegreifliche ins Begriffliche zu „übersetzen“. Dessen sollten wir uns immer bewusst bleiben. Auch in der Bibel wird Gott "Der Unsichtbare" genannt, Kol 1,15. Er wohnt in einem "unzugänglichen Licht" 1 Tim 1,16, und niemand hat jemals "seine Stimme gehört noch seine Gestalt gesehen" heißt es bei Joh 5,37.
Die Existenz von Gott als Gewissheit
Wenn wir einmal eine prinzipielle Offenheit des Denkens voraussetzen dürfen, so gibt es durchaus eine Reihe von Überlegungen und auch Erfahrungen, die die Existenz Gottes einsichtig oder zu einer inneren Gewissheit werden lassen können.
Gründe, warum es sinnvoll erscheint, mit der Existenz Gottes rechnen zu dürfen.
- Ich glaube an die Existenz Gottes, weil es für mich absolut nicht vorstellbar wäre, dass bereits so viele Milliarden von Menschen aus den verschiedensten internatio-nalen, sozialen und intellektuellen Umgebungen bisher alle einem Trugschluss verfallen sein sollten, nur weil sie von der Existenz eines Weltenschöpfers oder einer letzten, unsere Welt zusammenhaltenden Urkraft zutiefst überzeugt waren. Die meisten davon haben ja nicht nur an ihn „geglaubt“, sie haben ihr ganzes Leben nach ihm gestaltet und aus diesem Glauben heraus Großartiges geschaffen, in ihrem Leben wie auch in der Kunst. Viele haben dabei ihr Leben für ihn hingegeben. Soll dies alles umsonst, sinnlos gewesen sein? Für mich wäre dies nicht vorstellbar!
- Ich glaube an die Existenz Gottes, weil die unglaublich intelligente und komplexe Ordnung, Vielfalt und Schönheit unserer Welt, unseres gesamten Kosmos darauf hinweist, dass es da "Jemanden" geben muss, der dies alles kreativ geplant, erschaffen, geordnet hat und am Leben erhält.
- Ich glaube vor allem an Gott, weil ich an die Existenz Jesu glaube, der sein gesamtes reales Leben unbeirrbar bis in den Tod hinein nur einem Ziel geopfert hat, uns „seinen“ Gott zu offenbaren, der mit uns Menschen in einem persönlichen, liebenden Dialog steht und wie ein Vater und eine Mutter zu uns ist. Dieser Gott kam als Kind, nicht als Herrscher, als Held oder Machthaber in unsere Welt. Ich bekenne mich gerade deshalb zu Jesus, weil in seinem Leben und in seiner Lehre gerade das "Kleine" immer eine große Beachtung fand. Er stellte ein kleines Kind in seine Mitte, als es um große Maßstäbe ging. „Wer ist der Größte im Himmelreich?“ Matth 18,1. Er drohte Schreckliches an, sollte jemand einem dieser Kleinsten ein Ärgernis geben. Er übersah nie das stumme Elend auf seinem Weg, übersah nicht den klein-wüchsigen Zachäus auf einem Baum. Er bewunderte und lobte die arme Witwe, die ihr kleines Scherflein in den Opferkasten legte. Es rührte ihn an, wenn ein Hilfesuchender ihn auch nur berührte. Er wollte für die schwachen Menschen immer eine Hoffnung sein, das "geknickte Rohr nicht brechen" und den "glimmenden Docht nicht auslöschen". Jes 42,3
- Mit unserer eigenen Existenz ist die menschliche Grundfähigkeit untrennbar verbunden, grundsätzlich das Gute vom Bösen unterscheiden zu können. Dabei ist Gott für mich der absolute Bezugspunkt, die Richtschnur meines moralischen Handelns, das rein biologisch nicht zu erklären ist. Ich glaube deshalb an die Existenz Gottes, weil ich an die Existenz meines Gewissens glaube, an jene innere Stimme, von der Goethe einmal gesagt hat: "ganz leise spricht ein Gott in unsrer Brust, ganz leise, aber ganz vernehmlich, er zeigt uns an, was zu ergreifen ist und was zu fliehen."
- Ich glaube an die Existenz Gottes, weil "Liebe" existiert, mit allen Sinnen spürbar und erlebbar existiert und weil ich auch davon überzeugt bin, wie es heißt, dass "Gott die Liebe ist; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm." 1 Joh 4,16. Diese Liebe ist sogar „stärker als der Tod“, vgl. Hohes Lied 8,6.
- Neben der Liebe existiert in unserem Leben auch immer wieder etwas, was wir „Hoffnung“ nennen, die Sehnsucht auf "Heil", „Ganzheit“, "Himmel" oder Vollendung. Hoffnung ist für mich so etwas wie das "Verliebtsein ins Gelingen", so Ernst Bloch, und Verliebte lassen sich die Liebe auch nicht wegreden oder verbieten. Deshalb ist Hoffnung, wie es heißt, immer "das letzte, das stirbt", um dann erfüllt zu erden.
