Sterbehilfe: Gehört mein Sterben mir?
Serie zur BioethikIn der letzten Lebensphase heißt es für die Menschen Abschied nehmen und das eigene Leben annehmen, wie es war und ist. Univ.-Prof. Dr. Christoph Gisinger spricht über das Thema Sterben und wie man mit Gelassenheit loslassen kann.
Was hat dazu geführt, dass das Sterben durch die moderne Medizin gleichsam verlangsamt worden ist?
Prof. Gisinger: Ist es das wirklich? Die moderne Medizin hat dazu geführt, dass – statistisch gesehen – das Sterben ein Phänomen des höheren Alters darstellt. Ganz im Unterschied zur Menschheitsgeschichte bis vor knapp 100 Jahren, als die Wahrscheinlichkeit zu sterben in fast allen Altersgruppen gleich hoch war. Wenn der Sterbeprozess bereits eingetreten ist, dann sollten palliative Gesichtspunkte (keine Schmerzen, möglichst Symptomfreiheit) das Handeln der Medizin leiten. In der Praxis führt die sogenannte „Absicherungsmedizin“ in Dilemmata – die Angst vor Vorwürfen, nicht alles erdenklich Mögliche versucht zu haben, und die Schwierigkeit einzuschätzen, ob der Sterbeprozess bereits begonnen hat und unumkehrbar ist. In einigen Fällen gibt es bei der Betreuung am Ende des Lebens auch leider nicht die Alternative zwischen einer „guten“ oder „schlechten“ Handlungsoption, sondern nur zwischen einer „schlechten“ und einer „noch viel schlechteren“.
Ist Europa bereits auf dem Weg zur Euthanasie, wie die Niederlande und Belgien zeigen?
Vieles deutet darauf hin, dass viele Länder diesen Weg gehen könnten. Dahinter steckt die Illusion und das Bedürfnis von Meinungseliten nach totaler Selbstbestimmung, auch über Zeitpunkt und Art des eigenen Todes. Nach dem Motto: „Mein Sterben gehört mir!“ Dazu kommen auch utilaristische (lat. utilitas, nützlich, zweckorientiert) und ökonomische Aspekte. Ich selbst bin der Überzeugung, dass eine Fremdzuschreibung über den Wert eines Lebens weder aus christlicher noch aus humanistischer Sicht zulässig ist. Euthanasie ist auch aus pragmatischen Gründen strikt abzulehnen, da die Gefahr eines Dammbruchs und eines unter Druck-Setzens von Betroffenen besteht, wo dann von „Freiwilligkeit“ (aus dem Leben scheiden zu wollen) keine Rede mehr sein kann. Dazu kommt natürlich auch die Problematik, wenn ein Betroffener nicht mehr selbst entscheidungsfähig ist, sondern jemand anderer über den Tötungsakt entscheidet.
Es geht in der letzten Lebensphase darum, sich selbst und das eigene Leben anzunehmen, wie es war und ist, und mit Gelassenheit loslassen zu können."
Wie viel Belastungen und Schmerzen können, wollen wir aushalten? Um wie viel Gesundheit darf man kämpfen?
Das ist eine sehr persönliche Entscheidung und wird eine sehr große Bandbreite umfassen. Jedenfalls ist „Gesundheit“ kein absoluter Wert und es sollte daher auch zulässig sein – nach ausführlicher Aufklärung und bei Sicherstellung, die Situation verstanden zu haben – sich auch gegen eine von Experten empfohlene Behandlung entscheiden zu dürfen, wenn diese Entscheidung ohne zeitlichen oder sonstigem Druck umnd nach ausführlicher Überlegung und Beratung erfolgt ist.
Was macht dann einen echten „guten Tod“ aus?
Ebenfalls eine sehr persönliche Angelegenheit, die vom eigenen Lebensentwurf und der konkreten Situation abhängt und natürlich auch von dem Umstand, wie die eigene Endlichkeit existentiell gedeutet und verarbeitet wird. Viele Menschen verdrängen diese Tatsache und sind schlecht vorbereitet. Schließlich geht es in der letzten Lebensphase darum, sich selbst und das eigene Leben so anzunehmen, wie es war (und ist) und mit Gelassenheit loslassen zu können. Diese Fähigkeit können wir vor allem auch von hochbetagten Menschen lernen.
