Gelegenheit beim Schopf packen
HirtenhundIn Sachen Schönheitsideale waren die alten Griechen nicht immer Trendsetter. Der jüngste Sohn des Zeus etwa – Kairos – wird mit kahlem Hinterkopf und einem langen Haarschopf vorn an der Stirn dargestellt. Muss man mögen. Aber bis heute wirkt er in unseren Alltag hinein, wenn wir sagen, dass es eine Gelegenheit beim Schopfe zu packen gilt. Wer diesen rechten Zeitpunkt (griechisch: kairos) verpasst, der greift ins Leere bzw. an den kahlen Hinterkopf. Das hat auch kirchlich und theologisch hohe Relevanz. Das Konzil sprach von den „Zeichen der Zeit“, die es zu erkennen gilt. Entsprechend führte der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner den Begriff der „Kairologie“ für sein Fach ein.
Zwischen Synode und Stillstand: Österreichs Kirche zögert
Ein wenig hatte ich in meinem Körbchen gehofft, die Bischöfe würden nach dem Abschluss der jüngsten Weltsynode den im Wind flatternden Haarschopf zu fassen kriegen. Leider aber zeugten die Ergebnisse der Herbstvollversammlung eher vom Versuch, auf einer Glatze Locken zu drehen, als davon, den rechten Zeitpunkt zu erwischen. Erzbischof Franz Lackner mühte sich bei der online gestreamten Pressekonferenz darum, die Kirche in Österreich als synodalen Vorreiter zu präsentieren. Frauen seien schließlich schon vielfältig am Ruder. Das Mandat des „nationalen Synodenteams“ wurde verlängert. Alles also in Butter. Echt? Gewiss, niemand erwartet, dass in Österreich demnächst Frauen geweiht oder der Zölibat abgeschafft wird. Eh. Aber eine Strategie zur konsequenten Einbindung von Laien in Entscheidungsprozesse wäre machbar. Auch eine österreichweite Verständigung auf verpflichtende Diözesanräte in allen Diözesen wäre ein möglicher Schritt. Kairos statt Karies! Von all dem – leider – keine Spur.
Entscheidungsangst und Rückzug auf Rom
Als „Kairophobie“ wird im Übrigen die Angst vor dem Treffen von Entscheidungen bezeichnet. Sie äußert sich etwa in verstetigtem Grübeln und dem Versuch, Verantwortung abzuschieben. Unsere Bischöfe verweisen bei Reformen gern auf Rom und den nötigen Gleichschritt mit der Weltkirche. Die Weltkirche aber scheint das laut Abschlussdokument nur noch in bestimmten Bereichen – dogmatischen und moraltheologischen Fragen – zu wollen. Ein wenig erinnert mich das an moderne Familien, in denen die Kinder – eigentlich längst der Pubertät entwachsen – von ihren Eltern mit überreifen 30 oder 40 Jahren endlich aus dem elterlichen Nest gestoßen werden. Die Kinder aber wissen nicht so recht, was sie da draußen sollen. Bei Mama ist es doch viel gemütlicher. Denn sie kocht gut – und wäscht zur Not sogar die schmutzige Wäsche.