- Gerechtigkeit gehört für mich existentiell zu der Vorstellung einer menschlichen Gesellschaft. Auch hier bleibt Gott für mich die letzte absolut verbindliche moralische Instanz, vor der ich mich einmal zu verantworten habe. Dort, wo Gott verschwindet, dort verschwindet auch bald der Mensch, die Menschlichkeit.
- Jenseits unserer rein materiellen Welt existiert für mich die Welt des Geistigen. Das in unseren Diskussionen tragische Auseinandertriften von „Materie“ und „Geist“ ist nicht hilfreich. Beides muss sich doch berühren und einer Einheit entgegen streben, die sich als die Kraft hinter allem erweist, was ist, was war und was sein wird. Vom Wortstamm her hat „Materie“ etwas mit dem „Mütterlichen“ zu tun, jenem „Urgrund“, der uns eine ganz bestimmte Art des Seins zu schenken in der Lage ist: nämlich Mensch zu sein, auf dass wir uns immer und überall als eine Einheit begreifen, als einen ständigen Dialog zwischen einem „Stoffgebundenen Geist“ und einem „Geistbegabten Stoff“, wie der Philosoph Johannes Ell einmal formulierte. Dabei zeigt uns die moderne Quantenphysik, dass es gerade das Allerwinzigste und das Allerunsichtsbarste in unserer Welt ist, das "die Wahrheit wieder aus dem Grab eines materialistischen Stoffwahns herausführt und die Türe öffnet in die verlorene und vergessene Welt des Geistes“, so Max Blank. Die heutige Naturwissenschaft entdeckt deshalb immer mehr den Geist als die eigentliche Ursache aller Form und Materie wieder zu entdecken.“ Nach Albert Einstein ist „Wissenschaft ohne Religion lahm und jede Religion ohne Wissenschaft blind.“ Die alte „Unverträglichkeit“, eifersüchtige Beziehung oder gar „Feindschaft“ kann also getrost vergessen werden. Zusammenarbeit ist angesagt.
- Ich glaube an die Existenz Gottes, weil mir dieser Glaube nicht in Theorien und theologischen Traktaten übergestülpt wurde, sondern weil er uns in der verständ-lichen Alltagssprache seines Sohnes Jesus, in vielen seiner Gleichnissen, Geschichten und Symbolen das "Reich Gottes" nahegebracht hat. Er hat sich in einmaliger Weise mit uns Menschen solidarisch erklärt in seinem unvergesslichen Wort: „Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen.“ Vgl. Matth 25, 35-36. Diese vitalen Situationen: Hunger, Durst, Schutzlosigkeit, Krankheit, Gefangenschaft sind für uns Menschen so zentral, dass sie nicht nur auf der physisch/körperlichen Ebene Geltung haben dürften, sondern grundsätzlich in allen Lebensbezügen, wo, wann und wie wir ihnen im Alltag auch immer begegnen werden.
- Diesem Jesus vertraue ich voll und ganz, wenn er sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben“ Joh 11,25-26. An der Schwelle des Todes stoßen wir zwar immer wieder hart an die Grenze unserer Erfahrung, aber hier entsteht eine Situation, die unser Herz einlädt, zu springen, zu springen über alle Gräben des Zweifelns hinweg, aber mit der Kraft der Hoffnung und dem Mut der Liebe. Dann ist der Tod kein Abbruch mehr, sondern ein „Aufbruch“ in etwas Neues, nicht das „Ende“, eher eine „Wende“, kein „Untergang“, sondern ein „Übergang“.
- Ich glaube an die Existenz dieses Gottes, weil ich mich in seinem Sohn Jesus auch zutiefst in meinen Zweifeln verstanden fühle, die mich immer mal wieder überfallen. Er hat selber kurz vor seinem Tod einmal geklagt: „Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Matth 27,46. Er wusste, was Leid bedeutet, er ging aber für uns und für seine Wahrheit durch dieses Leiden hindurch und brachte uns dadurch die glaubhafte Gewissheit auf Rettung und Auferstehung. Ich bin fest davon überzeugt, dass Gott mir am Ende meiner Tage alle meine Zweifel verzeihen wird, die immer mal wieder kommen, insbesondere bei der Frage nach dem ungerechten Leid in dieser Welt, und dass er mir alle anderen noch offenen Fragen beantworten wird.
Was Glaubende und Nichtglaubende trennt
Was genau trennt eigentlich den Glaubenden von dem Nichtglaubenden? Ich weiß es nicht. Sicher nicht der Intellekt, es sind wohl unterschiedliche Lebenserfahrungen und Lebenssitua-tionen. Vielleicht liegt ja einer der Gründe auch nur in jenem prophetischen Hinweis: „Sucht ihr mich, so findet ihr mich. Wenn ihr von ganzem Herzen nach mir fragt, lasse ich mich von euch finden.“ Jer 29, 13–14. In einem hebräischen Sprichwort heißt es jedenfalls: "Wer Gott eine Elle entgegengeht, dem läuft Gott zwei entgegen."

Zur Person
Der Autor Stanislaus Klemm ist Theologe und Psychologe und ehemaliger Mitarbeiter der Telefonseelsorge Saar und der Lebensberatung in Neunkirchen/Saar