Lexikon: Euthanasie
Sanfter Tod und die Nazis
Urspünglich bedeutete Euthanasie in der Antike der „sanfte Tod“, d. h. ein Tod ohne übermäßige Schmerzen. Im heutigen Sprachgebrauch ist diese ursprüngliche Bedeutung überholt. International wird unter Euthanasie jede Handlung oder Unterlassung verstanden, die ihrer Natur nach oder aus bewusster Absicht den Tod herbeiführt, um so jeden Schmerz zu beenden. Im deutschsprachigen Raum ist das Wort Euthanasie dermaßen von den grausamen Praktiken des Nationalsozialismus gegen „unwertes“ Leben belastet, dass die Befürworter der Euthanasie sich davor verwahren, diesen Terminus zu akzeptieren, und an seiner Stelle von Sterbehilfe reden.
Ist Euthanasie Sterbehilfe?
Euthanasie ist nicht Sterbehilfe, sondern absichtliche Tötung. Kein auch noch so barmherziges Motiv wie unsinniges Leiden ersparen, kann die lebensvernichtende Absicht des Euthanasiepraktikers veredeln. Die Verwendung des Wortes Sterbehilfe für vorsätzliche Tötung enthüllt das materialistisch-hedonistische Menschenbild der Euthanasiebefürworter.
„Sterbehilfe“: kein Akt der Barmherzigkeit
Wo das Gesetz es erlaubt und die Sitte es billigt, sich zu töten oder sich töten zu lassen, da hat plötzlich der Alte, der Kranke, der Pflegebedürftige alle Mühen, Kosten und Entbehrungen zu verantworten, die seine Angehörigen, Pfleger und Mitbürger für ihn aufbringen müssen. Nicht Schicksal, Sitte und selbstverständliche Solidarität sind es mehr, die ihnen dieses Opfer abverlangen, sondern der Pflegebedürftige selbst ist es, der sie ihnen auferlegt, da er sie ja leicht davon befreien könnte. Er lässt andere dafür zahlen, dass er „zu egoistisch“ und „zu feige“ ist, den Platz zu räumen. Wer möchte unter solchen Umständen weiterleben? Aus dem Recht zum Selbstmord wird so unvermeidlich eine Pflicht.
Druckmittel gegen die Schwächeren
Gilt die Tötung auf Verlangen einmal als gesellschaftliche Normalität, so wird vielen von ihnen dieses Verlangen sehr bald als soziale Pflicht erscheinen. Die Kosten an Kraft, Zeit und Geld, die ihr Zustand verursacht, sind plötzlich abhängig von ihrem freien Willen. Sie könnten sie den anderen jederzeit ersparen.
Quelle: www.imabe.org
(IMABE – Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik zur Förderung des
Dialogs von Medizin und Ethik auf Grundlage des christlichen Menschenbildes)
Was unterscheidet Sterbegleitung von Sterbehilfe?
Sterbebegleitung bedeutet, Menschen am Ende ihres Lebens nicht allein zu lassen und sie physisch (Symptom- und Schmerzfreiheit), psychisch, sozial und spirituell zu unterstützen. Mit dem Begriff Sterbehilfe wird im Allgemeinen das absichtsvolle Herbeiführen des Todes verbunden.
Warum bestimmt am Beispiel des „Hauses der Barmherzigkeit“ die Qualität der Beziehung die Qualität der Pflege?
Wenn man von „Pflege“ im engeren Sinn spricht, denkt man oft an Verbandwechsel, Gabe von Medikamenten etc. Also an verschiedene Tätigkeiten, um Probleme, Krankheiten, Beschwerden oder „Defizite“ auszugleichen. Dabei wird manchmal auf die positiven Seiten vergessen, darauf, was jemand noch kann, welche Rehabilitationspotentiale oder „Ressourcen“ noch vorhanden sind. Die Qualität der Beziehung zwischen Betreutem und Betreuern soll sicherstellen, dass es zu einer Ressourcen- statt zu einer Defizit-Orientierung in der Begleitung von Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderung kommt. Und Beziehung bedeutet auch, dass Menschen sich in einer ihrer schwierigsten Lebensphasen nicht alleingelassen fühlen.
Zur Person:
Univ.-Prof. Dr. Christoph Gisinger, Institutsdirektor des „Hauses der Barmherzigkeit“.
Institut
Haus der Barmherzigkeit
Seeböckgasse 30a, A-1160 Wien
Tel.: +43/1/ 401 99-0
Fax.: +43/1/ 401 99-1308
E-Mail: info@hausderbarmherzigkeit.at
Haus der Barmherzigkeit - Pflegezentrum Tokiostraße GmbH
Tokiostraße 4
A-1220 Wien
Tel.: +431/ 901 81-0
Fax: +43/1/901 81-3308
info@hausderbarmherzigkeit.at
ACHTUNG: Dieser Artikel stammt aus dem Jahr 2016.